EU-Beobachter im georgischen Grenzgebiet Das 50-Prozent-Dilemma
Die EU-Beobachter bleiben ein weiteres Jahr im Grenzgebiet zu Georgien. Die Europäische Union verlängerte die Mission der 360 Männer und Frauen. Doch es bleibt eine halbe Mission - gegen den Willen Russlands ist nichts auszurichten. Die Lage in Georgien hat sich nach Ende des Krieges zwischen Georgien und Russland inzwischen stabilisiert.
Von Silvia Stöber, tagesschau.de
"Neben der Brücke auf der anderen Seite des Flusses stehen weiße Zelte. Das ist ein Camp der russischen Grenzschützer", erklärt Manfred Meyer. Er ist Einsatzleiter im EU-Beobachterbüro in Zugdidi, das für die Grenzregion zwischen Georgien und Abchasien zuständig ist. Einige hundert Meter entfernt von Meyer fließt zwischen üppigem Grün der Grenzfluss Enguri.
Die Brücke führt von der georgischen auf die abchasische Seite. Doch für die EU-Beobachter ist auf der Mitte der Brücke Schluss. Weiter dürfen sie nicht. Wie viele Russen in dem Ende Mai errichteten Camp auf abchasischer Seite stationiert sind, können die EU-Beobachter nur schätzen. Ob professionelle Grenzschützer des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB oder die weniger disziplinierten, oftmals angetrunkenen abchasischen Milizen den Übergang kontrollieren, lassen sich die EU-Beobachter von den Georgiern erzählen, die für kurze Zeit zu ihren Verwandten und Häusern auf der anderen Seite gehen.
Russland verweigert den Zutritt
Meyer nennt es das "50-Prozent-Dilemma": Zwar haben die EU-Beobachter laut Sechs-Punkte-Friedensabkommen vom vergangenen Jahr das Mandat, auch die von Georgien abtrünnigen Gebiete Abchasien und Südossetien zu kontrollieren. Doch verweigerten die Russen und die Führungen beider Gebiete den EU-Beobachtern von Anbeginn den Zutritt. So bleibt ihnen nur die Möglichkeit, das Grenzgebiet auf georgischer Seite zu kontrollieren, um neuerliche Auseinandersetzungen zwischen den Konfliktparteien zu verhindern.
Provokationen vermeiden
Die Georgier zeigen sich kooperativ: Sie willigten in eine zusätzliche Vereinbarung ein, in unmittelbarer Nähe der Grenzlinien zu Abchasien und Südossetien nur ein Bataillon und fünf Geschütze zu stationieren. Nach Aussage von EU-Missionschef Hansjörg Haber halten sie dies auch ein. "Damit ist sichergestellt, dass von georgischer Seite keine Provokationen ausgehen, auf die die andere Seite mit einem Einsatz an der administrativen Grenzlinie reagieren könnte", erläutert der deutsche Diplomat. So werde indirekt auch auf der anderen Seite für eine Stabilisierung gesorgt.
Kontakt per Telefon
Inzwischen gelang es den EU-Beobachtern, Kontakt zur anderen Seite herzustellen. Sowohl mit abchasischen Milizionären als auch mit russischen Offizieren gab es Treffen, Telefonnummern wurden ausgetauscht. Nun können die EU-Beobachter bei Zwischenfällen die Informationen von beiden Seiten abgleichen. Darüber seien einige Georgier nicht so glücklich, sagt Meyer. Denn der Kontakt zur anderen Seite ergibt mitunter ein anderes Bild als von den Georgiern dargestellt.
Wirklich problematisch ist jedoch, dass es in einigen wesentlichen Punkten des Friedensabkommens keine Bewegung gibt: Die Georgier, die während des Krieges aus Südossetien und Abchasien flüchten mussten, können nicht zurück. Vor allem die georgischen Dörfer um das südossetische Zchinwali sind zerstört. Hinzu kommt, dass Russland nicht nur mehr Truppen in Abchasien und Südossetien als vor dem Krieg stationiert hat, sondern auch einige Gebiete zusätzlich kontrolliert. Dazu gehört das Achalgori-Tal, das keine 50 Kilometer nördlich von Georgiens Hauptstadt Tiflis liegt.
Machtlos gegenüber Russland
Als Provokation wurde es in Tiflis empfunden, dass Russlands Präsident Dimitri Medwedjew kürzlich einen Besuch in Zchinwali abstattete. Machtlos mussten die Georgier auch mit ansehen, wie die Regierung in Moskau im April mit den beiden abtrünnigen Gebieten Abkommen über deren militärischen Schutz abschloss. Inbegriffen sind neben der Grenzüberwachung auch Manöver der russischen Truppen. Russland erklärte dies für legitim, da es beide Gebiete nach dem Krieg als unabhängig anerkannt hat - bislang allerdings als einziges Land neben Nicaragua.
Vor dem Hintergrund des Streits um den Status Abchasiens und Südossetiens sorgte Russland auch dafür, dass die Mandate für die Missionen der UNO und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) für die Konfliktgebiete nicht verlängert wurden. So steht die EU-Mission nun allein mit der Verantwortung da und muss sich wohl - anders als zunächst erwartet - auf längere Zeit in Georgien einrichten.
Gezielter Anschlag auf die Mission
Die georgische Regierung zeigt sich einerseits froh, dass die EU im Land ist. Andererseits wird bezweifelt, dass deren unbewaffneten Beobachter einen wirksamen Schutz gegen die Russen bieten, die in den abtrünnigen Gebieten schalten und walten, wie sie wollen.
Dass der Einsatz der EU-Beobachter in Georgien riskant ist, zeigt ein Ereignis Mitte Juni: Bei einer Patrouillenfahrt an der abchasischen Grenze wurde ein ungepanzertes Sanitätsfahrzeug von einer Mine getroffen. Ein georgischer Fahrer starb. Auch wenn die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind, so geht EU-Missionschef Haber davon aus, dass es sich eindeutig um eine Attacke auf die Beobachter handelte.
Kommunikationskanäle offen halten
Seit Beginn der Patrouillen im Oktober 2008 wurden in der Grenzregion sieben georgische Polizisten getötet, aber nur zwei davon in diesem Jahr. Bilanzierend sagt Haber: "Wir sind auf dem Weg, den Konflikt wieder einzufrieren" - nur um seine Wortwahl sofort wieder zu relativieren: Dies sei doch ein unpassender Ausdruck, da "eingefrorene Konflikte" erneut eskalieren könnten. Die EU-Beobachter verwendeten deshalb viel Energie darauf, die Kommunikationskanäle zwischen den Konfliktparteien offen zu halten - auch wenn dies sehr mühsam ist.