Glyphosat-Zulassung Gescheitertes Kalkül
Am Donnerstag stimmt die EU erneut über Glyphosat ab. Die Bundesregierung enthielt sich bei solchen Anlässen bisher immer. Interne E-Mails, die dem WDR und der SZ vorliegen, zeigen, wie deutsche Behörden intern über das Krebsrisiko streiten.
"Wahrscheinlich krebserregend" - so lautete vor zwei Jahren das Urteil der Weltgesundheitsorganisation zu Glyphosat. Die Wissenschaftler der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) widersprachen damit dem positiven Votum der deutschen Prüfbehörde.
Obwohl das IARC weltweit als eine der wichtigsten Instanzen bei der Analyse von Gesundheitsrisiken gilt, wollten die deutschen Prüfbehörden im Landwirtschaftsministerium offenbar unbedingt an ihrem bisherigen Votum festhalten.
Demonstration für ein Verbot des Unkrautvernichters Glyphosat Ende Oktober in Brüssel.
Hilfe vom Hersteller Monsanto
Die deutschen Behörden bekamen dabei auch Hilfe vom Glyphosat-Hersteller Monsanto. Als am 20. März 2015 die Kurzfassung des kritischen IARC-Urteils in der medizinischen Fachzeitschrift "The Lancet" erschien, reagierte der Konzern prompt. Seine 27 Seiten lange Erwiderung lag noch am selben Tag auf dem Tisch der Beamten.
Zwischen den Behörden, die dem Agrarministerium unterstehen, schlossen sich offenbar sofort die Reihen. In internen E-Mails heißt es: "Anbei die Veröffentlichung, auf die Monsanto Bezug nimmt. Ziel wäre es, bei Presseanfragen gleichlautende Informationen herauszugeben." Und: "Wir werden wahrscheinlich mit einer Flut von Anfragen rechnen müssen, da bestimmte NGOs auf eine derartige Bewertung nur gewartet haben und sich jetzt in Ihrer Einschätzung bestätigt fühlen".
Umweltbundesamt änderte Einschätzung
Alarmiert von den Ergebnissen des IARC zeigte sich dagegen das Umweltbundesamt (UBA), das dem Umweltministerium untersteht. Dort hatte man noch 2014 eine deutliche Zunahme von Glyphosat-Konzentrationen im Urin junger Erwachsener als "toxikologisch nicht besorgniserregend" eingestuft. Das ändert sich mit dem IARC-Urteil. In einem Brief vom 25. September 2015, unterzeichnet von UBA-Chefin Maria Krautzberger heißt es: Aus Vorsorgegesichtspunkten könne schon "beim Verdacht auf ein krebserzeugendes Potenzial nicht von Unbedenklichkeit gesprochen werden". Die vorherige Aussage habe "nicht weiter Bestand".
Hinter den Kulissen reagiert Andreas Hensel, der Leiter des für die Prüfung zuständigen Bundesinstituts für Risikoforschung, irritiert auf den Sinneswandel im Umweltbundesamt. Die angekündigte Änderung der Bewertung sei "verfrüht und darüber hinaus sachlich nicht gerechtfertigt", schrieb er an UBA-Chefin Krautzberger. Später gerät sein Institut in die Kritik, weil es Risikoanalysen des Glyphosat-Herstellers Monsanto nahezu unverändert in seinen Prüfbericht übernommen habe, ohne dies kenntlich zu machen. Dies sei üblich und anerkannt, rechtfertigte dazu jüngst die Behörde in einer Pressemitteilung.
Eine mit Glyphosat belastete Erdprobe im Labor der Agrar- und Umweltwissenschaftlichen Fakultät der Universität Rostock.
Behördenstreit lähmt Bundesregierung
Auf Anfrage erklärte ein Sprecher des BfR dem WDR und der "Süddeutschen Zeitung", man habe nach der Veröffentlichung der Einschätzung der IARC die Krebsgefahr erneut überprüft. Dabei sei auch das IARC-Gutachten berücksichtigt worden. "Im übrigen arbeiten die beteiligten Behörden in der Gefahreneinschätzung und Risikobewertung unabhängig."
Auch wenn das Umweltbundesamt seine Bedenken äußerte, spielten sie bei der Bewertung des Wirkstoffes keine Rolle. Denn Gesundheitsrisiken fallen allein in den Aufgabenbereich des BfR. Offiziell votierte das Umweltministerium zwar gegen Glyphosat, aber mit einer Begründung, die seine Zuständigkeit betrifft. Es sieht die Artenvielfalt bedroht. Der Behördenstreit ist Grund dafür, dass sich die Bundesregierung auf EU-Ebene bei den zurückliegenden Abstimmungen über Glyphosat bisher enthielt.
Taktik und Kalkül
Agrarminister Christian Schmidt kritisierte Umweltweltministerin Barbara Hendricks immer wieder wegen ihrer ablehnenden Haltung. Für die Bauern sei Glyphosat unverzichtbar. Intern kam der Zwist aber so Manchem nicht ungelegen. "Bei so einer Konstellation läuft es häufig auf eine Stimmenthaltung hinaus. Das wäre für das BMEL (gemeint: Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft) nicht das Schlechteste", hieß es in E-Mails an die Leitungsebene der nachgeordneten Behörde.
Die Taktik: Der Glyphosat-kritischen deutschen Öffentlichkeit kann kommuniziert werden, dass Deutschland nicht für die erneute Zulassung des Pflanzengifts stimmt. "Wegen der überwiegenden Mehrheit der anderen Mitgliedstaaten würde der Wirkstoff aber trotzdem genehmigt werden", so das Kalkül.
Doch so kam es dann nicht. Da unter anderem Frankreich gegen eine Verlängerung im bisher geplanten Rahmen votiert, ist es nun ausgerechnet Deutschlands Stimme, auf die es ankommen könnte. Der politische Druck ist enorm. Kommissionschef Jean-Claude Juncker droht: Eine Enthaltung sei keine Haltung.
Glyphosat ist eine chemische Verbindung aus der Gruppe der Phosphonate. Es ist Hauptbestandteil verschiedener am Markt erhältlicher Unkrautvernichtungsmittel. Pflanzenschutzmittel, die Glyphosat enthalten, gehören zu den weltweit am häufigsten verwendeten Herbiziden. Pflanzen nehmen Glyphosat durch ihre Blätter und andere grüne Pflanzenteile auf. Glyphosat blockiert die Produktion bestimmter Aminosäuren, die wichtig für das Wachstum der Pflanzen sind. Während die Internationale Behörde für Krebsforschung (IARC), eine Unterorganisation der WHO, in einer neuen Bewertung zum Schluss kommt, das Glyphosat für den Menschen wahrscheinlich krebserzeugend ist, ergaben zuvor andere Studien - wie die der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) - keine Hinweise darauf. 2015 kritisierten 96 Wissenschaftler aus 25 Ländern die Ergebnisse der EFSA-Studie, und forderten die Europäische Kommission auf, "das fehlerhafte Ergebnis der EFSA zu Glyphosat bei Ihrer Formulierung der Umwelt- und Gesundheitspolitik in Bezug auf Glyphosat außer Acht zu lassen und eine transparente, offene und glaubwürdige Prüfung der wissenschaftlichen Literatur zu verlangen".