Eröffnung des Gotthard-Basistunnels Lang. Tief. Teuer. Schnell.
Der Gotthard-Basistunnel - er ist lang, er ist tief, er ist teuer. Was ist das Besondere an diesem Schweizer "Bauwerk der Superlative", was soll der Tunnel bringen, wer profitiert? Und wer sind Heidi, Sissi und Gabi? Zur Eröffnung beantwortet tagesschau.de wichtige Fragen.
Der Tunnel in Zahlen
57 Kilometer Länge. Bis zu 2300 Meter Tiefe. 28,2 Millionen Kubikmeter Gestein. 2400 Arbeiter. 17 Jahre Bauzeit. Elf Milliarden Euro Kosten. 260 Güterzüge und 65 Passagierzüge täglich.
Wo verläuft der Tunnel genau?
Durch das Gotthardmassiv in der Zentralschweiz von der Ortschaft Erstfeld im Norden nach Bodio im Kanton Tessin im Süden. Er gilt als das Herzstück der neu ausgebauten Bahnstrecke zwischen Nord- und Südeuropa. Sie verbindet die Industriezentren Belgiens, Deutschlands, Italiens, der Niederlande und der Schweiz. Von dem bis 2020 geplanten Vollausbau soll vor allem der Frachtverkehr auf der Nord-Südstrecke zwischen den Hafenstädten Rotterdam und Genua profitieren.
Zu der Alpentransitstrecke gehört auch der weiter westlich parallel verlaufende 35 Kilometer lange Lötschberg-Basistunnel, der bereits seit einigen Jahren in Betrieb ist. Der südlich des Gotthards gelegene und gut 15 Kilometer lange Ceneri-Basistunnel soll 2020 eröffnet werden.
Das Bauwerk
Der Basistunnel besteht aus zwei getrennten Röhren für den Zugverkehr, außerdem gibt es eine Fluchtröhre. Die Röhren sind durch mehrere Quertunnel miteinander verbunden. Die Röhren haben einen Durchmesser von knapp acht Metern und sind durch 178 Querstreben miteinander verbunden. Die im Abstand von 325 Metern angebrachten Verbindungsstücke dienen bei Notfällen als Zufluchtsort sowie als Fluchtweg in die anderen Röhren. Die Gesamtlänge aller Röhren beträgt 152 Kilometer. Insgesamt wurden 290 Kilometer Schienen und 380.000 Schwellenböcke verlegt.
Das Sicherheitskonzept reicht von Notausgängen über Lösch- und Rettungszüge bis zu Kameras an den Portalen, die mögliche Terroristen filmen sollen.
Blick auf die Tunnel-Baustelle in Erstfeld - Archivbild von 2014
Ist der Gotthard-Basistunnel die erste Verbindung durch das Gotthard-Massiv?
Nein. Seit 1882 gibt es am Gotthard eine 15 Kilometer lange Tunnelröhre für die Eisenbahn, seit 1980 einen 17 Kilometer langen Straßentunnel - beides schon Bauwerke von enormer Dimension. Zuvor konnten die Alpen dort nur oberirdisch überquert werden: 1830 wurde die Gotthard-Passstraße freigegeben.
Was ist das Besondere am Gotthard-Basistunnel?
Erstens: Die Länge - mit 57 Kilometern ist er der längste Tunnel der Welt, vorerst zumindest. Die Eisenbahnverbindung verweist den 53,8 Kilometer langen Seikan-Tunnel zwischen den japanischen Inseln Honshu und Hokkaido und den 50,5 Kilometer langen Eurotunnel unter dem Ärmelkanal auf den zweiten und dritten Platz.
Zweitens: die Tiefe, die gerade Strecke und seine Ebenerdigkeit. Der neue Basistunnel ist der tiefste Tunnel der Welt, da er unter bis zu 2300 Metern Gestein verläuft. Er hat nur geringfügige Steigungen und keine engen Kurven auf einer Höhe von maximal 550 Metern über dem Meeresspiegel. Experten sprechen daher von einer "Flachbahn".
Was soll der Tunnel bringen?
Das größte Bauprojekt der Schweiz erfüllt eine umwelt- und verkehrspolitische Mission. Die Eidgenossen wollen den Transport von Gütern und Menschen mehr und mehr von der Straße auf die Schiene verlagern. Die Alpenlandschaft soll so geschützt werden. Für die EU ist die Bahnstrecke unter den Alpen eine "lebenswichtige Verbindung" zwischen den Nordsee-Häfen von Rotterdam und Antwerpen und den Adria-Häfen. Der Nord-Süd-Verkehr quer durch Europa soll durch den Tunnel flüssiger werden.
Am Gotthard werden bereits 69 Prozent der Gütermenge per Bahn befördert und nur noch 31 Prozent per Lastwagen. Mit Hilfe des neuen Bahntunnels und einer höheren Lkw-Maut soll die Zahl der Lkw-Fahrten weiter gedrückt werden.
Größter Vorteil des Tunnels
Die Geschwindigkeit, mit der Züge die Alpen passieren. Personenzüge können den Tunnel mit Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 250 Stundenkilometern durchfahren. Ausgelegt ist der Tunnel auf zwei Personenzüge pro Stunde und Richtung. Dank der neuen Bahnstrecke soll sich die Reisezeit zwischen Zürich und Mailand nach Angaben der Schweizerischen Bundesbahnen zunächst um rund eine halbe Stunde verkürzen, ab 2020 ist sogar eine Zeitersparnis von rund einer Stunde möglich. Die Verbindung zwischen Zürich und Lugano soll sich um 45 Minuten auf rund zwei Stunden verkürzen.
Güterzüge brauchen nur noch eine statt zwei Lokomotiven für die Alpendurchquerung oder zwei statt drei für die ganz schweren Züge mit bis zu 2000 Tonnen Gewicht. Statt maximal 180 Güterzügen pro Tag auf der historischen Bergstrecke können es künftig damit bis zu 260 sein.
Wie lange dauerte es von der Planung bis zur Eröffnung?
Das Bauwerk hat eine lange Vorgeschichte: Schon 1947 entwickelte der Schweizer Ingenieur Carl Eduard Gruner die Idee für den Riesentunnel. Nach seinen Vorstellungen sollte das Projekt zum Jahr 2000 fertiggestellt sein - letztlich irrte sich Gruner um 16 Jahre. Der Weg zur Verwirklichung seiner Vision war steinig. 1963 setzte die Schweizer Regierung ein Gremium ein, das den Bau eines Basistunnel unter dem Gotthard prüfen sollte. 1992 und 1998 stimmten die Schweizer in zwei Referenden für den Bau. 1999 begannen schließlich die Arbeiten, 15 Jahre später konnte der Alpen-Durchstich gefeiert werden.
Letztlich profitierte das Bauwerk von der langen Wartezeit von der ersten Idee bis zu deren Realisierung. Hätte Ingenieur Gruner schon vor 69 Jahren begonnen, den Tunnel zu bauen, hätten Arbeiter in einer teuren und gefährlichen Unternehmung einen Weg durch das Gestein sprengen und bohren müssen. Doch durch den Fortschritt in der Bohrtechnik war es schließlich ein hochmodernes und gigantisches Tunnelbohrgerät, das sich quer durch die Alpen fraß, den Abraum hinten auswarf und gleichzeitig vorfabrizierte Betonwände verlegte.
Wer sind Heidi, Sissi und Gabi?
Das sind die Kosenamen für die vier mehr als 400 Meter langen Bohrmaschinen der Firma Herrenknecht aus Baden-Württemberg, Weltmarktführer für Tunnelvortriebstechnik. Millionen von Kubikmetern Gestein haben die "Riesenmaulwürfe" bewältigt. Der erste Bohrkopf mit seinen 9,5 Metern Durchmesser steht heute im Museum.
Fachkräfte aus aller Welt waren am Bau beteiligt. Den weitesten Weg in die Alpen mussten Minenarbeiter aus Südafrika zurücklegen. Sie bohrten bei Sedrun, im mittleren Teil des Tunnelsystems, zwei 800 Meter tiefe Schächte.
Wer profitiert vom Tunnel?
Etwa 70 Millionen Menschen leben an der Achse Rotterdam-Duisburg-Basel-Genua. Dort sind die Regionen mit der höchsten Wertschöpfung und größten Siedlungsdichte Europas. Zwischen Rotterdam und Genua verläuft auf 1400 Kilometern die wichtigste Güterbahn-Trasse des Kontinents. Zwischen 700 Millionen und einer Milliarde Tonnen Fracht rollen auf diesen Gleisen, mehr als die Hälfte der gesamten Nord-Süd-Fracht der EU. Prognosen rechnen mit einer Verdoppelung bis zum Jahr 2030 - wenn die Kapazität vorhanden ist. Das Verkehrshindernis Nummer eins in Europa - die Alpen - stehen nun nicht mehr im Weg.
Was bremst den Güterverkehr auf der Schiene?
Alte Eisenbahntrassen. Noch fehlen leistungsfähige Zubringerstrecken, nicht nur in Deutschland, auch in der Schweiz und in Italien. "Der Tunnel funktioniert nur, wenn die nachgelagerten Schienennetze deutlich ausgebaut werden", sagt Frank Rösch vom Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik. Bis zum Beispiel die 182 Kilometer lange deutsche Zubringerstrecke Karlsruhe-Basel komplett viergleisig ausgebaut ist, dauert es noch bis 2035. Das ist nicht unwichtig: Über diese Strecke kommt fast der gesamte Güterverkehr aus dem Norden in die Schweiz. Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) sieht grobe Versäumnisse bei der Bundesregierung: Sie habe das Ziel der Verlagerung auf die Schiene vernachlässigt, obwohl sie die 17-jährige Bauzeit des Gotthard-Tunnels dafür Zeit hatte.
Warum der Hafen Rotterdam mit Wachstum rechnet
Beim Trassenausbau spielen womöglich auch handfeste wirtschaftliche Interessen eine Rolle. So stellte man sich in Europas größtem Seehafen Rotterdam mit der Fertigstellung des Gotthard-Tunnels auf weiteres Wachstum ein: Schon heute wickeln die Containerterminals dort jede Woche mehr als 550 Güterzüge ab. Das Frachtgeschäft mit den Stahlkisten legt rasant zu. Der Hafen rechnet damit, dass es bis 2020 um die Hälfte zulegt, bis 2035 dürfte sich der Containerumschlag sogar versechsfachen.
Damit die Züge nach Süden und nach Deutschland kommen, modernisierten die Niederlande bereits vor zehn Jahren ihre Eisenbahntrasse für knapp fünf Milliarden Euro. Sie ist, eine Seltenheit in Europa, ausschließlich für den Güterverkehr konzipiert und wird inzwischen von über 450 Zügen in beiden Richtungen pro Tag genutzt.
Ab der deutschen Landesgrenze fahren die Züge nach Duisburg, Köln oder Mannheim dann aber meist vergleichsweise langsam: Denn zwischen Emmerich und Oberhausen ist ein Nadelöhr, das auch von Personenzügen genutzt wird. Erst in den nächsten Jahren soll die Trasse mit Milliardenaufwand aufgerüstet werden. Kritiker vor allem in den Niederlanden vermuteten, dass Deutschland mit der Verzögerung vor allem den Hamburger Hafen als Konkurrenten Rotterdams schützen wollte. Von Hamburg und Bremen in Richtung Hannover und Würzburg verläuft die zweite große Nord-Süd-Trasse.
Die Schweizer können einfach Großprojekte, oder?
Das lässt sich so nicht sagen. Dennoch: Beim Mammut-Bauwerk Gotthard-Basistunnel lief so ziemlich alles besser als bei vergleichbaren Projekten in Deutschland, wie "Stuttgart 21", der Hamburger Elbphilharmonie oder des Berliner Flughafens BER. Sicher: Auch beim Gotthard-Jahrhundertbauwerk liegen die Kosten von gut zwölf Milliarden Franken über der prognostizierten Summe von rund acht Milliarden Franken. Und es gab Bauverzögerungen. Aber die Schweizer konnten rasch gegensteuern. Auch, weil es in allen Bauphasen große Transparenz und strenge öffentliche Kontrolle durch einen Parlamentsausschuss gab. So blieben die Kosten seit 2008 im Plan. Und der nach einer Verzögerung durch 2007 nötig gewordene Änderungen anvisierte Termin 2017 konnte sogar um ein Jahr unterboten werden.
Eröffnung - und dann?
Heute gibt es erstmal einen Staatsakt und Volksfeste in den Schweizer Alpen. Zu den Ehrengästen bei der Einweihung des Gotthard-Basistunnels gehören Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsident François Hollande, der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi und Österreichs Kanzler Christian Kern. Zu den ersten Fahrgästen der Eröffnungszüge gehören 1000 per Los ermittelte Einwohner der Schweiz. Damit danken Regierung und die Schweizerischen Bundesbahnen der Bevölkerung symbolisch dafür, dass sie das Milliardenprojekt mit ihrer Zustimmung bei einem Volksentscheid sowie als Steuerzahler möglich gemacht hat.
Bis zur Aufnahme des regulären Bahnbetriebs wird noch einige Zeit vergehen. Erst nach 3000 weiteren Testfahrten soll die Strecke kurz vor Weihnachten endgültig freigegeben werden. Dann endlich kann der 1882 in Betrieb genommene Gotthardtunnel zwischen Göschenen und Airolo in die Ruhestandsreserve geschickt werden.
(Mit Material von dpa, AFP, Reuters, epd)