Interview

Nach dem Krieg in Georgien EU-Beobachter zwischen den Fronten

Stand: 07.10.2008 12:09 Uhr

Die EU-Mission in Georgien steht vor einer entscheidenden Phase: Bis Ende der Woche sollen die russischen Soldaten die Pufferzonen um die abtrünnigen Gebiete verlassen und die EU-Beobachter die Überwachung der Grenzlinie übernehmen. Es sei zu erwarten, dass die Russen abziehen, doch müsse mit weiteren Spannungen an den Grenzen gerechnet werden, sagte EU-Missionschef Hansjörg Haber im Interview mit tagesschau.de.

tagesschau.de: Als die EU-Mission am Mittwoch ihre Arbeit aufgenommen hat, hieß es zunächst von russischer Seite, die Beobachter dürften nicht in die Pufferzonen um die abtrünnigen Gebiete Abchasien und Südossetien. Später gab die russische Seite nach. Erwarten Sie für Freitag eine ähnliche Situation, wenn sich die russischen Soldaten ganz aus diesen Zonen zurückziehen sollen?

Haber: Nein. Wir bekommen jetzt einheitlichere Signale sowohl von der politischen als auch von der militärischen Seite der Russen. Insofern glauben wir, dass Russland jetzt koordiniert handelt. Wir sind auch aufgrund der derzeitigen Aktivitäten der Russen zuversichtlich. Am Sonntag haben sie einen ersten Checkpoint abgebaut. Für Mittwoch haben sie den Abbau weiterer Checkpoints südlich von Abchasien angekündigt.

tagesschau.de: Was erwarten Sie von georgischer Seite und was werden die EU-Beobachter tun?

Haber: Die Georgier müssen schnell die Kontrolle übernehmen und in den betroffenen Gebieten für Recht und Ordnung sorgen. Wir Europäer müssen ebenso schnell reagieren und sie dabei beobachten. An der Grenze wird es sicherlich noch weitere Spannungen geben. Man kann Zwischenfälle nicht völlig ausschließen. Aber es ist unsere Aufgabe, das so weit wie möglich zu verhindern – so weit wir das durch Beobachtung können. Wenn es dennoch passiert, dann werden wir objektiv und nach den höchsten professionellen Standards darüber berichten.

Zur Person

Der Leiter der EU-Mission in Georgien ist deutscher Diplomat. Vor seinem Einsatz in Tiflis war Hansjörg Haber Botschafter Deutschlands in Beirut. Auch an den Botschaften in Moskau, Ankara, Paris, Manila hatte er Posten inne. Zwischendurch arbeitete er in der UN-Abteilung des Auswärtigen Amtes, zuletzt war er deren Leiter.

tagesschau.de: Von russischer Seite gibt es Befürchtungen, die georgischen Polizisten könnten mit schwerer Bewaffnung an die Grenzen zu Südossetien und Abchasien vorrücken. Was sagen Sie dazu?

Haber: Wir werden von den georgischen Behörden eng über ihren Planungsprozess informiert. Demzufolge werden die georgischen Polizeieinheiten nicht stark bewaffnet sein. Insofern gehen wir davon aus, dass es nicht zu Schwierigkeiten kommen wird. In der Provinz von Gori wird die Polizei mit einer Gesamtstärke von 800 Leuten bleiben. Das ist aus unserer Sicht angemessen. Trotzdem lassen sich Missverständnisse nicht völlig ausschließen.

tagesschau.de: Was ist, wenn die EU-Beobachter, unter denen derzeit 25 Deutsche sind, zwischen die Fronten geraten?

Haber: Unsere Beobachter sind zumeist Zivilpolizisten. Wir haben aber auch viele zivile Beobachter hier. Wir haben für sie detaillierte Verfahrensregeln ausgearbeitet, wie sie sich in Konfliktsituationen verhalten sollen. Insbesondere für Zivilpolizisten sind solche schwierigen Situationen nichts Neues. Die gibt es ja auch in deutschen Großstädten. Wenn es allerdings sehr brenzlig wird, müssen sich die Beobachter wahrscheinlich zurückziehen.

Priorität hat der 10. Oktober - als Rückzugsdatum

tagesschau.de: Ursprünglich war der Einsatz der EU-Mission auch in Abchasien und Südossetien vorgesehen, was Russland aber ablehnt. Haben Sie schon Kontakt zu den Vertretern der abtrünnigen Provinzen selbst aufgenommen?

Haber: Wir haben wahnsinnig schnell unsere Beobachter nach Georgien verlegt und wir leben gewissermaßen von der Hand in den Mund. Unsere erste Priorität ist der 10. Oktober als Rückzugsdatum für die russischen Kräfte, die noch in den angrenzenden Gebieten zu Südossetien und Abchasien sind. Natürlich planen wir weiter, aber erstmal müssen wir den Blick auf den 10. Oktober richten.

EUMM (European Union Monitoring Mission)

Die EU-Mission in Georgien nahm am 1. Oktober 2008 mit mehr als 200 unbewaffneten Beobachtern ihre Arbeit auf. Sie überwacht die Umsetzung der am 12. August und 8. September 2008 von der EU vermittelten Vereinbarungen zwischen Russland und Georgien. Dazu zählten vor allem zu Beginn die Normalisierung und Stabilisierung der Lage. Aufgabe der EUMM ist es auch, zur Vertrauensbildung zwischen den Konfliktparteien beizutragen und objektive Informationen zu liefern. Russland, Südossetien und Abchasien verweigern es der Mission allerdings, in den abtrünnigen Gebieten zu patrouillieren. Erster Leiter der Mission war der deutsche Diplomat Hansjörg Haber. Anfangs stellte Deutschland 48 Mitarbeiter, das Budget der Mission betrug 49,6 Millionen Euro.

tagesschau.de: Wie läuft die Zusammenarbeit mit der georgischen Regierung und mit Präsident Michail Saakaschwili, der nicht nur von russischer Seite kritisiert wird?

Haber: Unser wichtigster Partner ist das Innenministerium. Das ist klar, denn die Georgier betrachten Südossetien und Abchasien nach wie vor als Teile von Georgien. Die EU erkennt das an. Mit dem Ministerium haben wir eine sehr intensive Zusammenarbeit. Natürlich fördert auch der Präsident die Mission. Das ist letzte Woche beim Besuch des EU-Außenbeauftragten Javier Solana deutlich geworden.

Vertrauensbildung über die Grenzen hinweg

tagesschau.de: Aus der Opposition Georgiens kommen erste Forderungen nach neuen Protesten gegen den Präsidenten. Ist zu befürchten, dass Ihre Mission beeinträchtigt wird, wenn die innenpolitische Lage unsicher werden sollte?

Haber: Unsere Aufgabe ist die Stabilisierung und Normalisierung an den administrativen Grenzen zu den abtrünnigen Gebieten und Vertrauensbildung über diese Grenzen hinweg. Ich hoffe, dass diese Aufgabe nicht in Mitleidenschaft gezogen wird von allfälligen politischen Entwicklungen, die wir nicht absehen können. Außerdem müssen Opposition und Regierung ein Interesse an der Normalisierung der Lage zu Südossetien und Abchasien haben. Ich bin zuversichtlich, dass wir unser Mandat  erfolgreich durchführen können.

Die Fragen stellte Silvia Stöber, tagesschau.de (zzt. Tiflis)