Vor EU-Treffen zur Balkan-Flüchtlingskrise Kritik, Vorwürfe und Appelle
Die Stimmung vor dem EU-Sondertreffen ist gereizt: Österreichs Innenministerin Mikl-Leitner wirft Deutschland vor, zu wenige Flüchtlinge aufzunehmen. Die Bundesregierung will laut einem Medienbericht in Brüssel dafür sorgen, dass mehr Afghanen abgeschoben werden können.
Die Stimmung vor dem EU-Sondertreffen ist gereizt: Österreichs Innenministerin Mikl-Leitner wirft Deutschland vor, zu wenige Flüchtlinge aufzunehmen. Die Bundesregierung will laut einem Medienbericht in Brüssel dafür sorgen, dass mehr Afghanen abgeschoben werden können.
Vor dem Spitzentreffen zur Flüchtlingskrise in Brüssel hat EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker die Balkanstaaten ermahnt, die Zehntausenden durchreisenden Menschen besser zu versorgen. "Die Staaten entlang der West-Balkanroute müssen geordnete Verfahren und Verhältnisse gewährleisten", sagte er der "Bild am Sonntag". "Jeder Tag zählt. Sonst sehen wir bald Familien in kalten Flüssen auf dem Balkan elendlich zugrunde gehen." Die Kommission erwarte auch, dass sich alle an die geltenden "Spielregeln" hielten, wenn Schengen nicht infrage stehen solle.
Juncker kündigte überdies an, die EU-Außengrenzen besser sichern zu wollen: "Es geht jetzt darum, den Migrationsstrom zu verlangsamen und unsere Außengrenzen unter Kontrolle zu bringen. Wir müssen auch klarmachen, dass Menschen, die an unseren Grenzen ankommen, aber nicht internationalen Schutz suchen, kein Recht auf Zugang in die EU haben." Juncker forderte die Mitgliedstaaten zudem auf, ihre finanziellen Versprechen einzuhalten. "Es fehlen immer noch an die 2,3 Milliarden Euro aus den nationalen Haushalten."
Mikl-Leitner: Deutschland nimmt zu wenig Flüchtlinge auf
Zuvor hatte die österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) erklärt, der Flüchtlingsandrang bringe Österreich an seine Grenzen. "Wir sind am Limit", sagte die Politikerin der "Kronen Zeitung". 6500 Flüchtlinge reisten jeden Tag nach Österreich ein, Deutschland nehme aber nur 4500 Personen auf. "Deutschland übernimmt aktuell einfach zu wenig Flüchtlinge", so Mikl-Leitner.
Sollte die EU-Außengrenze in Griechenland nicht rasch geschützt werden, sei ein Zaunbau an Sloweniens Grenze zu Kroatien "überlegenswert". Das Verhalten der flüchtenden Menschen werde außerdem zusehends panisch, sagte Mikl-Leitner. "Man muss mit Gewalt rechnen - und unsere Polizei wird mit Gegenmaßnahmen reagieren müssen."
Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) warnte in dem Blatt vor einem "leisen Zerfall der EU", sollte keine gemeinsame Lösung gefunden werden. Dass jedes Land zum Schutz eine Mauer baue, dürfe keine Alternative sein.
Tausende neue Flüchtlinge in Slowenien
Weiterhin sind Tausende Menschen auf der Balkanroute unterwegs. Allein von Mitternacht bis zum frühen Morgen seien 3900 Flüchtlinge über das Grenzdorf Rigonce aus Kroatien eingereist, berichtete die slowenische Nachrichtenagentur STA unter Berufung auf die Polizei. 2500 Menschen verbrachten die Nacht am österreichischen Grenzübergang Spielfeld in Zelten, meldete die österreichische Nachrichtenagentur APA.
Auf dem Sondertreffen in Brüssel beraten mehrere EU-Staats- und Regierungschefs heute über einen 16-Punkte-Plan der EU-Kommission, laut dem kein Staat mehr Flüchtlinge ohne vorherige Absprache in ein Nachbarland weiterleiten soll. Dabei sind Spitzenpolitiker aus den EU-Staaten Österreich, Slowenien, Kroatien, Ungarn, Rumänien, Bulgarien sowie Griechenland und Deutschland. Außerdem sind die Nicht-EU-Länder Mazedonien und Serbien vertreten.
Sollen Afghanen verstärkt abgeschoben werden?
Die Bundesregierung will Flüchtlinge aus Afghanistan einem Zeitungsbericht zufolge künftig verstärkt in ihre Heimat abschieben lassen. Laut "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" dringt sie darauf, dass die Staats- und Regierungschefs aus Ländern entlang der Westbalkan-Route ein solches Zeichen setzen. Nach dem Willen des Kanzleramts soll die EU-Kommission in der Schlusserklärung aufgefordert werden, mit Afghanistan ein Rücknahmeabkommen für abgelehnte Asylbewerber auszuhandeln, schreibt die Zeitung. Sie beruft sich auf Regierungskreise und interne Verhandlungsunterlagen.
Die Bundesregierung ist demnach in Sorge, weil Afghanen inzwischen nach Syrern die größte und am stärksten wachsende Gruppe von Asylbewerbern sind. Faktisch bestehe für sie seit Jahren ein Abschiebestopp, obwohl nur knapp die Hälfte von ihnen als schutzbedürftig anerkannt werde. Nach dem Willen der Länderinnenminister dürften Afghanen nur nach "umfassender Einzelfallprüfung" abgeschoben werden. Seit 2012 sei dies in keinem Jahr in mehr als zehn Fällen erfolgt.