Abhöraffäre in Polen "Auf Schritt und Tritt begleitet"
Im polnischen Wahlkampf 2019 wurden etliche Oppositionspolitiker abgehört. Jetzt kam heraus: Die Affäre ist noch größer als gedacht. Auch PiS-Parteimitglieder wurden ausspioniert.
"Ich will Sie nicht überraschen", sagt Donald Tusk, Polens Ministerpräsident, "aber vielleicht wird diese Information für Sie doch überraschend sein."
Tusk spricht mit Andrzej Duda, dem polnischen Präsidenten, und die Überraschung sind Ermittlungen in der größten Abhöraffäre der polnischen Nachwendegeschichte: Pegasus, das sogenannte polnische Watergate.
Spionagesoftware im Geheimen beauftragt und finanziert
"Das Dokument hier bestätigt leider, was wir befürchtet haben: dass auf Initiative des Zentralen Antikorruptionsbüros der Kauf von Pegasus aus Mitteln des Gerechtigkeitsfonds beantragt und von Minister Ziobro bestätigt wurde. Ich muss sagen, das macht mich sehr traurig," so Tusk.
Übersetzt heißt das: Die PiS-Regierung, in Gestalt des bis vor Kurzem amtierenden Justizministers Zbigniew Ziobro, hat den Kauf der Spionagesoftware Pegasus für umgerechnet 9,6 Millionen Euro beauftragt und im Geheimen und finanziert - ausgerechnet mit Mitteln, die eigentlich für die Unterstützung von Verbrechensopfern gedacht waren.
Opposition wurde 2019 abgehört
Aufgefallen war Pegasus, weil im Wahlkampf 2019 vermeintlich geleakte Nachrichten von Krzysztof Brejza, dem Wahlkampfchef der damals oppositionellen und heute mitregierenden Partei PO, plötzlich im staatlichen Fernsehen TVP gezeigt wurden. Im Wahlkampf sei die PiS auch bemerkenswert gut über jeden Schritt der Oppositionskampagne informiert gewesen, sagte Brejza später.
"Im Wahlkampf haben uns die PiS-Leute auf Schritt und Tritt begleitet. Wo wir hinkamen, tauchten sie auf", berichtet er. "Deswegen bin ich der Meinung, die Sache sollte schnell aufgeklärt werden in einem Untersuchungsausschuss, denn das alles hat die Freiheit und Ehrlichkeit der Wahlen beeinflusst."
Auch PiS-Politiker wurden ausspioniert
Abgehört wurden mutmaßlich etliche Oppositionspolitiker, eine PiS-kritische Staatsanwältin, Journalisten, Mitglieder der staatlichen Finanzkontrolle und - wie jetzt bekannt wurde - offenbar auch PiS-Politiker selbst. Sogar der bis vor Kurzem amtierende Ministerpräsident Mateusz Morawiecki soll auf der Pegasus-Liste gestanden haben.
Der Einsatz der Spähsoftware in Polen war so exzessiv, dass sogar der Hersteller - das israelische Unternehmen NSO - Polen die Lizenz wieder entzog.
Für PiS-Chef Jarosław Kaczyński ist die Affäre trotzdem ein "übel aufgeblasener Ballon": "Nach allem, was ich weiß - wobei ich in dieser Sache nichts Genaues weiß -, wurde Premierminister Morawiecki mit Sicherheit nicht abgehört." Alles, was unternommen worden sei, sei im Interesse der polnischen Nation gewesen, sagt Kaczyński.
Aufarbeitung erst durch Regierungswechsel
Schon 2023 war eine Untersuchungskommission zu dem Schluss gekommen, mit Pegasus seien systematisch Menschen überwacht worden, gegen die kein Verdacht auf ein Verbrechen bestand. Juristische Folgen hatte der Bericht nicht.
Erst jetzt, nach dem Regierungswechsel, kann die Affäre wirklich aufgearbeitet werden. Seit Montag gibt es eine parlamentarische Untersuchungskommission.
Fragwürdige Unterstützung von Präsident Duda
Präsident Duda wirkt gar nicht überrascht von Tusks Aussagen. Er sei für eine Untersuchung, sagt das PiS-nahe Staatsoberhaupt - allerdings nicht ohne Einschränkung: "Ich erwarte vom Staat vor allem Rechtschaffenheit. So ein rechtschaffener Mensch ist für mich Minister Mariusz Kaminski."
Kaminski ist kein unbeschriebenes Blatt. Der PiS-Politiker wurde wegen Amtsmissbrauchs zu einer Haftstrafe verurteilt. Zunächst aber war er von Präsident Duda vor der Polizei versteckt und später begnadigt worden. Und Kaminski war der PiS-Innenminister, der die Pegasus-Abhöraktion wenn nicht gesteuert, dann doch mutmaßlich genutzt hat.
Mit echter Unterstützung von Präsident Duda bei der Aufklärung dürfte die neue polnische Regierung also wohl kaum rechnen dürfen.