Polen Drei Jahre Haft für Abtreibungspillen?
In Polen könnte erstmals das verschärfte Abtreibungsrecht angewandt werden: Der Aktivistin Justyna Wydrzyńska drohen drei Jahre Haft, weil sie einer ungewollt Schwangeren ein Abtreibungsmittel ausgehändigt haben soll.
Justyna Wydrzyńska ist Schwangerschaftsbegleiterin, Mutter, Abtreibungsaktivistin und steht nun im Zentrum eines wegweisenden Gerichtsprozesses: Am Donnerstag muss sie als prominente Angeklagte in Warschau vor Gericht erscheinen.
Dort könnte dann zum ersten Mal das strenge, polnische Abtreibungsrecht seine volle Wirkung entfalten. Denn es wird verhandelt, ob Wydrzyńska einer anderen Frau illegal bei einer Abtreibung geholfen hat. Sollte sie schuldig gesprochen werden, drohen der Aktivistin bis zu drei Jahre Gefängnisstrafe.
In Polen sind Abtreibungen de facto verboten. Die Gesetzgebung zu Schwangerschaftsabbrüchen gehört zu den strengsten in ganz Europa. Im Oktober 2020 urteilte das polnische Verfassungsgericht, dass auch Abtreibungen aufgrund schwerer Fehlbildungen des Fötus illegal seien.
Damit wurde eine der ohnehin nur wenigen Ausnahmen für Abtreibungen gestrichen. Legal sind Abtreibungen in Polen - sowie die Hilfeleistungen dazu - nur nach Vergewaltigungen und Inzest oder wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist.
"Ich weiß, was sie erlebt"
Grundlage der Anklage gegen Wydrzyńska sind das polnische Strafgesetzbuch und das Arzneimittelrecht. Konkret wirft die Staatsanwaltschaft ihr vor, einer anderen Frau mindestens zehn Abtreibungstabletten zugeschickt zu haben.
Bei einem ersten Gerichtstermin im April bestritt Wydrzyńska auch nicht, die Tabletten verschickt zu haben. Sie habe dies "sehr spontan beschlossen" und eigene, persönliche Tabletten der schwangeren Frau zur Verfügung gestellt. Sie wollte "dieser Person helfen, denn ich weiß, was sie erlebt", sagte die 47-Jährige, die selbst offen mit einem eigenen Schwangerschaftsabbruch umgeht.
Außerdem verweist Wydrzyńska auf die besonderen Umstände des Falls. Die offenbar ungewollt schwangere Frau habe sich Anfang 2020 bei Wydrzyńskas Organisation "Abortion Without Borders" gemeldet.
Dort habe die Frau, die sich in ihrer zwölften Schwangerschaftswoche befunden haben soll, berichtet, dass sie Abtreibungspillen bestellt habe, aber diese nicht eingetroffen seien. Außerdem werde sie durch ihren gewalttätigen Ehemann erpresst, das Kind auszutragen. Deswegen habe sich Wydrzyńska entschieden, der Frau Tabletten für einen Schwangerschaftsabbruch zu schicken.
Hausdurchsuchung ein Jahr danach
Mehr als ein Jahr nach dem Vorfall, im Juni 2021, stand laut Amnesty International die Polizei vor Wydrzyńskas Haustür. In einer Hausdurchsuchung beschlagnahmten die Beamtinnen und Beamten Tabletten, Computer und Handys von Wydrzyńska und ihren Kindern. Offenbar hatte der Ehemann der Frau, der sie die Tabletten zugeschickt hatte, Wydrzyńska angezeigt.
Die Bedeutung der Gerichtsverhandlung geht für viele Beobachterinnen und Beobachter über den Einzelfall von Justyna Wydrzyńska hinaus. Denn in den vergangenen Monaten und Jahren hatten die Gegnerinnen und Gegner des strengen polnischen Abtreibungsrechtes lautstark, aber vergeblich gegen Gesetzesverschärfungen protestiert.
Proteste vor Gerichtssaal erwartet
Auch bei dem Prozess gegen Wydrzyńska werden viele Demonstrantinnen und Demonstranten vor dem Gericht erwartet. Natalia Broniarczyk aus der NGO "Abortion Dream Team", zu der auch Wydrzyńska gehört, hält das Gerichtsverfahren für eine "politische Sache". Sie und ihre Mitstreiter sagen, sie hätten Angst, als Abtreibungsaktivstinnen und -Aktivisten in Polen fühlten sie sich "verfolgt".
"Ich helfe dir wie Justyna", verspricht eine Aktivistin bei einer Kundgebung in Wroclaw auf einem Plakat.
Auch die Linksabgeordnete Katarzyna Kotula hält den Prozess für ein "politisches Verfahren". Die Staatsanwaltschaft hätte beschlossen, "eine Jagd auf Frauen zu veranstalten, die einfach anderen Frauen helfen".
Vor Gericht werden auch Vertreterinnen und Vertreter des erzkonservativen Anwaltskollektivs "Ordo Iuris" anwesend sein. Sie treten als Interessenvertreter des ungeborenen Lebens auf.
Und auch andere Gegner von Schwangerschaftsabbrüchen, wie Marek Wilczewski von der "Stiftung Leben und Familie“, verfolgen das Gerichtsverfahren gegen Wydrzyńska genau. Er fordert weitere Gesetzesveränderungen, damit, so sagt er, "derartige Aktivitäten verfolgt und gestoppt werden können" und "man in keiner Weise zur Abtreibung anregen, dabei helfen, sie erleichtern kann".