Porträt von Muammar al Gaddafi Umworben und geächtet - gefeiert und gehasst
Wohl kaum ein Staatschef der jüngeren Vergangenheit ist im Verlauf seiner Herrschaft so unterschiedlich bewertet worden wie Muammar al Gaddafi. Im eigenen Land wurde er erst als Retter umjubelt, später kämpfte er gegen das eigene Volk. Von den Mächtigen anderer Länder wurde er mal geächtet, mal umworben.
Von Hans Michael Ehl, ARD-Hörfunkstudio Kairo
Anfang März 2011 war Muammar al Gaddafi noch sicher: sein Volk, alle lieben ihn! Sie werden sterben, um ihn zu beschützen. Da hatte er schon Demonstrationen für Reformen in Libyen brutal niederschlagen lassen. Demonstrationen, die in einen erbitterten Bürgerkrieg mündeten. Mindestens 30.000 Menschen sollen getötet worden sein.
Am 1. September 2009, zum 40 Jahrestag seiner Herrschaft, ließ sich Gaddafi noch feiern.
Gaddafi selbst meldete sich mehrmals zu Wort. Berühmt wurde seine Rede, in der er den "Ratten", wie er die Rebellen immer wieder beschimpfte, drohte, sie zu jagen - von Gasse zu Gasse, von Haus zu Haus. Findige Gaddafi-Kritiker mischten die Rede zum Revolutionshit. Spott, den der Revolutionsführer so sicher nicht erwartet hat.
Ein "Grünes Buch" mit Grundlagen seiner Vorstellungen
1942 wurde Gaddafi als Sohn einfacher Beduinen in der Nähe der Stadt Syrte geboren. 1969 wurde er als Retter umjubelt, der Colonel, der zusammen mit einigen Militärs den damaligen libyschen König Idris stürzte. Kurz darauf setzte er seine Vorstellungen einer "direkten Demokratie" durch, in der Volkskomitees über das Schicksal der Menschen und des Staates entscheiden sollen. Die Grundlagen seines Sozialismus fasste er im so genannten "Grünen Buch" zusammen.
Getrieben von Hass gegen jede Form der Kolonialisierung stand Gaddafi für die Eigenständigkeit afrikanischer Staaten ein und schreckte auch vor platten Erklärungen nicht zurück, wie bei einer Rede im westafrikanischen Guinea 2007: "Kennt ihr Pepsi Cola? Natürlich kennt ihr Pepsi Cola. Und kennt ihr Coca Cola? Wenn wir nach Pepsi Cola oder Coca Cola fragen, dann sagen sie immer: Das sind amerikanische oder europäische Getränke, aber das stimmt nicht, denn die Zutaten kommen aus Afrika, sie haben diese Zutaten billig gekauft, haben sie verarbeitet und dann haben sie uns das teurer verkauft. Wir müssen selbst Cola herstellen und verkaufen."
Diktatur statt direkte Demokratie
Seine Vorstellungen von "direkter Demokratie" und Unabhängigkeit endeten in einer Diktatur, in der Gegner brutal mundtot gemacht wurden. Gaddafi bereicherte sich an den Einnahmen aus dem Ölgeschäft, sorgte aber auch dafür, dass der Lebensstandard der Libyer zu den höchsten in Afrika gehörte. In einem Interview sagte seine Mutter einmal, sie sei sehr stolz auf ihren Sohn und auf seine Erfolge. Aber eines könne sie nicht verstehen: warum er immer darauf beharrte, dass sie erst dann statt des Beduinenzelts ein eigenes Haus bekäme, wenn jede andere libysche Familie ein Dach über dem Kopf habe. Gerüchte wonach sein Vater ein korsischer Pilot gewesen sein soll, wurden nie bestätigt.
"König der Könige Afrikas"
Schon 2002 gab Gaddafi die entscheidenden Impulse und die entscheidenden Finanzen zur Gründung der Afrikanischen Union. Als "König der Könige Afrikas" steckte er Milliarden in die Infrastruktur und den Tourismus in verbrüderten afrikanischen Ländern, ließ Straßen und Brücken bauen und gewann die Sympathie vieler Afrikaner. Auch deshalb wurde während des Bürgerkriegs lange darüber spekuliert, ob ein afrikanisches Land ihm Asyl gewährt.
Die Liste der Anschläge ist lang
International fielen Schatten auf seine Biografie, als er sich als Terrorpate einen Namen machte. Gruppen wie die deutsche RAF und die irische IRA trainierten in Libyen, er unterstützte Rebellen im Tschad und in Ghana. Über Libyen sollen sowjetische Waffen nach Palästina gekommen sein. Zahlreiche terroristische Anschläge soll er in Auftrag gegeben haben: das Attentat auf US-Soldaten in der Berliner Diskothek La Belle, der Anschlag auf eine US-amerikanische Passagiermaschine, die über der schottischen Ortschaft Lockerbie abstürzte - die Liste ist lang.
Solche Verwicklungen wies er immer weit von sich. So sagte Gaddafi in einem Interview nach der Entführung einer ägyptischen Passagiermaschine nach Malta 1985, die ein blutiges Ende fand, es sei "ganz fremd, nach einer Beziehung zu suchen zwischen Libyen und diesem traurigen Vorfall. Unsere Politik und unsere Moral ist absolut gegen Flugzeugentführungen. Wir sind gegen solche Aktionen oder sogar Versuche, wir unterstützen den gerechten Kampf für die Freiheit in der Welt", so Gaddafi damals.
2003 kommt das Umdenken. Gaddafi verzichtete auf Massenvernichtungswaffen, UN-Sanktionen gegen sein Land wurden aufgehoben. Westliche Staatschefs von Toni Blair bis Gerhard Schröder gaben sich in Tripolis die Klinke in die Hand, um vom Ölreichtum des Landes zu profitieren.
Bei öffentlichen Auftritten fiel er immer durch seine außergewöhnliche und bisweilen provokative Garderobe auf. Beim G8-Gipfel 2009 in Italien hing an seinem Sakko ein Foto des Freiheitskämpfers Omar Mukhtar - der hatte in den 20er- und 30er-Jahren gegen die Kolonialmacht Italien gekämpft. Dessen Sohn hat sich im Frühjahr übrigens auf die Seite der libyschen Rebellen gestellt - gegen Gaddafi.