Migration aus und in Afrika Auf der Flucht
Aus zahlreichen Ländern Afrikas streben die Menschen nach Europa - aber nicht nur. Auch innerhalb Afrikas sind sie auf der Flucht. ARD-Hörfunkkorrespondenten schildern aus ihren Berichtsgebieten die vielfältigen Schicksale, Fluchtursachen und Ziele.
Durchgangsland Ägypten
Für Flüchtlinge aus Nordafrika, aber auch aus Syrien ist Ägypten ein wichtiges Durchgangsland auf dem Weg nach Europa. Allein 128.000 Syrer haben sich dort offiziell registrieren lassen. Doch viele streben weiter Richtung Europa.
Von Sabine Rossi, ARD-Hörfunkstudio Kairo
In einer kleinen, spärlich eingerichteten Wohnung empfängt Abu Hussam seine Gäste. Die Stühle sind akkurat entlang der Wand aufgereiht. Vor zwei Jahren ist Abu Hussam mit seiner Familie aus Syrien geflohen. Nun leben sie in einem Stadtteil am Rand von Alexandria im Norden Ägyptens. Die Gegend ist fest in syrischer Hand: Der Bäcker backt Brot und Süßigkeiten nach syrischem Rezept, die Falafel sind syrisch genauso wie die Schawarma.
Abu Hussam hat sich beim Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) registriert. Von dort erhält er monatlich Geld. Doch das reiche hinten und vorne nicht.
Nach Angaben des UNHCR haben sich rund 128.000 Syrer offiziell in Ägypten registrieren lassen. Sie sind die größte Gruppe der Flüchtlinge im Land. Wie viele Syrer tatsächlich in Ägypten leben, weiß allerdings niemand. Viele haben Geschäfte und kleine Restaurants eröffnet, andere arbeiten schwarz. Abu Hussam will nicht in Ägypten bleiben. Hier gebe es keine Zukunft für ihn, seinen Sohn, seine Tochter - und schon gar nicht für seine Frau, die dringend eine Operation brauche, sagt er, aber dafür sei eben kein Geld da. Abu Hussam will deshalb weiter nach Europa.
Ägypten ist ein Durchgangsland. In Alexandria bieten Schlepper Überfahrten an. Zwischen 4000 und 5000 Dollar kostet ein Platz auf einem Boot. Wer den Preis nicht sofort zahlen kann, wird auf Pump mitgenommen. In Europa treiben die Schlepper das Geld dann später ein.
Das System ist in Libyen anders: Dort zahlt ein Flüchtling den Schlepper vor der Abfahrt. Der Preis richtet sich nach dem Herkunftsland. Syrer zahlen mehr als Afrikaner. Zwischen 600 und 1000 Dollar kostet eine Fahrt von der libyschen Küste nach Italien. Eine Garantie anzukommen, gibt es nicht.
Ahmad hat Europa erst beim zweiten Versuch erreicht. Beim ersten Mal fiel der Motor aus, die Küstenwache griff die Flüchtlinge auf und brachte sie in ein Abschiebelager. Geschlagen und misshandelt wurde er in dieser Zeit nicht, sagt er. Er habe Glück gehabt. Andere Flüchtlinge berichten hingegen von Schlägen und Stockhieben und davon, dass sie kaum die Möglichkeit haben, sich zu waschen oder auf die Toilette zu gehen.
Ein Jahr auf der Flucht
Ahmad durfte nach einigen Tagen plötzlich und unerwartet gehen. Danach arbeitete er wieder schwarz auf dem Bau, um noch einmal das Geld für die Überfahrt zu verdienen. Mehr als ein Jahr dauerte es, bis Ahmad, der aus dem Süden Syriens geflohen ist, in Deutschland ankam.
Wie die meisten Flüchtlinge, die die Westroute über Libyen nehmen, hatte sich auch Ahmad nicht beim UNHCR registrieren lassen. Offiziell zählt die Hilfsorganisation knapp 28.000 Flüchtlinge, um die sie sich in Libyen kümmert. Während früher viele Menschen aus Ländern südlich der Sahara in Libyen blieben, zieht es sie nun weiter nach Norden.
Denn in Libyen herrscht ein Bürgerkrieg: Das Land ist grob gesagt in zwei Lager gespalten. Es gibt zwei Regierungen und die mit ihnen verbündeten Milizen bekämpfen sich. Von dem Chaos profitieren Extremisten wie die Terrorgruppe "Islamischer Staat" (IS) - genauso wie die Schleuser und Menschenhändler. Sie fangen die Menschen bereits an der südlichen Grenze Libyens ab, zum Beispiel aus dem Sudan.
Folter im Sudan
Erst diesen April hat sich Machthaber Omar al-Bashir erneut zum Präsidenten Sudans wählen lassen - mit 94 Prozent der Stimmen. Die Opposition hatte vor der Wahl zum Boykott aufgerufen. Doch die Opposition sei eine "Hülle ihrer selbst", sagen Beobachter. Etliche kritische Stimmen seien verstummt, im Gefängnis oder ins Ausland geflohen.
Omar al-Bashir regiert seit 26 Jahren das Land mit aller Härte. Menschenrechtsorganisationen berichten von Folter und willkürlichen Verhaftungen. Bashir ist vor dem Internationalen Strafgerichtshof angeklagt wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Völkermord. All dies wird ihm für den Bürgerkrieg in Dafur zur Last gelegt.
In Dafur im Westen des Sudan sowie in zwei weiteren Landesteilen kämpfen Milizen und Rebellen gegen die Soldaten der Zentralregierung. Leidtragende sind die Zivilisten. Etwa zwei Millionen Sudanesen sind im eigenen Land auf der Flucht. Menschenrechtsorganisationen berichten regelmäßig von Übergriffen. Human Rights Watch hat etliche Fälle von Massenvergewaltigungen durch sudanesische Spezialeinheiten in Dafur dokumentiert.
Jonathan Loeb hat für Human Rights Watch mit Opfern aus der Stadt Thabit im Norden von Dafur gesprochen. "Die Soldaten kamen nachts", sagt Jonathan Loeb, "sie schlugen und verhafteten die Männern. Danach vergewaltigten sie fast alle Frauen. Einige von ihnen wurden mehrmals vergewaltigt, von unterschiedlichen Soldaten. Viele berichten, dass sie schwer geschlagen wurden." Die sudanesische Regierung und Präsident Bashir haben den Bericht zurückgewiesen. Internationalen Beobachtern und UN-Soldaten haben sie jedoch verweigert, die Umstände in Thabit zu untersuchen.
Zeitgleich ist Sudan auch ein Land, das Flüchtlinge aufnimmt. Südlich und westlich der Hauptstadt Khartum in Richtung der Grenzen mit Eritrea und Südsudan gibt es zahlreiche Camps. Die meisten Flüchtlinge kommen nach Angaben des UNHCR aus Eritrea und Südsudan.
Fast 800.000 Menschen aus dem Südsudan geflohen
Ende August hatten die Konfliktparteien in Südsudan ein Friedensabkommen unterzeichnet. Zwar haben seitdem die Kämpfe an Intensität abgenommen. Von Frieden ist das jüngste Land der Welt aber noch weit entfernt. Rund 766.000 Menschen sind in die Nachbarländer geflohen. Mehr als 1,6 Millionen weitere haben ihre Häuser verlassen und sind innerhalb des Landes auf der Flucht.
Im Südsudan tobt ein interner Machtkampf. Von den Hoffnungen nach der Unabhängigkeit vom Sudan vor gut vier Jahren, ist nichts geblieben. Im Dezember 2013 entließ Präsident, Salva Kiir, seinen Stellvertreter, Riek Machar, dem er einen Putschversuch unterstellte. Kiir und Machar gehören zwei verschiedenen Volksgruppen an. Beide haben ihnen loyale Soldaten und Milizen um sich geschart. Sie gehen gegen Mitglieder der jeweils anderen ethnischen Gruppe vor - ganz gleich ob Kämpfer oder Zivilisten.
Eine Expertengruppe der Afrikanischen Union hat Ende Oktober einen Bericht veröffentlicht. Darin macht sie beide Seiten für Kriegsverbrechen und extreme Gewalt gegen Zivilisten verantwortlich. Männer, Frauen und Kinder seien gefoltert, vertrieben, vergewaltigt oder getötet worden.
Hilfsorganisationen können in Südsudan kaum noch arbeiten. Zusätzlich zu den Kämpfen verhindern je nach Jahreszeit starke Regenfälle, dass sie zu den Hilfsbedürftigen gelangen. Erst Ende Oktober warnten das Welternährungsprogramm der UN sowie weitere Organisationen vor einer Hungerkatastrophe im Südsudan. Mindestens 30.000 Menschen sind demnach vom Hungertod bedroht. Wegen der Kämpfe sind vielerorts die Trinkwasserleitungen zerstört oder komplette Ernten niedergebrannt.
Nigeria, Mali, Senegal - Fluchtregion Westafrika
Boko-Haram-Terror in Nigeria, Stammesunruhen in Mali: Westafrika gilt seit Jahren als eine der Hauptregionen, aus denen Flüchtlinge nach Europa kommen. Selbst dem politisch stabilen Senegal kehren die Menschen den Rücken.
Von Alexander Göbel und Jens Borchers, ARD-Hörfunkstudio Nordwestafrika
Die Bilder sind um die Welt gegangen: Bilder von Afrikanern, die in Marokko über die Zäune klettern, um die spanischen Exklaven Melilla und Ceuta zu erreichen; Bilder von Menschen, die in Booten ihr Leben riskieren, um auf die italienische Mittelmeerinsel Lampedusa zu gelangen.
Verdrängt werden diese Bilder derzeit von der Flüchtlingskrise in Syrien. Dabei weiß niemand, wie viele Flüchtlinge sich in Westafrika derzeit auf den Weg machen - und wie viele schon auf die Überfahrt warten - in Algerien, in Libyen. Ob Krieg, Korruption oder wirtschaftliche Lage: Die Fluchtursachen sind unterschiedlich. Drei Beispiele.
Nigeria - potenziell reich, in der Realität bitter arm
Nigeria ist wegen seiner Erdöl- und Gasvorkommen ein potenziell reiches Land. Aber von diesem Reichtum kommt bei breiten Bevölkerungsschichten nichts an. Die Vereinten Nationen schätzen, dass nach wie vor etwa die Hälfte der nigerianischen Bevölkerung (178 Millionen Menschen) als arm gilt.
Hinzu kommt, dass auch Menschen mit gutem Bildungsniveau enorme Schwierigkeiten haben, für sich eine aussichtsreiche wirtschaftliche Perspektive zu finden. Die grassierende Korruption im Land erschwert zudem vielen Menschen den Zugang zu Arbeit in der privaten Wirtschaft wie auch im öffentlichen Dienst des Landes.
Der größten Volkswirtschaft Afrikas, Nigeria, gelingt es nicht, ausreichend Arbeitsplätze und Einkommensmöglichkeiten für junge Menschen zu schaffen. Zudem wird die Ökonomie des Landes im Norden massiv durch Terrorismus und seine Bekämpfung beeinträchtigt. Über die wirtschaftlichen Auswirkungen des Boko-Haram-Terrorismus gibt es keine konkreten Zahlen. Aber wichtige Transportrouten im Norden und Nordosten Nigerias gelten als unsicher, mehr als 2,1 Millionen Menschen sind intern auf der Flucht.
Dieses Bündel von Schwierigkeiten bringt vor allem junge Menschen dazu, ihr Glück anderswo zu suchen.
Mali - zwischen Dschihadisten und Drogenkriminalität
Das westafrikanische Land erlebte 2012 seine große Krise. Damals sorgten Stammesunruhen und Dschihadisten im Norden des Landes für eine dramatische Situation. Ein Militärputsch verschlimmerte die Situation zusätzlich. Seitdem versuchen eine Friedenstruppe der Vereinten Nationen sowie eine Vielzahl an Entwicklungsinitiativen, das Land mit seinen etwa 15 Millionen Einwohnern wieder zu stabilisieren.
Eine vor zwei Jahren neu gewählte Regierung weckte zunächst große Erwartungen, konnte aber vor allem die Sicherheitslage und die wirtschaftlichen Nöte vieler Malier bisher nicht entscheidend verändern. Im Norden des Landes suchen deshalb vor allem junge Männer ihr Glück im organisierten Drogenhandel, der quer durch die Sahara immer weiter zunimmt.
Andere schließen sich den Dschihadisten-Gruppen an. Viele Malier suchen aber wegen der Konflikte im eigenen Land und wegen der wirtschaftlichen Misere ihr Glück im Ausland, auch in Europa.
Die Risiken der gefährlichen Reisen Richtung Europa sind vielen durchaus bewusst. Sie versuchen es dennoch und - wenn es sein muss und die Geldmittel es erlauben - teilweise mehrfach. Wer erfolglos zurückkehrt, gilt zu Hause als Versager. Auch deshalb kehren viele Malier, die im Ausland wirtschaftlich keine Perspektive gefunden haben, nur ungern in die Heimat zurück.
Senegal - Musterland, und trotzdem Fluchtbewegungen
Der Senegal dagegen ist inzwischen ein politisch stabiles, offenes Land mit einer demokratischen Tradition - und Frieden: In der Casamance, in der es in der Vergangenheit immer wieder bewaffnete Konflikte gab, herrscht heute vergleichsweise Ruhe. Doch auch wenn im "Musterland" Senegal kein Krieg herrscht, auch wenn keine Hungersnöte zu befürchten sind, auch wenn die Ebola-Epidemie hier kaum Auswirkungen hatte: Senegalesen verlassen in Scharen ihr Land - vor allem die jungen. Fast zwei Drittel der Bevölkerung im Senegal sind jünger als 18 Jahre. Viele sehen keine Perspektive und erklären: "L'Europe ou la mort - Europa oder der Tod."
Rund 600.000 Menschen im Senegal verdienen mit der Fischerei ihren Lebensunterhalt und ernähren ihre Familien. Massive Probleme hatten die senegalesischen Fischer, weil ausländische Flotten ihnen den Ozean leergefischt haben: vor allem Fang-Trawler aus Asien und Europa.
Nach dem Regierungswechsel 2012 löste der neue Präsident Macky Sall zunächst sein Wahlversprechen ein und hob internationale Fischereiabkommen auf. 2014 jedoch unterschrieb er ein neues Abkommen mit der EU: EU-Trawler dürfen nun 14.000 Tonnen Thunfisch pro Jahr vor der senegalesischen Küste fischen - Brüssel zahlt. "Wir verscherbeln unsere Ressourcen und erlauben die Rekolonialisierung durch Europa in diesem Sektor", kritisiert Adama Lam von der Fischerei-Vereinigung GAIPS in Dakar.
Verlässliche Zahlen, wie viele Hektar Land bereits zum Anbau von Biokraftstoffen, Reis, Erdnüssen oder anderen Lebensmitteln für den Export nach China oder Saudi-Arabien an ausländische Investoren vergeben sind, gibt es im Senegal nicht.
Die senegalesische Nichtregierungsorganisation ENDA Tiers Monde und andere klagen seit Jahren lautstark, dass die Landwirtschaft praktisch komplett auf Export und ausländische Investoren ausgerichtet sei. ENDA wehrt sich mit dem Slogan "Fasst mein Land nicht an, das ist meins!" gegen den Ausverkauf ihres Landes.
Knotenpunkt Niger
Die Stadt Agadez in Niger ist ein Knotenpunkt für die Routen der Flüchtlinge nach Europa. Dort soll nach dem Willen der EU ein "Multifunktionszentrum" entstehen. Soll es die Menschen im Elend zurückhalten?
Von Jens Borchers, ARD-Studio Nordwestafrika
Die Europäische Union will bis Ende des Jahres an der Drehscheibe für Menschenschmuggel Präsenz zeigen: In der Region um die Stadt Agadez im Staat Niger. Dort liegt ein Knotenpunkt für die Routen vieler Migranten Richtung Europa. Sie reisen von Agadez aus weiter nach Algerien oder Libyen, um dort auf eines der Boote Richtung EU zu kommen. Bis Ende dieses Jahrs könnten das bis zu 150.000 Menschen sein, schätzen Experten.
Agadez ist das Tor für den Weg durch die Wüste
Chérif Mamadou Diallo ist einer von Tausenden Migranten, die Woche für Woche in Agadez ankommen. Die 130.000-Einwohner-Stadt ist das Tor für den Weg durch die Wüste nach Libyen oder Algerien, um von dort aus irgendwie weiter nach Europa zu kommen.
Diallo ist über Burkina Faso nach Niger gekommen. Das hat ihn schon viel Geld gekostet, denn die Migranten sind willkommene Opfer an den vielen Kontrollpunkten. Dort nehmen ihnen Polizisten gerne mal Geld ab, denn irgendein Reisedokument fehlt immer.
"Kein Geld – kein Weiterkommen!"
"Die Straße, das bedeutet Geld", sagt Diallo ziemlich nüchtern, "kein Geld - kein Weiterkommen!" So erkaufte sich Diallo den Weg bis in die Hauptstadt von Niger, Niamey. Dort saß er fest. Das Geld war ihm ausgegangen. Eine Überweisung von einem seiner fünf Geschwister brachte ihn weiter bis nach Agadez.
Dort versucht er, sich Geld für seine Weiterreise nach Algerien zu verdienen. Denn das funktioniert nur mit Schleusern. Die organisieren von dort aus ein Geschäft, das im Niger - jedenfalls offiziell - verboten ist. Gogo Maimouna, die Direktorin der nigrischen Agentur für den Kampf gegen den Menschenhandel, zählt die angedrohten Strafen auf: "Für das Schleusergeschäft mit Migranten haben wir Gefängnisstrafen von bis zu 30 Jahren und die Beschlagnahmung der Fahrzeuge vorgesehen."
Horrorgeschichten aus der Wüste
Doch diese Drohungen haben das Schleuser-Geschäft bisher offensichtlich nicht massiv beeinträchtigt Es wurde einfach in die Hinterhöfe der Wüstenstadt verlegt. Migranten wie Diallo werden dort bis zum nächsten Wüstentransport zusammengehalten. Die Hinterhöfe werden Ghettos oder auch Foyers genannt.
"So ein Chef eines Foyers verkauft uns einen Sack Reis, wir können uns im Hof Essen machen", erzählt Diallo. Die Migranten müssen Miete zahlen. Viele werden als Lastenträger oder Hilfsarbeiter vermittelt, damit sie sich das Geld für die Fahrt durch die Wüste verdienen können. Über diese Wüstentouren kursieren Horrorgeschichten: Migranten, die einfach in der Wüste ausgesetzt wurden und Banditenüberfälle auf die Transporte.
Drei Tage dauert die mehr als 1700 Kilometer lange Fahrt beispielsweise in die libyische Grenzstadt Sabha. Preis: Bis zu 230 Euro. Zusätzlich müssen die Migranten nachweisen, dass sie Taschengeld haben, um unterwegs Bestechungsgelder oder Wegzoll zu zahlen. So fahren die Migranten zusammengepfercht auf den Ladenflächen von Pickups und kleinen Lastern Richtung Libyen oder Algerien. Diallo sagt: "Ja, das macht mir schon Angst". Aber angesichts der Lage seiner Familie zu Hause in Guinea habe er keine andere Wahl. Klar will er nach Europa. Aber er scheut die gefährliche Reise über das Mittelmeer.
"Multifunktionszentren": Was sie tun sollen, ist unklar
Die Europäische Union will versuchen, Menschen wie Diallo in Agadez aufzuhalten. Dafür will sie bis Ende des Jahres eines oder mehrere "Multifunktionszentren" in und um Agadez einrichten. Bis Ende des Jahres. Was in diesen Zentren genau geschehen soll, ist unklar. Von Aufklärungskampagnen und von Hilfen für Rückkehrwillige ist die Rede. Aber auch von Sicherheitszonen, in die man Migranten, die es nach Europa geschafft haben, wieder schnell abschieben könnte. Raus aus Europa, zurück in eine „Sicherheitszone“ nach Niger. Wo das Zentrum genau entsteht, wie es organisiert und finanziert werden soll, ist ungewiss.
Beschlossen ist noch nichts und umgesetzt auch nicht. Und wie solche "Multifunktionszentren" das florierende Schleuser-Geschäft in Agadez eindämmen sollen, ist auch vollkommen unklar. Kritiker der EU-Pläne sagen schon jetzt: Es sei der Versuch, das Migranten-Problem in Ländern zu halten, in denen die Weltöffentlichkeit nicht so genau hinschaut.
Fluchtziel Südafrika
Wer nicht nach Europa will, flüchtet nach Südafrika: Weltweit steht das Land auf Rang drei, wenn es um Asylanträge geht. Denn noch immer ist die Wirtschaft hier die stärkste Afrikas. Willkommen sind Migranten häufig dennoch nicht.
Von Jana Genth, ARD-Studio Südliches Afrika
Aus dem südlichen Afrika flieht kaum jemand, im Gegenteil: Südafrika ist das Land, das mit Abstand die meisten Flüchtlinge des ganzen Kontinents aufnimmt. Weltweit rangiert Südafrika hinter den USA und Deutschland auf Rang drei der Länder, in denen die meisten Asylanträge gestellt werden. Kein Wunder: das Land ganz im Süden hat nach wie vor die stärkste Wirtschaft in Afrika. Nicht zuletzt Nelson Mandela ist zu verdanken, dass sich das Land dem Schutz der Flüchtlinge verpflichtet hat. Und doch: Die Realität sieht oft anders aus.
Makwerekwere werden sie genannt - manche Südafrikaner beschimpfen die Flüchtlinge und heißen sie nicht mit offenen Armen willkommen. Unterschwellige und offene Fremdenfeindlichkeit ist Alltag. Katastrophal war es 2008, als Einwanderer erschlagen oder bei lebendigem Leibe verbrannt wurden. Im April kam es in Durban erneut zu gewalttätiger Ausländerfeindlichkeit. Mehrere Menschen starben, tausende flohen aus einem Camp, das für die Flüchtlinge errichtet worden war.
Auch um Johannesburg herum kommt es hin und wieder vor, dass Läden geplündert werden, die Asylanten aufgebaut haben. Gerade in der Millionenstadt heizt sich die Stimmung manchmal auf. Ein Mann aus dem Kongo sagte mir, er habe das Gefühl, es bilde sich eine neue Art Apartheid heraus.
Asylanträge schwer gemacht
Es überrascht nicht, dass Integration in Südafrika als problematisch angesehen wird. Auch Menschen, deren Asylanträge bewilligt wurden, leben unter Ihresgleichen. Sie treffen sich untereinander in eigenen Cafés, Interaktion mit Südafrikanern geschieht meist oberflächlich. Dazu kommt: Mehrere Millionen Einwanderer leben illegal in Südafrika. Sie sind geblieben, wenn ihr Asylantrag abgelehnt wurde oder sie haben erst gar keinen gestellt.
Offiziellen Statistiken zufolge werden gerade einmal 16 Prozent der Asylanträge bewilligt. Der neue Asylantrag ist 12 Seiten lang. Dabei wird nicht zuerst der Grund des Asylsuchenden erfragt, sondern vielmehr seine Schulbildung und seine Vermögensverhältnisse. Flüchtlingsorganisationen werfen der südafrikanischen Regierung vor, arme Ausländer zu benachteiligen. Wer einen solchen Antrag stellt oder auch nur eine Aufenthaltserlaubnis beantragt, der muss monatelang - manchmal sogar jahrelang - auf einen Bescheid warten. Die Behörden in Südafrika gelten als chronisch überlastet.
Flüchtlinge aus anderen Kulturkreisen
Die meisten Asylanträge stellen Simbabwer, Kongolesen, Nigerianer, Somalis und Äthiopier. Die Gründe sind dieselben: Bürgerkrieg, Verfolgung und islamistischer Terror, aber auch Armut. Auch die Flüchtlinge, die in Südafrika ankommen, mussten mitunter Tausende Kilometer auf sich nehmen, auch sie mussten korrupte Grenzbeamte bezahlen oder sich in die Fänge von Schlepperbanden begeben. Sie stammen aus ganz anderen Kulturkreisen und sprechen andere Sprachen. Aber zurück gehen ist für die meisten keine Option.
Die Situation in ihren Herkunftsländern ändere sich nicht mittelfristig, meinen viele. Kriege dauerten lange, und ethnische Verfolgung würde nicht von heute auf morgen beendet, das eigene Haus sei nun in den Händen anderer. Oft ergattern aber auch die anerkannten Flüchtlinge in Südafrika nur schlecht bezahlte Gelegenheitsjobs, viele müssen sich im Alltag durchschlagen. Wer Geschäftsideen hat, kann sie am ehesten in den Townships verwirklichen - in den Siedlungen, in denen die ärmsten Menschen leben. Genau dort ist aber auch die Fremdenfeindlichkeit am größten.
Warum Ausländerfeindlichkeit?
In Südafrika leben nach wie vor viele Menschen in selbst zusammen gezimmerten Unterkünften. Wellblech und Pappe schützen sie vor Sonne, Wind und Kälte. Auch Südafrikaner suchen nach einer Perspektive. Nur: Die Arbeitslosigkeit liegt bei rund 25 Prozent, die Landeswährung Rand erreicht einen Tiefststand nach dem anderen. Die Wirtschaft stagniert wie bei anderen Schwellenländern auch. Wenn Flüchtlinge hinzu kommen, schwinden die Chancen, eine Stelle zu finden.
Denn Flüchtlinge dürfen arbeiten, sich frei im Land bewegen, und ihnen steht eine medizinische Grundversorgung zu. Die Einheimischen sorgen sich um ihre Existenz. Viele Südafrikaner sind aber gleichzeitig nicht gut informiert. Dass es ethnische Konflikte, Verfolgung und Bürgerkriege gibt, ist vielen, die fremdenfeindlich sind, nicht klar. Hier besteht Aufklärungs- und Handlungsbedarf in Südafrika.