"Last Train Home" Russland geht gegen tschechisches Game vor
Ein Computerspiel aus Tschechien befasst sich mit tschechoslowakischen Legionären im russischen Bürgerkrieg. Nun droht ein Verbot durch Behörden in Russland. Die Entwickler zeigen sich gelassen.
Im Spiel "Last Train Home" steuern die Spielerinnen und Spieler einen Zug voll mit tschechoslowakischen Legionären über die Transsibirische Eisenbahn. Mit Dampflok, Geschützwaggons, Feldlazarett und Küche.
Von Kiew im Westen fast 10.000 Kilometer Richtung Osten - an die Pazifikküste nach Wladiwostok. Mitten durch Russland, das im Bürgerkrieg nach der Oktoberrevolution versinkt.
"Wir erzählen im Spiel die Geschichte von einem einzigen, fiktiven Zug. In der Wirklichkeit war es den Legionären damals gelungen, die gesamte Transsibirische Eisenbahn unter ihre Kontrolle zu bringen", sagt Petr Kolář vom Spieleentwickler Ashborne Games in Brünn.
Strategie und moralische Entscheidungen
Neben den Kämpfen mit der bolschewistischen Roten Armee und ihrem Gegner, der Weißen Armee, geht es vor allem darum, das Überleben des Zuges und seiner Besatzung zu regeln. Um Vorräte für den sibirischen Winter, Treibstoff oder medizinische Versorgung. Viel Strategie also, und es geht auch um moralische Entscheidungen.
Im Spiel trifft man zum Beispiel auf einen Rotarmisten, der fragt, ob der Spieler die Familie im Zug mit in die nächste Stadt zu einem Arzt nehmen kann. Es liegt am Spieler, diese Entscheidung zu treffen. Ob er sich weigert, weil er ja im Grund ein Feind ist, oder ob er sich für die Familie einsetzt und den Rotarmisten ziehen lässt.
"Last Train Home" sei eine aufwühlende Geschichtsstunde in Form eines Computerspiels, das beweise, wie gut sich das Medium für Antikriegsbotschaften eigne, urteilte die österreichische Zeitung Standard in einer Rezension. Kritikpunkt: Die Legionäre seien oft heroisch dargestellt.
Staatsanwaltschaft St. Petersburg macht Vorwürfe
Dagegen wirft die Staatsanwaltschaft St. Petersburg den Spieleentwicklern laut russischen Medien vor, mit dem Spiel Hass gegen die russische Regierung und die Rote Armee zu schüren.
Genau das wollten sie nicht. "Wir denken, im Krieg ist nichts schwarz-weiß. Krieg ist grau. Der Krieg selbst ist das Schlechte. Es gibt auf beiden Seiten Gut und Böse", betont Kolář.
"Im Kern entspricht das Spiel der Wirklichkeit"
Um nah an der Wirklichkeit zu bleiben, haben die Spieleentwickler mit Historikern zusammengearbeitet. Einer von ihnen ist Michal Rak von der Tschechoslowakischen Legionärsgemeinschaft. Er sagt, dass es natürlich Vereinfachungen im Spiel gäbe. Etwa die kürzere Zeitspanne von sechs Monaten statt vier Jahren in der Realität.
"Aber im Kern entspricht das Spiel der Wirklichkeit. Die Bolschewiken hatten es sich zum Ziel gesetzt, die Legionen zu vernichten. Am Anfang wollten sie sie noch für sich gewinnen, dann wollten sie sie vernichten", sagt Rak.
Der historische Hintergrund ist schnell erzählt: Mit dem Ersten Weltkrieg und dem Zerfall Österreich-Ungarns witterten tschechoslowakische Nationalisten ihre Chance, einen eigenen Staat zu gründen. Sie kämpfen erst aufseiten Russlands gegen Deutschland und Österreich-Ungarn. Im russischen Bürgerkrieg dann für ihre eigene Sache. Der Weg zurück nach Westen war den Legionären verstellt. Also machten sich die 60.000 Mann via Sibirien auf den Heimweg - gegen den Widerstand der Roten Armee und kamen durch.
"Ist doch klar, dass die heutige russische Regierung sich nicht gern daran erinnert, weil es dem Narrativ der hartgesottenen, starken, unbesiegbaren Roten Armee widerspricht, die letztendlich von einer kleinen Truppe eins auf die Mütze bekommen hat", sagt Rak.
Eine Lenin-Statue in Sankt Petersburg erinnert an die Russische Revolution.
Gelassenheit über mögliches Verbot
Hinzu komme, dass Tschechen und Slowaken auf ihrem Weg entlang der Eisenbahnstrecke von der Bevölkerung auch freundlich empfangen worden seien. Der Historiker verweist etwa auf Berichte über Fabrikbesetzungen. Dort hätten die Legionäre die Produktion modernisiert, Acht-Stunden-Schichten eingeführt und die Leute gut bezahlt.
"Ich glaube, in dem Spiel werden auch Dinge gezeigt, wie die Legionäre Russen von den Bolschewiken befreien. Vielleicht sind diese Szenen etwas überzogen und die Bolschewiken wirken schlimmer als in Echt", sagt Rak. Aber er sei sich sicher, dass das derzeitige Kreml-Regime nicht daran erinnert werden möchte, dass es eine fremde Macht in Russland gab, die sich gut benahm.
Kolář von Ashborne Games nimmt das drohende Verbot gelassen. Außerdem sei es ja interessant, dass die russische Staatsanwaltschaft sich mit Geschichte auseinandersetzen könne. "Wenn Sie Zeit für solche Dinge haben, vielleicht finden sie dann ja auch Zeit, sich mit Menschenrechtsverletzungen in Russland zu beschäftigen", sagt er.