Zehn-Punkte-Plan zur Flüchtlingspolitik EU will Schlepper-Boote zerstören
Europa reagiert auf die Flüchtlingstragödien im Mittelmeer - mit einem Zehn-Punkte-Plan. Er sieht unter anderen vor, Boote von Schleppern zu zerstören. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte warf der EU vor, in der Flüchtlingspolitik komplett zu versagen.
Die EU-Kommission hat einen Zehn-Punkte-Plan erarbeitet, mit dem sie auf die Flüchtlingstragödien im Mittelmeer reagieren will. Der Plan sieht als ersten Punkt vor, die Seenothilfe im Mittelmeer aufzustocken. Im Gespräch ist, sowohl die finanziellen Mittel zu verdoppeln als auch die Zahl der Schiffe zu erhöhen, die eingesetzt werden können.
Dabei geht es um die beiden Missionen "Poseidon" in der Ägäis und "Triton" vor der Küste Italiens. Angedacht ist auch, deren Einsatzgebiete zu erweitern. Bislang sind sie auf die Küsten der EU-Staaten begrenzt. Viele der Tragödien ereigneten sich aber weit entfernt davon nahe der libyschen Küste.
De Maizière: Deutschland würde mehr Flüchtlinge aufnehmen
Bundesinnenminister Thomas der Maizière hatte noch vor Kurzem gesagt, Seenotrettungsprogramme würden Schlepperbanden anregen, ihr Geschäft fortzusetzen. Auch er unterstützt aber nun den Plan der EU-Kommission. In den tagesthemen sagte er, Deutschland sei auch bereit, eine größere Zahl von Flüchtlingen aufzunehmen. Er forderte aber eine gerechtere Verteilung innerhalb der EU.
Offen zeigte er sich auch dafür, Flüchtlingen mehr legale Wege in die EU zu öffnen. Man müsse aber sicherstellen, dass die wirklich Schutzbedürftigen kämen, sagte de Maizière in dem vorab aufgezeichneten Interview.
Müller: Kommunen können nicht weltweite Flüchtlingskrise lösen
Bundesentwicklungsminister Gerd Müller forderte ein Sofortprogramm der EU in Höhe von zehn Milliarden Euro. "Mit dem Geld müssen wir dann auch in den Fluchtländern konkret handeln. Und zwar mit einem Wirtschafts- und Stabilisierungsprogramm", sagte der CSU-Politiker der "Saarbrücker Zeitung". Dabei müsse es besonders um Libyen gehen.
Müller sprach sich zudem für ein Gesamtkonzept zur Aufnahme und Verteilung der Flüchtlinge aus, an dem sich alle 28 EU-Staaten beteiligen müssten. Die deutschen Kommunen könnten "nicht alleine die weltweiten Flüchtlingskrisen lösen", sagte er der "Bild"-Zeitung.
"Zivil-militärische Operation" gegen Schlepper
Der spektakulärste Punkt in dem Plan der EU betrifft den Umgang mit Booten, die von Schleppern für die Fahrt über das Mittelmeer benutzt werden. Die EU-Kommission schlägt "systematische Anstrengungen" vor, um diese Boote zu beschlagnahmen und zu zerstören. Vorbild sei die militärische Anti-Piraterie-Mission "Atalanta" am Horn von Afrika, sagte der zuständige EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos. "Atalanta" begleitet nicht nur zivile Schiffe, sondern zerstörte mehrfach auch Piratenlager.
Laut Avramopoulos ist dabei eine "zivil-militärische Operation" vorgesehen, für die Europa sich offenbar die Zustimmung der UN holen will. Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi will womöglich noch einen Schritt weiter gehen. "Attacken gegen die Banden des Todes, Attacken gegen Menschenschmuggler gehören zu den Überlegungen", sagte Renzi. Es gehe nicht um einen breiten "Militäreinsatz", sondern um eine "gezielte Intervention".
Staats- und Regierungschefs sprechen Donnerstag über den Plan
Der Zehn-Punkte-Plan war Thema bei einem kurzfristig anberaumten Krisentreffen der Außen- und Innenminister der EU-Staaten in Luxemburg. Er fand dort breite Unterstützung und soll Grundlage eines EU-Sondergipfels am Donnerstag sein, bei dem dann die Staats- und Regierungschefs über die Flüchtlingspolitik sprechen wollen.
Weitere Punkte in dem Plan sind unter anderem ein Pilotprojekt zur besseren Verteilung der Flüchtlinge in Europa und eine bessere Zusammenarbeit verschiedener Behörden.
UN-Hochkommissar: "Monumentaler Mangel an Mitgefühl"
Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini sagte, das Ansehen Europas stehe auf dem Spiel. Viel zu oft sei gesagt worden: "Nie wieder". Jetzt müsse endlich gehandelt werden. Europa habe die "Dringlichkeit" des Problems erkannt und zeige nun eine "starke Reaktion".
Scharfe Kritik an der EU-Flüchtlingspolitik war zuvor vom UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Said Raad al-Hussein, gekommen. Die Hunderten von Toten seien das Ergebnis eines anhaltenden Politikversagens und eines "monumentalen Mangels an Mitgefühl". Statt nach sinnlosen strengeren Abschottungsmaßnahmen zu rufen, müsse die EU endlich legale Fluchtwege und mehr Rettungskapazitäten für das Mittelmeer bereitstellen, so der Hochkommissar.
"Keine Frage des Geldes"
Die für den Haushalt zuständige Vizepräsidentin der EU-Kommission, Kristalina Georgieva, sagte dem "Handelsblatt", eine bessere Flüchtlingspolitik scheitere nicht am Geld. Europa müsse mehr tun, um die humanitären Katastrophen im Mittelmeer zu verhindern. "Das ist aber nicht in erster Linie eine Frage des europäischen Budgets, sondern des politischen Willens", betonte Georgieva.
Bis 2020 stünden der Gemeinschaft rund sieben Milliarden Euro für die Steuerung der Flüchtlings- und Einwanderungspolitik zur Verfügung. Georgieva forderte, "dass wir in Zukunft das Geld, das wir haben, stärker in diesem Bereich einsetzen werden, um solche Tragödien zu vermeiden". Dazu gehöre auch, mehr Geld für die Sicherung der Außengrenzen auszugeben, etwa in Form einer Aufstockung des Budgets der Grenzschutzmission Frontex.
Am Sonntag hatte sich erneut eine Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer ereignet: Vor der libyschen Küste starben Hunderte Menschen. Die genaue Zahl der Opfer ist nicht klar. Inzwischen wird davon ausgegangen, dass bis zu 800 Menschen ums Leben kamen.
Seitdem wurden mehrere weitere Flüchtlingsboote entdeckt, die offenbar in Seenot geraten waren. Italien und Malta starteten Rettungsaktionen.
Die italienische Regierung rief 2013 das Seenotrettungsprogramm "Mare Nostrum" ins Leben. Ziel war es, Migrantenboote im Mittelmeer aufzuspüren und in einen sicheren Hafen zu begleiten. Innerhalb eines Jahres wurden laut der Nachrichtenagentur AFP 170.000 Menschen gerettet und 351 Schleuser verhaftet - dennoch ertranken in dieser Zeit mindestens 3330 Flüchtlinge. "Mare Nostrum" kostete den italienischen Staat pro Monat neun Millionen Euro.
Angesichts zunehmender Flüchtlingszahlen drang Italien darauf, dass die EU die Aufgabe übernimmt, zumal die meisten Migranten in andere EU-Staaten weiterreisen wollen. Ende 2014 wurde "Mare Nostrum" von "Triton " abgelöst, das unter dem Dach der EU-Grenzschutzagentur Frontex angesiedelt ist. Anders als bei "Mare Nostrum" sind die Schiffe von "Triton" nicht bis in libysche Gewässer, sondern nur vor der Küste Italiens unterwegs. Sie sollen die Grenzen überwachen und gegen Schlepper vorgehen, aber nicht aktiv nach Flüchtlingen suchen. Das monatliche Budget beträgt 2,9 Mio. Euro.