Künstliche Befruchtung in Polen Zurück zur Entscheidungsfreiheit
Polens Wahlsieger wollen nicht warten, bis sie den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten. Im Parlament beginnen sie schon jetzt, Gesetze zurückzudrehen. Dabei geht es zunächst um Familienplanung.
Es könnte das erste eingelöste Wahlkampfversprechen der sogenannten Bürgerkoalition (KO) von Donald Tusk werden: die Einführung einer staatlichen Finanzierung von In-vitro-Fertilisation und anderen Kinderwunschbehandlungen.
Noch ist Tusk nicht Premierminister, trotzdem wird schon jetzt im Abgeordnetenhaus, dem Sejm, über ein Bürgerbegehren zum Thema debattiert. "Ja zu in vitro" heißt es - eine halbe Million Menschen hat es unterschrieben.
Kampf gegen niedrige Geburtenrate
Die Geburtenrate in Polen liegt auf dem niedrigsten Stand seit dem Zweiten Weltkrieg. Aber nicht nur deshalb will die Bürgerkoalition, die mit ihren Partnern bei der Parlamentswahl die Mehrheit bekommen hat, In-vitro-Behandlungen staatlich bezuschussen, erklärt die Abgeordnete Agnieszka Pomaska.
Im Sejm sagte sie: "Wir geben heute den Polinnen und Polen das Recht auf das Glück zurück, das ein Kind bedeutet. Die Finanzierung von In-vitro-Programmen wiederherzustellen ist eine erste Entscheidung der demokratischen Mehrheit."
Ein ähnliches Programm hatte es unter Tusks Regierung bereits von 2013 bis 2016 gegeben, dann hatte die PiS es abgeschafft. Aus Sicht von Teilen der nationalkonservativen Partei handele es sich bei der Befruchtung von Eizellen im Reagenzglas um eine Art "Menschenzucht".
Bei einer früheren Sejm-Debatte sagte die PiS-Abgeordnete Barbara Bartus über In-vitro-Fertilisation: "Das ist keine Methode gegen Unfruchtbarkeit. Hier geht es um die Produktion von Menschen."
Gespaltenes Parlament
Im politischen Polen sind die Gräben tief, was das Thema Reproduktion angeht. Dauerstreitpunkt ist auch das Abtreibungsrecht. Die PiS hatte die ohnehin strenge polnische Abtreibungsgesetzgebung während ihrer Regierungszeit nochmal verschärft. Frauen dürfen nun nur noch abtreiben, wenn ihr Leben bedroht ist oder die Schwangerschaft Folge einer Vergewaltigung ist.
Abtreibungen, weil der Fötus schwere Missbildungen aufweist und nicht überlebensfähig wäre, sind seit 2021 nicht mehr erlaubt. Mit der Folge, dass viele Frauen Angst hätten, in Polen schwanger zu werden, sagt Aleksandra Magryta von der Frauenrechts- und Familienplanungsorganisation FEDERA.
Uns rufen jeden Tag Frauen an, die von ihrem Arzt erfahren, dass ihr ungeborenes Kind schwerste Missbildungen hat und nach der Geburt nur wenige Stunden oder vielleicht Tage überleben wird. Sie fragen uns, was sie machen sollen. Für die Frauen ist das psychisch eine massive Belastung, so eine Schwangerschaft in Polen nicht legal abbrechen zu dürfen, viele haben auch Selbstmordgedanken.
Proteste wegen verweigerter Abtreibungen
Auch der Tod von sechs Frauen in polnischen Krankenhäusern, denen Ärzte offenbar medizinisch notwendige Abtreibungen verweigert hatten, habe viele Frauen im Land aufgerüttelt und bei den diesjährigen Parlamentswahlen an die Wahlurne getrieben, sagt Frauenrechtsaktivistin Aleksandra Magryta.
Sie setzt große Hoffnungen in eine neue Bürgerkoalition unter Tusk und geht davon aus, dass nach den Beratungen zu staatlichen Zuschüssen zu Kinderwunschbehandlungen noch andere Gesetzesvorhaben folgen werden, auch zum Abtreibungsrecht.
Kein Einfluss mehr auf den Körper der Frau
Donald Tusk von der liberal-konservativen Bürgerplattform hatte sich im Wahlkampf für eine Legalisierung von Abtreibungen bis zur zwölften Schwangerschaftswoche ausgesprochen, also eine deutliche Liberalisierung. Ob es im polnischen Parlament dafür eine Mehrheit geben wird, ist aber ungewiss. Denn in der Bürgerkoalition, die Tusk anführt, gibt es auch Abgeordnete, die lediglich zum Zustand vor der PiS-Regierung zurückkehren wollen.
Dennoch verspricht Tusk den Wählerinnen deutliche Verbesserungen: "Wir werden dafür sorgen, dass der Einfluss des Polizisten, des Pfarrers oder des PiS-Apparatschiks auf den Körper der Frau in Polen auf Null gebracht wird."