Tod von Ärztin in Österreich "Dieser Hass muss endlich aufhören"
Heute wird in Wien der toten Ärztin Kellermayr gedacht. Engagiert hatte sie Corona-Infizierte behandelt und für Impfungen geworben. Dafür erlebte sie Hass und Hetze, aber zu wenig Schutz durch die Polizei. Nun diskutiert das Land.
Erst der Schock, dann die Bestürzung - und jetzt die drängenden Fragen: Was lief hier fürchterlich schief? "In den Tod gehetzt" schreibt Florian Klenk, Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung "Falter". Er kannte die Ärztin Lisa-Maria Kellermayr gut, Österreichs bekannteste Corona-Ärztin, hatte zuletzt viel mit ihr telefoniert, erlebte sie am Ende "traumatisiert, geschockt, verängstigt". Noch im Frühjahr 2021 war das ganz anders, fröhlich hatte sie getwittert: "Jetzt werde ich also Landärztin", als sie sich ihren Traum erfüllte, eine eigene Praxis am Attersee.
Einzelne Hass-Kommentare und Morddrohungen von Impfgegnern steckte sie da noch weg. Bis zum November: Impfgegner demonstrierten vor dem Krankenhaus Wels-Grieskirchen, Lisa-Maria Kellermayr war empört, wie viele andere. Sie twitterte:
Heute in Wels: Eine Demo der Verschwörungstheoretiker verlässt den Pfad unter den Augen von Behörden und blockiert sowohl den Haupteingang zum Klinikum als auch die Rettungsausfahrt des Roten Kreuzes.
Beschimpfungen, Verleumdungen, Morddrohungen
Die Polizei reagierte, nannte den Tweet eine "Falschmeldung" - es gab noch eine zweite Zufahrt für die Krankenwagen. Aber ab jetzt hatte der Hass organisierter Telegram-Gruppen von Impfgegnern ein Ziel: die Impfärztin aus Seewalchen. Kellermayr löscht ihren Tweet, die Polizei nicht, obwohl die Ärztin darum bat.
Ab da wurde die Landärztin mit Beschimpfungen, Verleumdungen, Morddrohungen überflutet. Sie erzählte von angeblichen Patienten, die nur kamen, um den Praxisbetrieb zu stören, Handyvideos aufnahmen, die Bilder in Impfgegner-Kreisen verbreiteten.
Die Ärztin Maria Lisa-Kellermayr hatte kritisiert, nicht ausreichend Schutz bekommen zu haben.
Symbolfigur für den Gesundheitssektor
Kellermayr sucht Hilfe, bei der Polizei, beim Verfassungsschutz, sie macht ihr Problem öffentlich. Sie wird zur Symbolfigur für Ärztinnen, Pfleger, Krankenschwestern, die sich während der Corona-Pandemie für ihre Mitmenschen aufreiben - und deswegen angefeindet und bedroht werden. Österreichs Innenminister Gerhard Karner spricht - im Januar - von Drohungen im "niedrigen zweistelligen Bereich", die aber "ernstgenommen werden" müssten.
Ein Aktenvermerk der oberösterreichischen Polizei zum Fall Kellermayr, zitiert von "PULS24.at", klingt so:
Insgesamt wurde zunehmend der Eindruck gewonnen, dass Frau Dr. Kellermayr sich über verschiedene Schienen bemüht, die öffentliche Wahrnehmung ihrer Person zu erweitern, indem sie Druck auf die Ermittlungsbehörden ausübt.
Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen einen der Hetzer, stellt - im Juni - das Verfahren aber ein. Es ging gegen einen Verdächtigen in Deutschland, da sei man nicht zuständig. Eine deutsche Netz-Spezialistin bietet ihre Hilfe an, kommt in kurzer Zeit zwei möglichen Tätern auf die Spur, ein Neonazi aus dem Berliner Rau, ein Mann aus Oberbayern, der mit einem "Volkstribunal" droht. Die Expertin wird ignoriert. Die bedrohte Ärztin gibt viel Geld aus, für die Sicherheit ihrer Mitarbeitenden, ihrer Patienten, für ihre eigene. Ein bewaffneter Wachmann steht am Eingang der Praxis, hält einige "Patienten" auf, die mit Butterflymessern ins Wartezimmer wollten.
Tot in eigener Praxis aufgefunden
Bei der Ärztekammer Oberösterreich schütteln sie erstmal den Kopf: "Ich sehe ein, dass man sich wehren muss, aber es ist eine andere Frage, ob man sich bei jedem Thema auf Twitter exzessiv zu Wort melden muss."
Ende Juni schloss Dr. Kellermayr ihre Praxis. Die Situation sei für ihre Mitarbeitenden nicht mehr tragbar. Außerdem seien die Kosten für die Sicherheit nicht mehr zu stemmen gewesen, 100.000 Euro bis dahin. Anfang Juli kündigte sie an, die Praxis wieder öffnen zu wollen, die Ärztekammer wollte ihr helfen, den Konkurs zu vermeiden. Letzten Freitag dann wurde Lisa-Maria Kellermayr tot aufgefunden, in ihrer Praxis. "Kein Fremdverschulden", teilt die Staatsanwaltschaft mit. Es gebe Abschiedsbriefe. Drei, schreibt die "Kronenzeitung", einer davon an die Landespolizeidirektion Oberösterreich. Von der Staatsanwaltschaft: kein Kommentar zu deren Inhalt.
Das offizielle Österreich ist bestürzt. Der Bundespräsident, Alexander van der Bellen twittert: "Hass und Intoleranz haben in unserem Österreich keinen Platz." Gesundheitsminister Johannes Rauch schreibt: "Dieser Hass muss endlich aufhören." Seine beiden Vorgänger sind genau deswegen, wegen zunehmender Anfeindungen zurückgetreten, mit Hinweis auch auf die Hasskampagne gegen die Landärztin.
"Lichtermeer" geplant
Daniel Landau, der bereits das "Lichtermeer" in Wien gegen die Impfgegner-Demonstrationen organisiert hat, ruft zum stillen Gedenken für die Ärztin Lisa-Maria Kellermayr auf, auf dem Stephansplatz in Wien. Die Glocken des Stephansdoms werden läuten. Rund um den Dom, Kerzen. Ein neues "Lichtermeer" ist geplant. Das brauche Österreich jetzt:
Es spielt auch mit, dass es ist Zeit ist, noch einmal gemeinsam gegen jeden Hass, gegen diese Strömungen aufzutreten, die Frau Dr. Kellermayr auch Angst und Sorge bereitet haben.
Österreichs Ärztekammer unterstützt den Aufruf. Polizei und Staatsanwaltschaft weisen alle Vorwürfe zurück und ermitteln weiter. In den Querdenker- und Impfgegner-Gruppen auf Telegram, Twitter und Facebook wird die tote Ärztin weiter verhöhnt.
Telefonnummern der Telefonseelsorge: 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222 www.telefonseelsorge.de
Telefonberatung für Kinder und Jugendliche: 116 111 - www.nummergegenkummer.de