Nordmazedonien Die ewige Suche nach der Identität
Erst der Streit mit Griechenland um den eigenen Namen, nun muss Nordmazedonien Spannungen mit Bulgarien lösen. Die Identität des kleinen Landes und die Suche danach sind Dauerthema.
An Streit mit den Nachbarn hat sich das kleine Westbalkanland gewöhnt. Doch nun sind die Beziehungen zwischen Mazedoniern und Bulgaren auf einem neuen Tiefpunkt.
Die Republik Nordmazedonien mit ihren rund 1,8 Millionen Einwohnern soll die Rechte der etwa 3500 Menschen umfassenden bulgarischen Minderheit in die Verfassung aufnehmen.
Das Thema polarisiert schön länger, doch die Spannungen zwischen den Bevölkerungsgruppen haben in den vergangenen Monaten zugenommen.
Angriffe auf ethnische Minderheiten
Ende vergangenen Jahres wurden zwei bulgarische politische Clubs in Nordmazedonien angegriffen, im Februar flogen Steine auf eine mazedonische Organisation im bulgarischen Balgoevgrad.
Ein junger Politiker, der sich als bulgarischer Mazedonier sieht, wurde in Nordmazedonien krankenhausreif geprügelt und auf Geheiß des bulgarischen Präsidenten Rumen Radew nach Bulgarien ausgeflogen. Bulgarien werde Gewalt gegen seine Bürger in Nordmazedonien nicht tolerieren, so Radew.
Nordmazedonien musste Opfer bringen
Vor allem die EU drängt, den ethnischen Streit mit Bulgarien in den Griff zu bekommen, denn seit Sommer 2022 laufen die EU-Beitrittsverhandlungen. Um überhaupt als EU-Beitrittskandidat in Betracht zu kommen, musste Nordmazedonien Opfer bringen.
Auf massiven Druck des Nachbarn Griechenland änderte Nordmazedonien seinen Landesnamen von Mazedonien in Nordmazedonien. Griechenland hatte aus historischen Gründen Anspruch auf den Namen Mazedonien erhoben.
Nationalisten gegen Zugeständnisse
Im Streit um die Aufnahme der Rechte der bulgarischen Minderheit in die Verfassung steht die von der Sozialdemokratischen Union geführte Regierung in Skopje aber unter massivem innenpolitischen Druck. Denn die Verfassungsänderung ist im Land umstritten.
Für die notwendige Zweidrittelmehrheit im Parlament bräuchte man auch Stimmen der Opposition. Doch die Nationalistische Partei VMRO DPMNE hat sich gegen die Verfassungsänderung positioniert, macht Stimmung gegen die bulgarische Minderheit und spielt die Nachbarvölker gegeneinander aus.
64 Prozent für EU-Mitgliedschaft
Marjan Ivanovski verfolgt die aktuelle Debatte mit Sorge. Auf einem Markt im Zentrum Skopjes verkauft er selbst angebautes Gemüse, arbeitet 14 Stunden täglich, alles für seinen Sohn wie er sagt. Ivanovski ist für die Verfassungsänderung. Sein Land solle alles tun, was den EU-Beitritt beschleunigt und dabei an die junge Generation denken.
Derzeit befürworten 64 Prozent der Mazedonier eine EU-Mitgliedschaft, doch die Zustimmung nimmt ab, um vier Prozentpunkte im Vergleich zum Jahr 2021. Viele haben den Eindruck, ihr Land bringe zwar Opfer, werde dafür aber nicht belohnt.
Dass Bulgariens Präsident den Konflikt zwischen Bulgaren und Mazedoniern nun wieder anfacht, ärgert Landwirt Ivanovski. "Das ist bulgarische Politik seit den Balkankriegen, als die Bulgaren mit den Serben kämpften, um Mazedonien zu annektieren", sagt er. Bulgarien habe schon immer die Tendenz gehabt, Mazedonien annektieren zu wollen. "Aber jetzt wird es offensichtlicher. Sie behaupten, dass die Menschen in Mazedonien Bulgaren sind, aber wir sind Mazedonier."
Versuch, an das historische Makedonien anzuknüpfen
Die Identität des Landes und die Suche danach ist Dauerthema. Das gigantische Städtebauprojekt Skopje 2014 sollte das nationale Selbstwertgefühl der Mazedonier stärken und eine Verbindung zum antiken Makedonien Alexanders des Großen herstellen.
Gebäude, Denkmäler und sogar Schiffe aus der Antike wurden kopiert und prägen nun das Bild der Hauptstadt. Doch der dick aufgetragene Kitsch verschlang Unmengen an Geld, bekommt bereits Risse und kann auch nicht über die aktuellen Probleme hinwegtäuschen.
BIP ein Fünftel des EU-Durchschnitts
Zwar war die wirtschaftliche Entwicklung Nordmazedoniens in der vergangenen Dekade positiv, doch das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf lag 2021 gerade mal bei einem Fünftel des EU-Durchschnitts. Die Coronapandemie und die derzeitige Wirtschaftskrise trafen die fragile Wirtschaft Nordmazedoniens hart. Die Inflation liegt bei etwa 18 Prozent.
Viele junge Menschen verlassen nach wie vor das Land. Landwirt Ivanovski will seinen Sohn überzeugen, zu bleiben. Sein bestes Argument ist dabei die nahende EU-Mitgliedschaft, auf die er hofft: "Ich wünsche mir, dass wir ein EU-Mitglied werden. Aber es hängt von uns ab. Wir können von der EU nicht erwarten, uns zu füttern und von der NATO, uns zu verteidigen. Wir sind ein hart arbeitendes Volk aber wir haben keine guten Politiker." Ivanovski erwartet von der Politik, die Probleme zu lösen, auch den Konflikt mit den bulgarischen Nachbarn.
Kritik an Bedingung für EU-Beitritt
Ende des Jahres soll über die Verfassungsänderung abgestimmt werden. Nur wenn die bulgarische Minderheit in die Verfassung Nordmazedoniens aufgenommen wird, können die Verhandlungen mit der EU in die nächste Runde gehen.
Kritik an diesem Vorgehen kommt von Experten wie dem Historiker Ulf Brunnbauer vom Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg. Er sieht es als "gefährlichen Präzedenzfall", wenn ein bilateraler Disput über Fragen, die nichts mit den Aufnahmekriterien zu tun haben, zum Teil der Beitrittsverhandlungen werden. Erpressungen durch EU-Mitglieder gegen Beitrittsaspiranten sei so Tür und Tor geöffnet.
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