Londoner Polizeichefin Rücktritt wegen langer Liste von Skandalen
Die Liste der Skandale bei der Londoner Polizei ist lang: Sexismus, Homophobie, Rassismus. Weil Bürgermeister Khan ihr nicht sein Vertrauen aussprach, hat Polizeichefin Dick nun ihren Rücktritt angekündigt.
Gestern Morgen hatte Polizeichefin Cressida Dick in einem Radiointerview noch erklärt, sie habe keinesfalls die Absicht, zurückzutreten. Am Abend warf die Chefin von etwa 33.000 Polizeikräften dann doch hin, nachdem ihr klar geworden war, dass der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan kein Vertrauen mehr in ihre Führungsrolle hat: "Der Bürgermeister hat mir keine andere Wahl gelassen als zurückzutreten, was ich unter großem Bedauern tue."
Bürgermeister Khan von der Labour-Party erklärte in einer Stellungnahme, er habe Dick aufgefordert, einen Plan vorzulegen, wie sie die Probleme der Londoner Polizei in den Griff bekommen wolle. Der habe ihm jedoch nicht gereicht:
Vergangene Woche habe ich der Polizeichefin erklärt, dass es aus meiner Sicht fundamentale Veränderungen geben muss, um Rassismus, Sexismus, Homophobie, Mobbing, Diskriminierung und Frauenhass innerhalb der Polizei zu bekämpfen, um Vertrauen zur Bevölkerung wiederherzustellen. Ihre Antwort hat mir nicht gereicht.
"Schockierendes Verhalten" von Polizeibeamten
Die Liste der Skandale, in die die Londoner Polizei in den vergangenen Jahren verwickelt war, ist lang. Erst jüngst hatte eine unabhängige Untersuchungsbehörde in einem Bericht auf vielfältige Weise "schockierendes Verhalten" von britischen Polizeibeamten angeprangert.
Demnach tauschten Polizisten einer Dienststelle in Charing Cross in Chatgruppen rassistische, sexistische, homophobe und gewaltverherrlichende Nachrichten aus. Die betroffene Dienststelle wurden inzwischen aufgelöst. Andere Polizeibeamte wurden verurteilt, weil sie Handyfotos von getöteten Frauen per Social Media ausgetauscht hatten.
Hartes Vorgehen bei Gedenkwache
Schlagzeilen machte aber vor allem der Fall Sarah Everard. Die 33-Jährige war im März 2021 von einem Polizisten auf offener Straße entführt und später vergewaltigt sowie ermordet worden. Bei einer Gedenkwache für Everard, im Park Clapham Common, nahe des Tatorts, ging die Polizei hart gegen Besucherinnen vor und drückte Frauen zu Boden. Mitorganisatorin Jamie Klingler von "Reclaim the Streets" zeigte sich erfreut, dass Dick geht:
Wie Cressida Dick im vergangenen Jahr mit uns umgegangen ist, war beleidigend. Sie haben uns bei der Polizei wie naive Mädchen behandelt und die Sicherheitsbedenken von Frauen in der Öffentlichkeit überhaupt nicht ernst genommen. Erst vergangene Woche hat Dick noch drauf beharrt, dass es bei der Polizei keinen institutionellen Sexismus, Rassismus und Homophobie gibt. Wenn man aber nicht einmal anerkennt, dass es Probleme gibt, kann man sie auch nicht lösen.
Schwere Ermittlungsfehler bei Mordserie
Die 61-jährige Dick war 2017 als erste Frau an die Spitze der Metropolitan Police, kurz Met, berufen worden und hatte sich zeitgleich als lesbisch geoutet. Ihr Vertrag war trotz heftiger Kritik kürzlich verlängert worden. Die britische Innenministerin Priti Patel, oberste Dienstherrin von Dick, hatte erst vorgestern im Parlament gesagt, es gebe innerhalb der Met Police Probleme mit der Arbeitskultur sowie Führungsversagen.
Schwere Ermittlungsfehler gab es auch im Fall des Serienmörders Stephen Port, bei dem die Polizei Homophobie als Mordmotiv an einem jungen Mann sofort ausschloss. Das kostete wohl drei weiteren jungen Männern das Leben.
Die Mutter eines der Opfer, Sarah Sak, hatte Dick im Dezember noch getroffen: "Sie sagte immer wieder, was für ein wunderbarer Arbeitgeber die Met Police für Homosexuelle sei, ich entgegnete ihr: Sie haben homophobe Beamte in ihren Reihen. Es braucht jemanden mit mehr Durchblick und Durchsetzungskraft, um dort durchzugreifen, die Polizei ist ja jede Woche mit neuen Verfehlungen in den Schlagzeilen."
"Partygate": Polizei lehnte Ermittlungen ab
Eine schlechte Figur machte die Met auch bei den Ermittlungen im Lockdown-Partygate-Skandal im Umfeld von Downing Street 10, dem Regierungssitz. Die Polizei hatte Ermittlungen erst mit dem Argument abgelehnt, man werde so lange zurückliegende Ereignisse nicht rückwirkend untersuchen. Erst als die Spitzenbeamte Sue Gray, die einen Bericht über mögliche Corona-Regelbrüche anfertigen sollte, sich an die Polizei wandte, wurden Ermittlungen mit großer Verzögerung aufgenommen.
Dick bleibt bis zur Berufung ihrer Nachfolge im Amt. Wer das werden könnte, wird bereits intensiv diskutiert. Ernannt wird der Chef oder die Chefin der Met Police von der Queen auf Vorschlag des Innenministeriums. Aber ohne eine vertrauensvolle Beziehung zum Londoner Rathaus kann ein Met Chef nicht agieren, darum wird Khan in die Entscheidung auch eingebunden werden.
Mischt sich Johnson bei der Nachfolge ein?
Befürchtet wird, dass auch Premierminister Boris Johnson versuchen könnte, sich hinter den Kulissen einzumischen. Im Rahmen der Partygate-Affäre ist er selbst gerade von einer polizeilichen Ermittlung betroffen und gehört zu den rund 50 Personen aus dem Umfeld des Regierungssitzes, die eine Woche Zeit haben, einen Fragebogen der Met Police zu möglichen Lockdown-Verstößen zu beantworten.
Die Abgeordnete der Liberal-Demokraten, Munira Wilson, machte in der BBC deutlich, Innenministerin Patel dürfe sich bei Dicks Nachbesetzung von Johnson auf keinen Fall beeinflussen lassen: "Wir wissen, dass Johnson Gesetze und Regeln nichts bedeuten. Priti Patel muss sicherstellen, dass Johnson bei der Nachfolge nicht mitredet."