Friedensnobelpreis an Narges Mohammadi "Die Aufmerksamkeit gibt Kraft und Zuversicht"
Der Friedensnobelpreis für Narges Mohammadi sei ein Zeichen für die gesamte Protestbewegung im Iran, erklärt die Iranexpertin von Amnesty International, Müller-Fahlbusch. Für die in Haft sitzende Preisträgerin habe die Auszeichnung eher positive Folgen.
tagesschau.de: Erst vor zwei Tagen kam die Meldung, dass im Iran wohl eine 16-Jährige von der Sittenpolizei misshandelt worden sein soll, weil sie ihr Kopftuch nicht richtig getragen habe. Das Regime plant noch härtere Strafen. Wie wichtig also ist dieser Friedensnobelpreis für Nargis Mohammadi aus Ihrer Sicht?
Katja Müller-Fahlbusch: Dieser Friedensnobelpreis für Nargis Mohammadi ist ein wichtiges Zeichen. Erst mal freut es uns von ganzem Herzen für Mohammadi selbst, die sich seit Jahrzehnten für Menschenrechte im Iran einsetzt.
Es ist ein Zeichen nicht nur an sie, sondern an die gesamte Protestbewegung im Iran, an die mutigen Menschen, die Männer und Frauen, die seit über einem Jahr auf die Straße gehen, und das mit Gefahr für Leib und Leben.
Es ist ein Zeichen, dass dieser Einsatz und der Kampf für Menschenrechte und Freiheit gesehen wird, auch außerhalb des Iran. Ein Zeichen dafür, dass die Welt weiter hinschaut und sich weiter interessiert. Das wird der Protestbewegung sicherlich Kraft und Zuversicht geben.
Katja Müller-Fahlbusch ist Expertin für den Nahen Osten und Nordafrika bei Amnesty International in Deutschland.
"Eher mehr Schutz und nicht weniger"
tagesschau.de: Inwieweit kann dieser Preis Mohammadi, die ja in Haft sitzt, vielleicht auch schaden?
Müller-Fahlbusch: Dieser Preis wird den Aktivistinnen, die in Haft sind, nicht schaden. Wir wissen und dokumentieren seit vielen Jahrzehnten, dass insbesondere diejenigen Inhaftierten, deren Namen und Schicksale wir nicht kennen, häufig schutzlos Gewalt, Folter und Misshandlungen ausgeliefert sind.
In dem Moment, wo Gefangene, Inhaftierte, wo Aktivistinnen einen Namen, ein Gesicht, eine Geschichte haben, die über die Grenzen hinaus bekannt ist, bedeutet das in aller Regel mehr Schutz und nicht weniger.
Die Aufmerksamkeit gibt Zuversicht
tagesschau.de: Sie haben die Rolle der Frauen angesprochen. Was kann der Friedensnobelpreis für Mohammadi bewirken, auch um die Frauen und ihren Einfluss innerhalb der Gesellschaft zu stärken?
Müller-Fahlbusch: Zunächst einmal bedeutet dieser Preis, dass dieser Einsatz gesehen wird. Das ist nicht unbedingt selbstverständlich, denn wir haben in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten gesehen, dass der Kampf der Frauen im Iran für ihre Rechte international sehr häufig nicht wahrgenommen wird.
Seit dem Herbst vergangenen Jahres hören wir immer wieder, wie viel Kraft und Zuversicht diese internationale Aufmerksamkeit und die Öffentlichkeit den Menschen gibt.
Man muss sich vorstellen: Jedes Mal, wenn sie sich äußern, jedes Mal, wenn sie auf die Straße gehen, riskieren sie im Iran, inhaftiert, gefoltert und getötet zu werden. Die Aufmerksamkeit gibt ihnen Zuversicht und auch das Gefühl, nicht alleine zu sein in diesem Einsatz. Insofern ist das sehr wichtig und darf nicht unterschätzt werden.
Weit verbreitete Straflosigkeit
tagesschau.de: Was tun Sie und was können Sie als Organisation tun, um die Frauen im Iran zu unterstützen?
Müller-Fahlbusch: Als Menschenrechtsorganisationen dokumentieren wir Menschenrechtsverletzungen. Wir machen sie öffentlich, wir machen sie sichtbar. So versuchen wir, Druck auszuüben.
Natürlich auf die Regierung in Teheran - aber viel wichtiger ist der Druck auf die internationale Gemeinschaft. Damit diese sich dafür einsetzt, Verbrechen anzusprechen, öffentlich zu benennen, aber auch um konkrete Schritte zu unternehmen.
Im vergangenen Jahr beispielsweise hat der UN-Menschenrechtsrat eine Untersuchungskommission eingerichtet, die Menschenrechtsverletzungen im Iran untersuchen soll. Das war lange Jahre schon eine Forderung von Amnesty International. Wir haben es geschafft, durch die Öffentlichkeit und den Druck tatsächlich so viel politischen Willen aufzubauen, dass das endlich erreicht werden konnte. Das sind wichtige Schritte, insbesondere im Kampf gegen die Straflosigkeit im Iran.
Denn Menschenrechtsverletzungen und schwersten Verletzungen oder Verstößen gegen internationales Recht wird in der Regel im Iran mit Straflosigkeit begegnet. Täter müssen keinerlei Konsequenzen befürchten.
Im schlimmsten Falle werden sie sogar noch für Menschenrechtsverletzungen befördert, sogar bis in die höchste Staatsspitze, wie wir es am Beispiel des aktuellen Präsidenten der Islamischen Republik Iran sehen.
Das Gespräch führte Kathrin Schlass für tagesschau24. Das Interview wurde für die schriftliche Fassung leicht angepasst.