Golfstrom

Golfstrom Was wird aus der "Heizung Europas"?

Stand: 20.07.2017 11:00 Uhr

Spekulationen rund um den Golfstrom gibt es einige - verlässliche Erkenntnisse dafür weniger. Nun fassen Experten den wissenschaftlichen Stand zusammen. Eine der Aussagen: So bald wird der Strom nicht abreißen. Entwarnung ist damit aber nicht gegeben.

New York im ewigen Eis eingefroren - Roland Emmerichs Film "The Day After Tomorrow" hat das Thema populär gemacht: Was ist, wenn der Golfstrom abreißt? Kann es - als Folge des Klimawandels - dazu kommen? Und welche Auswirkungen hätte das? Fragen, die immer wieder mit einzelnen Studien scheinbar beantwortet wurden. Mit Ergebnissen allerdings, die einander widersprechen und die zu spektakulären Schlagzeilen geführt haben, aber nicht zu neuen Erkenntnissen. Jetzt versuchen Wissenschaftler verlässliche Antworten jenseits der Schlagzeilen zu geben - in einer 20-seitigen Broschüre des Deutschen Klimakonsortiums und des Konsortiums Deutsche Meeresforschung, die jetzt im Internet steht.

Autoren sind unter anderem Professor Mojib Latif vom Helmholtzzentrum für Ozeanforschung in Kiel, Professor Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Professorin Monika Rhein von der Uni Bremen. Sie fassen den Stand der Wissenschaft zusammen.

Das größte Problem: Es gibt kaum wirklich belastbare Daten aus der Zeit vor der Jahrtausendwende. Einzig die Temperaturen an der Meeresoberfläche werden schon seit 100 Jahren gemessen. Aber erst seit 1995 sind feste Strömungsobservatorien entlang des Golfstromes eingerichtet worden, seit 2000 gibt es ein Messnetz von sogenannten Drift-Bojen, die mit der Strömung ziehen. Beides wird in kommenden Jahrzehnten mehr Informationen bringen. Eine auch nur halbwegs sichere Aussage über die bisherige Entwicklung ist deshalb schwierig.

Golfstrom

Eine Satellitenaufnahme des Golfstroms im Atlantik.

Kein "Abreißen", aber "Abschwächen"

In den vergangenen 20 Jahren, so die Bilanz der Wissenschaftler, ist die Warmwasserheizung Europas aber recht stabil gewesen. Stärke und Temperatur der Meeresströmung variieren von Natur aus aber sehr. Deshalb braucht man viele Daten über lange Zeit, um einen möglichen Einfluss durch den menschengemachten Klimawandel belegen zu können.

Die zweite Nachricht der Wissenschaftler: Der Golfstrom wird in absehbarer Zeit keineswegs "abreißen". Effekte, auch nur annähernd so stark wie im Film, seien "ein äußerst unwahrscheinliches Szenario". Aber: Es spricht viel dafür, dass die Strömung schwächer wird. Und das ist keineswegs so beruhigend, wie es klingt.

Der Klimawandel wird die Meeresströmungen in Zukunft deutlich beeinflussen. Das System von warmen Oberflächenströmen, wie etwa dem Golfstrom, und kalten Tiefenströmungen durchzieht die Ozeane rund um den Globus und ist miteinander eng verwoben. Ein sehr kompliziertes System, das die Klimamodelle bislang nur ungenügend widerspiegeln können. Wenn man allerdings viele Modelle mit unterschiedlichen Annahmen vergleicht, zeigt sich nach Aussage der Forscher fast durchgängig eine Abschwächung des Golfstromes. Die könnte bis zum Ende des Jahrhunderts im schlimmeren Fall rund 30 Prozent betragen.

Zurückhaltung bei möglichen Folgen

Bei der Beschreibung der möglichen Auswirkungen halten sich die Forscher zurück. Sie verweisen nur darauf, dass der Fischreichtum an Europas Küsten bislang vor allem dem Golfstrom zu verdanken ist, genau so wie das milde, ausgeglichene Wetter, das hohe landwirtschaftliche Erträge erlaubt. Außerdem würde ein schwächerer Golfstrom dazu führen, dass der Meeresspiegel in Europa durch den Klimawandel stärker ansteigt als im globalen Durchschnitt. Da sind 30 bis 80 Zentimeter in diesem Jahrhundert vorhergesagt.

Da durch den Klimawandel die Meeresströmungen rund um den Globus betroffen wären, können schon kleine Veränderungen dazu führen, dass die Phase relativ stabiler Witterungsverhältnisse, die die vergangenen 10.000 Jahre geprägt hat, zu Ende ginge. Es war die Zeit, in der die Menschheit die ersten Großkulturen entwickeln konnte - also das, was wir "Zivilisation" nennen.

Eine große Unbekannte in den Rechnungen bleibt das arktische Eis. Seit Beginn der Satellitenmessungen verliert der grönländische Eispanzer jährlich 270 Milliarden Tonnen an Masse. Das ist Schmelzwasser, das vom Land ins Meer übergeht. Und es ist Süßwasser. Das ist leichter als Salzwasser und kann die globalen Meeresströmungen zusätzlich stark beeinflussen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten am 20. Juli 2017 Deutschlandfunk um 11:39 Uhr und die tagesschau um 12:00 Uhr.