Erneutes Drama im Mittelmeer EU-Flüchtlingspolitik unter Druck
Mehr Überwachungsboote, mehr Abstimmung zwischen den EU-Staaten, eine Nachfolge für die Seenotrettungsmission Mare Nostrum - nach dem erneuten Flüchtlingsdrama im Mittelmeer wächst der Druck auf die EU, ihre Flüchtlingspolitik umfassend zu ändern.
Nach der erneuten Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer wächst die Kritik an der EU-Flüchtlingspolitik. Der französische Staatspräsident François Hollande forderte mehr Überwachungsboote im Rahmen der EU-Mission "Triton". Die EU-Innen- und Außenminister müssten sich so schnell wie möglich treffen.
Auch die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini forderte mehr Schutz für Flüchtlingen, die über das Mittelmeer kommen. Das werde auch Thema bei dem EU-Außenministertreffen in Luxemburg am Montag sein. "Wir haben zu oft schon gesagt, nie wieder.“
Auch die EU-Kommission zeigte sich erschüttert. Sie will jetzt nach eigenen Angaben enger mit den Herkunfts- und Transitländern der Flüchtlinge zusammenarbeiten. "Der einzige Weg, die Realität zu verändern, ist, die Situation an den Wurzeln anzugehen", erklärte sie. Solange es Krieg und Armut in der europäischen Nachbarschaft gebe, suchten Menschen einen sicheren Zufluchtsort in Europa. Deshalb sei es wichtig, mit den Drittländern zusammenzuarbeiten. Man bereite ein gemeinsames Treffen von Außen- und Innenministern vor: "Dies bedarf einer gemeinsamen europäischen Antwort."
Seit Jahresbeginn ertranken vermutlich mehr als 1500 Flüchtlinge zwischen Libyen und Italien, das jüngste Unglück mitgerechnet. In der vergangenen Woche trafen nach Behördenangaben zugleich mehr als 11.000 gerettete Flüchtlinge in Italien ein.
Die italienische Hilfsmission "Mare Nostrum" war 2014 eingestellt worden. Hintergrund war ein Streit in der EU, ob solche Missionen ungewollt noch mehr Flüchtlinge zur Überfahrt ermutigen.
Steinmeier will vor allem Libyen stabilisieren
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier sprach im "Bericht aus Berlin" der ARD von "unerträglichen Bildern". Dennoch sei es nicht hilfreich, erneut etwa über mehr Polizeipräsenz im Mittelmeer zu diskutieren - auch wenn diese notwendig sein möge. Er betonte, die politische Lage in Libyen müsse mittels einer Regierung der nationalen Einheit stabilisiert werden, um zu verhindern, dass das Land weiterhin von Schleppern benutzt werde. Zudem müsse diesen durch internationale Zusammenarbeit das Handwerk gelegt werden.
Bundespräsident Joachim Gauck zeigte sich erschüttert und fordert von der EU wirksame Maßnahmen, um solche Tragödien zu verhindern. Er begrüße, dass die EU heute über Konsequenzen beraten wolle, sagte er der dpa. Davon erhoffe er sich substanzielle Ergebnisse, die dem Massensterben im Mittelmeer und dem Schleuserunwesen ein Ende machten.
"Katastrophe mit Ansage"
Grünen-Chefin Simone Peter sprach angesichts des erneuten Dramas hingegen von einer "Katastrophe mit Ansage". Es sei ein "tödlicher Fehler" gewesen, "Mare Nostrum" einzustellen.
Mare-Nostrum-Nachfolger - "ein Gebot der Menschlichkeit"
Frank Schwabe, Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, erklärte, wer jetzt nicht handele, mache sich der unterlassenen Hilfeleistung schuldig. Die Zahlen zeigten, dass eine Nachfolgemission von Mare Nostrum "gerade kein Anreiz für weitere Flüchtlinge wäre, sondern ein Gebot der Menschlichkeit". Bundesinnenminister Thomas de Maizière müsse dies umgehend in der EU durchsetzen.
Auch der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei im Europaparlament, Manfred Weber, forderte schnelles Handeln: "Die EU-Kommission und die EU-Staaten müssen nach dieser neuen Tragödie im Mittelmeer jetzt handeln", erklärte der CSU-Politiker.
"Ein nasses Grab für Tausende Seelen"
In diesen "kritischen Stunden" brauche man "Taten, keine schönen Worte", meinte der griechische Regierungssprecher Gabriel Sakellaridis. "Wir sind alle erschüttert. Das Mittelmeer, das die Kulturen verbindet, ist zu einem nassen Grab für Tausende Seelen geworden."
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International sprach von einer "menschengemachten Tragödie", die hätten vermieden werden können. Für die europäischen Regierungen sei es Zeit, ihre Verantwortung wahrzunehmen und schnell einen zwischen den Staaten abgestimmten humanitären Einsatz zur Rettung von Menschenleben auf See einzurichten.