100. Geburtstag Johannes Paul II. Säulenheiliger mit feinen Rissen
Papst Johannes Paul II. wäre heute 100 Jahre alt geworden. In Polen wird er noch immer sehr verehrt, aber der Missbrauchsskandal der Katholischen Kirche trübt auch die Erinnerung an ihn.
Es sind nicht nur Statuen und Heiligenbilder im ganzen Land sowie Papstfotos in vielen polnischen Wohnungen: Johannes Paul II. ist auch 15 Jahre nach seinem Tod in den Köpfen lebendig, etwa bei Magdalena, Ehefrau des Autors dieses Berichts: Polin, Katholikin, wenn auch nicht allzu aktiv, geboren in den frühen 1980er-Jahren.
Sie sagt: "Dieser Moment, als Johannes Paul II. gestorben ist, ist eine der wenigen Momente, an die ich mich ganz präzise erinnere. Wir sind mit ihm aufgewachsen. Wir wussten vielleicht nicht allzu viel über die Geschehnisse der 1980er-Jahre, aber für uns war er die Verkörperung eines Polen, der sehr viel erreicht hat, den man kannte in der Welt. In der damaligen Zeit war das etwas Unglaubliches."
Kindheitserinnerungen von Duda
Auch der jetzige Staatspräsident Andrzej Duda war gerade erst sieben Jahre alt geworden, als er auf den Schultern seines Vaters in Krakau den Wortes des Papstes lauschte, bei einer dessen Pilgerreisen in die Heimat. "Auch für mich als kleinen Jungen war es ein großes Erlebnis", erzählt er. "Meine Eltern erinnerten sich damals an eine Zeit, in der wir uns alle zusammengerauft haben. Plötzlich erwies sich, dass sehr viele Polen dieselben Überzeugungen haben, dasselbe glauben und denken. Das war ein Durchbruch."
Papst-Worte, kollektiv gespeichert, etwa "verändere das Antlitz der Erde, dieser Erde". Der Papst machte den Landsleuten Mut. Auch die Wende-Ikone Lech Walesa bezog sich auf ihn. Johannes Pauls ideeller Beitrag zur Überwindung des Ostblock-Systems ist heute allgemein anerkannt.
Kurz vor dessen Heiligsprechung sagte der damalige polnische Ministerpräsident Donald Tusk: "Ich bin zwar nicht befugt, Wunder der Heilung zu beurteilen, aber ich kann doch mit vollem Bewusstsein sagen, dass ich selbst Zeuge außerordentlicher Wunder geworden bin, die mit dem Heiligen Vater während seines Pontifikats verbunden waren. Denn was mit uns und in Polen geschah, war ein Wunder."
Papst-Kritik wie im Westen, etwa an der strengen Sexualmoral, spielte im konservativen Polen dagegen nie eine große Rolle. Zu nahe war der Papst den Menschen, durch seine Leistungen, aber auch als Mensch.
Draht zur jungen Generation
Magdalena sagt: "Er hat es geschafft, das Strenge zu überwinden, das die Kirche verkörperlichte. Er hat auf unglaubliche Art und Weise den Draht zur jungen Generation gefunden, ohne die Älteren zu verlieren. Ich glaube, das ist damals nicht so vielen Kirchenleuten gelungen."
Eine Bindekraft, die der katholischen Kirche in Polen zunehmend fehlt. Die heute Jüngeren nämlich wollen von der Kirche immer weniger wissen, vor allem in den großen Städten. Es gebe derzeit kein Land auf der Welt, in der die Jungen sich auf so dramatische Weise von der Religionspraxis der Älteren abwenden wie in Polen, sagt der Theologe Andrzej Kobylinski: "Zusammen mit der tiefen Krise der katholischen Kirche in Polen und der Welt verstärkt sich auch eine Krise der Erinnerung an Johannes Paul II. Das Dynamit, das die Kirche und auch die Erinnerung an Johannes Paul zu sprengen droht, ist das Drama der klerikalen Pädophilie.
Große Wallfahrt entfällt - wegen Corona
Just an diesem Wochenende, da die große Wallfahrt der polnischen Bischöfe nach Rom wegen Corona ausfällt, hat der polnische Filmemacher Thomas Sekielski den zweiten Teil seiner Internet-Dokumentation über den Kindesmissbrauch online gestellt, der wie seine Erstauflage in kurzer Zeit millionenfach geklickt wurde.
Für das kommende Jahr hat nun Sekielski eine dritte Folge in Aussicht gestellt, und es klingt wie die Ankündigung des Sturms auf das polnische Kirchen-Heiligtum schlechthin. Denn diesmal soll es um die Rolle der Kirchenspitze gehen - und auch um Johannes Paul II., der vor genau 100 Jahren im polnischen Wadowice als Karol Woytyla geboren wurde.