Hintergrund

Berichte über Einbrecherbanden "Georgien ist kein Mafia-Land"

Stand: 08.04.2016 21:13 Uhr

Georgische Mafiabanden stehlen und rauben in Deutschland. Rekrutiert werden sie in der georgischen Heimat - so stellen es deutsche Behörden dar. Die georgische Regierung bestreitet dies und nennt gute Gründe.

Von Silvia Stöber, tagesschau.de

Nein, er könne nicht bestätigen, dass Georgier in ihrem Heimatland gezielt angeworben werden, damit sie in Deutschland Einbrüche und Diebstähle begehen - Georgiens Innenminister Giorgi Mghebrishvili versucht, das Ansehen seines Landes zu retten.

Das hat in den vergangenen Monaten gelitten, denn in Zusammenhang mit Berichten über eine steigende Zahl von Ladendiebstählen und Wohnungseinbrüchen ist von einer georgischen Mafia die Rede und den legendenumwobenen "Dieben im Gesetz".

Auch das Bundesinnenministerium sprach anlässlich des Besuchs von Mghebrishvili bei seinem Amtskollegen Thomas de Maizière von einer ansteigenden Kriminalität georgischer Staatsbürger. Verantwortlich dafür seien "straff organisierte reisende Banden", die von ihren Hintermännern gezielt nach Deutschland geschleust würden.

André Schulz, Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (DBK), sagt im Interview mit tagesschau.de, die Routen verliefen über Österreich, Tschechien und Polen. Georgische Staatsbürger stellten dann Asylanträge in Deutschland. Ziel sei aber nicht der Asylstatus, dieser werde Georgiern nur in einem Prozent der Fälle gewährt. Stattdessen nutzten die Georgier die Wartezeit für kriminelle Taten.

2013 seien 4744 Georgier registriert gewesen, gegen die schon einmal ermittelt worden sei. Demnach gelte jeder vierte der offiziell in Deutschland registrierten Georgier als Tatverdächtiger, rechnet DBK-Chef Schulz vor.

In diesem Zusammenhang verwies Michael Nagel, beim BKA Leiter für den Bereich Organisierte Kriminalität, kürzlich in der SWR-Sendung Report Mainz auf die "Diebe im Gesetz".

"Diebe im Gesetz"
Die "Diebe im Gesetz" stehen heute synonym für Mafia-Banden aus dem post-sowjetischen Raum. Der Begriff umschreibt zugleich eine Subkultur der kriminellen Unterwelt. Er entstand, als Gefangene in streng abgeschirmten Straflagern der Sowjetunion ihre eigenen Regeln mit strengen Hierarchien und Ehrenkodex entwickelten - die "Gesetze der Diebe". Dazu zählen auch Gerechtigkeit und soziale Verantwortung unter den Dieben.

In Georgien erlangten die "Diebe im Gesetz" dem Sozialwissenschaftler Jan Koehler von der FU Berlin zufolge bereits in den 60er-Jahren großen Einfluss. In nachsowjetischen Zeiten habe sich eine Mafia neuen Typs durchgesetzt, wenngleich die "Gesetze der Diebe" für junge, unterprivilegierte Männer weiter zur Orientierung dienten, so auch in Georgien, das in den 90er-Jahren vor dem Scheitern stand.

(Jan Koehler: Die Zeit der Jungs, 2000, S. 27)

Kriminelle Strukturen in Georgien weitgehend zerstört

Innenminister Mghebrishvili bestätigt im Interview mit tagesschau.de zwar, dass Georgier in Deutschland das Asylverfahren missbrauchen und kriminell werden. Aber: "In Georgien haben 'Diebe im Gesetz' nur einen Platz, und zwar im Gefängnis." Die "Diebe im Gesetz" und Organisierte Kriminalität allgemein seien in Georgien verboten, eine Mitgliedschaft strafbar.

Die Gesetze dazu wurden bereits zu Beginn der 2000er-Jahre unter dem pro-westlichen Präsidenten Michail Saakashvili beschlossen und rigoros umgesetzt. "Die 'Diebe im Gesetz' und ihre Strukturen wurden zerstört", bestätigt Shota Utiashvili, bis 2012 Chef der strategischen Abteilung im Innenministerium.

Dies änderte sich auch nach 2012 nicht maßgeblich, als eine neue Regierung ins Amt kam, auch wenn ihr vor allem von den Vorgängern vorgeworfen wird, nicht streng genug gegen Kriminalität vorzugehen.

Die Organisierte Kriminalität sei stark vermindert, resümiert Gavin Slade von der Universität Glasgow, der auf Organisierte Kriminalität in Osteuropa spezialisiert ist. Bislang belegten die Statistiken keinen Rückfall, so Slade, auch wenn es hier und da noch einen Kriminellen geben könne und dieser womöglich eine Form politischer Rückendeckung erhalte.

"Diebe im Gesetz" in anderen Ländern aktiv

Dass kriminelle Georgier in Deutschland von ihrem Heimatland aus gesteuert werden, davon geht Slade nicht aus. Möglich sei, dass illegale Migration mittels krimineller Strukturen erleichtert werde. Auch könnten Migranten im Ankunftsland für kriminelle Taten rekrutiert werden. Er bezweifle jedoch, dass Georgier bereits in ihrem Heimatland mit diesem Ziel angeworben werden, so Slade.

Auch in den georgischen Medien findet sich das Thema praktisch nicht. Wenige in der Hauptstadt Tiflis haben je davon gehört und wenn, dann zumeist aus internationalen Medien.

Allerdings waren die "Diebe im Gesetz" und andere Mafia-Banden schon immer sehr mobil und über die Grenzen hinaus aktiv. So verweist Utiashvili darauf, dass "Diebe im Gesetz" in anderen post-sowjetischen Staaten einflussreich geblieben sind. Einige seien als Folge von Bandenkriegen nach Westeuropa ausgewichen, vor allem nach Spanien und Österreich.

Slade wiederum sagt, er habe Belege der deutschen und schwedischen Polizei gesehen, die nahe legten, dass "Diebe im Gesetz" von Spanien, Griechenland oder Frankreich aus Autodiebstähle und Einbrüche in Westeuropa organisieren.

Das BKA spricht denn auch von georgisch dominierten Banden, oder allgemeiner von einer russisch-eurasischen Organisierten Kriminalität - umgangssprachlich Russenmafia.

Einzeltäter und Kleinkriminalität?

Georgiens Innenminister Mghebrishvili betont, man unternehme alles, um georgische Kriminelle auch international zu bekämpfen. So seien die georgischen "Diebe im Gesetz" identifiziert und über Interpol zur internationalen Suche ausgeschrieben worden.

Auch bemühten sich die georgischen Behörden um Kooperation speziell mit Deutschland. 2015 sei ein Polizeiattaché nach Berlin geschickt worden. Es gebe einen Austausch zwischen den Behörden. Gerade habe er die am meisten betroffenen Bundesländer Bayern, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen besucht.

Mghebrishvili betonte, jede begangene Straftat sei eine zu viel. Aber er wolle klarstellen, dass kriminelle Georgier in Deutschland als Einzeltäter handelten und hauptsächlich Kleindiebstähle begingen. Außerdem sei die Zahl der Tatverdächtigen aus Georgien im Vergleich zu denen aus anderen Staaten nicht hoch.

In der Tat liegt ihr Anteil in Bayern unter den nichtdeutschen Tatverdächtigen 2015 bei 0,4 Prozent - weit hinter Türken, Serben und Bürgern vieler EU-Staaten. Auch die BKA-Statistik weist für 2014 lediglich 97 neu ermittelte Tatverdächtige nach 32 im Jahr 2013 auf.

BDK-Chef Schulz bestätigt, georgische Kriminelle seien nur ein Problem von vielen. Erfolge bei der Ermittlung von Tätern seien auch auf die Zusammenarbeit mit den georgischen Behörden zurückzuführen. Dennoch steige die Zahl der Tatverdächtigen bislang weiter.

Georgien als sicheren Herkunftsstaat anerkennen

Auch wenn Kriminelle nicht gezielt in Georgiern angeworben und erst in Westeuropa in organisierte Strukturen eingebunden werden, bleibt also das Problem der wachsenden Kriminalität georgischer Staatsbürger.

Ein Grund ist in der wirtschaftlichen Lage Georgiens zu finden. Die Südkaukasusrepublik leidet unter dem Verfall ihrer Währung. Trotz zahlreicher Reformen seit der Rosenrevolution 2003 blieb die Arbeitslosigkeit hoch. So versuchen viele Georgier ihr Glück im Ausland.

Ohne großartige eigene Ressourcen ist die Südkaukasusrepublik auf internationale Investoren und Touristen angewiesen. Dem so wichtigen internationalen Ansehen können Kriminelle da nur schaden.

So wird Georgiens Botschafter in Deutschland, Lado Chanturia, nicht müde zu betonen, wie weit Georgien auf seinem Weg in Richtung euro-atlantische Strukturen bereits vorangeschritten sei und wie gut insbesondere die deutsch-georgischen Beziehungen seien.

"Georgien ist kein Mafia-Land. Wir haben keine Mafia und die Kriminalität in Georgien ist viel niedriger als in anderen Ländern", sagt Chanturia. Er befürchtet, dass Gegner der im Sommer geplanten EU-Visaliberalisierung für Georgien das Thema ausnutzen. Dabei hätten doch gerade die notwendigen Vorbereitungen wie die Verbesserung der Grenzkontrollen oder der Einführung biometrischer Pässe in Georgien zu mehr Sicherheit beigetragen.

Innenminister Mghebrishvili fordert indes, Georgien zum sicheren Herkunftsland zu erklären. Dann könnten Georgier das Asylverfahren nicht mehr missbrauchen. Österreich sei diesen Schritt bereits gegangen.

Was die georgische Regierung tun kann: Ihren Bürgern verdeutlichen, wie sehr Kriminalität im Ausland dem Ansehen Georgiens schadet und dass Asylmissbrauch am meisten jenen schadet, die wirklich Schutz brauchen.