Sorgen um Griechenland Ein Scherbenhaufen
In Griechenland setzen die Gegner der bisherigen Sparpolitik heute ihre Sondierungsgespräche für eine Regierungsbildung fort. Das Linksbündnis um Parteichef Tsipras hat bis morgen Mittag Zeit, mögliche Koalitionspartner zu finden. In Brüssel blicken viele mit Sorge nach Athen. Manche EU-Politiker rechnen bereits mit einem Austritt Griechenlands aus der Eurozone. Diesen Schritt halten andere für gefährlich, besonders für Deutschland.
Von Martin Bohne, MDR-Hörfunkstudio Brüssel
Was nun? Die Wahlen haben endgültig gezeigt, dass die EU nach zwei Jahren immer neuer Bemühungen, der griechischen Krise Herr zu werden, vor einem Scherbenhaufen steht. In Brüssel blickt man mit Sorge und ziemlicher Ratlosigkeit nach Athen. So auch die grüne Europaabgeordnete Franziska Brantner: "Griechenland ist schwierig, ich sehe noch nicht, wie eine Regierung gebildet werden soll, sonst gibt es ja schon wieder Neuwahlen."
Aber eigentlich wird eine handlungsfähige Regierung gebraucht. Anfang Juni reist die Troika wieder nach Griechenland. Sie fordert weitere Ausgabenkürzungen in Milliardenhöhe, sonst werden die nächsten Hilfskredite nicht ausgezahlt und Athen droht mal wieder die Pleite.
"Keine Alternative zu Haushaltskonsolidierung"
Die große Frage ist, soll man bei der Medizin für den griechischen Patienten bleiben, obwohl er seine Ärzte so böse verprügelt hat? Oder muss man die Krisenrezeptur verändern? EU-Kommissionschef José Manuel Barroso will erst mal vom bisherigen Kurs nicht abweichen: "Die Staaten, die Hilfsprogramme in Anspruch nehmen werden, haben keine Alternative, außer einer geordneten Staatspleite, als den strikten Kurs der Haushaltskonsolidierung und der Strukturreformen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit fortzusetzen."
Zumindest stellt Barroso noch einige von der EU finanzierte gezielte Investitionen in Aussicht. Klar gegen Abstriche bei den Sparauflagen sind vor allem die Konservativen im Europäischen Parlament. Deren französischer Fraktionschef Joseph Daul hat Angst vor einem Dammbruch, wenn man dem Druck der griechischen Wähler nachgibt: "Ich glaube nicht, dass das so geht. Da kommen auch die anderen hinterher, warum nicht Portugal, Irland, Italien, Spanien, Frankreich."
Austritt aus der Währungsunion in der Diskussion
Auch der CDU-Finanzexperte Werner Langen will von Zugeständnissen nichts wissen, die Griechen müssten sich erst mal ernsthaft ans Reformieren machen: "Entscheidend ist der Wille zur Umkehr. Und den sehe ich bei den politischen Führern auf keinen Fall. Und da sie sich im Wahlkampf gegenseitig hochgeschaukelt haben, ist auch das Bewusstsein bei der Bevölkerung nicht gestiegen, dass man sich nicht darauf verlässt, nur auf Kosten anderer zu leben."
Auch einen Austritt Griechenlands aus der Währungsunion würden die Konservativen mittlerweile in Kauf nehmen. "Wenn die Griechen das so wollen und entscheiden, wird sie niemand aufhalten."
"Der gemeinsame Nenner ist pro Europa"
"Ich bin für Solidarität, aber wenn die Griechen raus wollen, gegen das Volk kann keiner arbeiten", sagt der Konservative Daul. Weiter links im politischen Spektrum, angefangen bei den Liberalen, zieht man aber andere Schlüsse aus dem Wahlergebnis.
Jorgo Chatzimarkakis, der FDP-Mann mit griechischen Wurzeln, bestreitet schon mal, dass die Griechen gegen Europa votiert haben: "Insgesamt hat aber die weite Mehrheit im Parlament eine pro-europäische Ausrichtung. Auch Syriza, die zweitstärkste Partei, ist eine proeuropäische Partei, wenn sie auch gegen die Härte des Reformprogramms ist. Also noch einmal, der gemeinsame Nenner ist pro Europa, gegen die Härte des Sparprogramms und da muss man jetzt einen guten Kompromiss finden."
"Wir brauchen einen Marshall-Plan"
Auch der Chef der SPD-Abgeordneten Udo Bullmann ist überzeugt, dass bei Beibehaltung des extremen Sparzwangs die griechische Wirtschaft nie mehr auf die Beine kommt. Die Wahl sei eine klare Ansage an die EU und die Troika: "Dass man ein Land nicht nur strangulieren kann. Man kann mit den Ländern in Südeuropa nicht so umgehen, dass man ihnen nur die Rute gibt, aber nicht das Licht am Ende des Tunnels zeigt. Und zwar auch durch eine substanzielle finanzielle Unterstützung. Es wird Gelder geben müssen, die den Namen Marshall-Plan verdienen."
Die Grüne Brantner fügt noch eine politische Dimension hinzu: "Ich glaube, man kommt nur raus, wenn man genau dieses Denken - wir sind die Geber, ihr seid die Nehmer - aufgibt und endlich versteht, dass wir in einer gemeinsamen Krise stecken. Nicht mehr hier sind wir und ihr seid die Bittsteller, das ist genau das, was zur Konfrontation führt."
Eine Konfrontation, die sich ohne Kurskorrektur weiter zuspitzen könne, bis hin zum Austritt Griechenlands aus der Eurozone.
Eine Perspektive, die der Liberale Chatzimarkakis keineswegs so gelassen sieht wie seine konservativen Parlamentskollegen: "Das hätte immense Folgen, das hätte insbesondere die Folge, dass ein Dominoeffekt in Gang gesetzt wird. Mit ganz großem Schaden für den größten Profiteur der Eurozone, nämlich Deutschland. Deutschland würde eine Aufwertung der verbleibenden Währung erfahren, wäre in seinem Exportmodell nachhaltig geschädigt." Chatzimarkakis spricht von einem Erdbeben für die ganze Eurozone.