EGMR-Urteil Menschenrechte von Läuferin Semenya verletzt
Die zweifache Olympiasiegerin Caster Semenya hat im Rechtsstreit gegen Testosteron-Vorschriften in der Leichtathletik einen Erfolg errungen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte urteilte, Gerichte hätten ihre Rechte verletzt.
Rio de Janeiro 2016, Olympische Sommerspiele, Finale der Frauen über 800 Meter. "Jetzt macht Caster Semenya Ernst, und ein paar schnelle Schritte bringen sie nach vorne. Und auch der Blick auf die Anzeigetafel wird ihr noch ein bisschen mehr Selbstvertrauen geben können", heißt es damals im ARD-Kommentar. "Denn sie weiß aus dem Saisonverlauf, dass sie die Chance hat das Ding hier durchzuziehen."
Caster Semenya zieht es durch und siegt klar. Zum zweiten Mal olympisches Gold für die Südafrikanerin, die über 800 Meter auch dreifache Weltmeisterin ist. Doch schon bei ihrer ersten WM-Goldmedaille, 2009 in Berlin, wurde Semenyas Sieg nicht unvoreingenommen kommentiert.
Ihre breiten Schultern, ihre tiefe Stimme wurden zum Thema gemacht. Und ihre italienische Konkurrentin Elisa Cusma Piccione behauptete offensiv: "Für mich ist sie keine Frau, sie ist ein Mann."
Weltverband sieht unfairen Vorteil
Caster Semenya ist eine Frau. Aber ihr Körper hat sich, was das Geschlecht betrifft, besonders entwickelt. DSD - "Differences of Sexual Development" - heißt diese körperliche Besonderheit. Sie führt dazu, dass die betroffenen Frauen einen erhöhten Testosteronspiegel haben.
Der Internationale Leichtathletikverband IAAF betrachtet den erhöhten Testosteronspiegel bei Frauen mit DSD als Problem. Obwohl Studien zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, sieht die IAAF bei Frauen mit erhöhtem Testosteronspiegel einen Leistungsvorteil. Wenn sie an Wettkämpfen mit anderen Sportlerinnen teilnehmen, sei das unfair.
Der Verband hat deshalb in den vergangenen Jahren immer wieder neue Regeln für Frauen mit DSD gemacht. Zuletzt wurden die Regeln im März deutlich verschärft. Jetzt müssen betroffene Sportlerinnen ihren Testosteronspiegel mit Medikamenten im Extremfall doppelt so stark senken wie zuvor. Außerdem sind jetzt alle Leichtathletinnen betroffen und nicht nur Läuferinnen.
"Ich kann niemals sein, was ich nicht bin"
Semenya weigert sich, diese Regeln zu befolgen. Sie möchte keine Testosteron-senkenden Medikamente mehr nehmen. Diskriminierend seien die Regeln der IAAF und ein Eingriff in ihre Persönlichkeitsrechte. "Diese ständigen Fragen: Bin ich eine Frau, bin ich ein Mann? Offenkundig ist das verletzend, herabwürdigend und beleidigend", sagte sie dem südafrikanischen Fernsehsender eNCA. "Aber eins ist für mich sicher: Ich kann niemals sein, was ich nicht bin."
Vor dem Internationalen Sportgerichtshof CAS und vor dem Schweizer Bundesgericht, der die CAS-Urteile überprüft, hatte Semenya geklagt. Doch bisher ohne Erfolg. Anders jetzt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Mit einer knappen Entscheidung von vier zu drei Richterstimmen sagt Straßburg: Der Internationale Sportgerichtshof und das Schweizer Bundesgericht haben die Rechte von Semenya verletzt.
Sie hätte dort nicht die Chance gehabt, dass ihre Interessen angemessen gewürdigt werden. Die Pflicht, den Testosteronspiegel mit Medikamenten zu senken sei ein schwerwiegender Eingriff und könne diskriminierend sein. Auf der anderen Seite gebe es nur spärliche Hinweise, dass Frauen mit erhöhtem Testosteronspiegel erhebliche Vorteile über die Mittelstrecke hätten. Und die Nebenwirkungen der Testosteronsenkung könnten erheblich sein. Weil die Gerichte das alles nicht ausreichend abgewogen haben, seien die Menschenrechte von Semenya verletzt.