Kurdische Ziele in Nordsyrien Türkische Luftangriffe gehen offenbar weiter
Aktivisten berichten von weiteren Luftangriffen der Türkei auf kurdische Stellungen in Nordsyrien. Mehrere Dörfer sollen beschossen worden sein. Die USA dringen auf eine sofortige Deeskalation.
Die Türkei hat Aktivisten zufolge den fünften Tag in Folge kurdische Ziele im Norden Syriens angegriffen. Streitkräfte Ankaras hätten mehrere Dörfer beschossen sowie ein Gebiet per Drohne attackiert, berichtete die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Auch ein Militärstützpunkt der syrischen Regierungskräfte in der Nähe von Kobane soll bombardiert worden sein.
Seit Tagen fliegt die Türkei in Nordsyrien und im Nordirak Luftangriffe gegen Kurdenmilizen. Dutzende Menschen wurden dabei getötet. Die Türkei geht nach eigenen Angaben nur gegen Stellungen der syrischen Kurdenmiliz YPG vor und nennt ihre Angriffe "Vergeltung" für einen Anschlag am 13. November in Istanbul mit sechs Toten.
USA zutiefst besorgt
Die USA unterstützten die Kurdenmiliz YPG in Nordsyrien im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS), dessen Zellen im Land noch immer aktiv sind. Die Regierung in Washington rief zu einer sofortigen Deeskalation auf. Man sei zutiefst besorgt über die jüngsten militärischen Aktionen, die die Region destabilisierten, teilte der Sprecher des US-Außenministeriums, Ned Price, mit. Sie bedrohten das gemeinsame Ziel, den IS zu bekämpfen.
Auch gefährdeten sie Zivilisten sowie in der Region stationierte US-Soldaten. "Wir verstehen, dass die Türkei berechtigte Sicherheitsbedenken hinsichtlich des Terrorismus hat", teilte Price weiter mit. Gleichzeitig hätten die USA immer wieder ernste Bedenken über die Auswirkungen der Eskalation in Syrien zum Ausdruck gebracht.
Telefonat mit russischem Verteidigungsminister
Die Verteidigungsminister Russlands und der Türkei telefonierten unterdessen erstmals seit Beginn der türkischen Angriffe auf Ziele in Syrien und den Irak miteinander. Dabei habe man die Entschlossenheit zum weiteren Vorgehen gegen "terroristische Bedrohungen" betont, teilte die türkische Seite mit Blick auf Syrien mit.
Russland unterstützt im Krieg in Syrien Präsident Baschar al-Assad, die Türkei Rebellengruppen. Das russische Verteidigungsministerium unter Minister Sergej Schoigu bestätigte das Telefonat.
Erdogan droht mit Bodenoffensive
Die Türkei hat seit Sonntag eigenen Angaben zufolge hunderte Ziele angegriffen und dabei insgesamt 254 "Terroristen neutralisiert". Derweil nährt der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan weiter die Sorge vor einer Bodenoffensive. Die hatte er in den vergangenen Tagen mehrfach angedroht. Erdogan sagte: "Bis die Terrorgefahr für unser Land vollständig endet, werden wir unseren Kampf innerhalb und außerhalb unserer Grenzen ununterbrochen fortsetzen."
Hürcan Asli Aksoy vom Centrum für Türkeistudien (CATS) in Berlin geht davon aus, dass Erdogan die Truppen auch entsendet: "Wenn er es ankündigt, wird es wohl auch passieren." Sollte die Türkei mit Bodentruppen in Syrien einmarschieren, werde das vermutlich hauptsächlich Kobane treffen, so Aksoy.
Die Region ist bislang fest in der Hand der von der YPG angeführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF). Hier müsse sich die Türkei auf den wenigsten Widerstand Russlands, der USA und Irans einstellen. Russland sei beschäftigt in der Ukraine, so Aksoy.. "Und die USA warten offenbar darauf, dass Ankara den NATO-Beitritt Schwedens und Finnlands durchwinkt." Den blockiert das NATO-Mitglied bisher, unter anderem mit Verweis auf deren angebliche Unterstützung für die YPG.
Für Aufsehen sorgten in den vergangenen Tagen Berichte über türkische Luftangriffe auf das berüchtigte Flüchtlingslager Al-Hol sowie ein Gefängnis in Al-Kamischli. Beide beherbergen IS-Anhänger.
Bei dem Angriff auf das Camp starben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge acht Aufseher. Menschen hätten versucht, zu entkommen. Die SDF warnten, damit würde der Kampf gegen den IS aufs Spiel gesetzt. Der Hintergrund der Angriffe war zunächst unklar. Die Türkei hält nach vier früheren Militäroffensiven bereits Grenzgebiete im Norden Syriens besetzt. Im Irak unterhält Ankara seit 2016 mehrere Militärstützpunkte.