Human Rights Watch "Die Ukraine hat gezeigt, was möglich ist"
Hunger, Gewalt, politische Verfolgung: Human Rights Watch zeigt sich besorgt über die Menschenrechtslage weltweit - unter anderem etwa in Afghanistan. Die Solidarität für die Ukraine hingegen stifte Hoffnung.
Im vergangenen Jahr hat es nach Einschätzung der Nichtregierungsorganisation Human Rights Watch eine"Litanei von Menschenrechtskrisen" gegeben - teilweise aber auch Fortschritte beim internationalen Zusammenhalt. Die geschäftsführende Exekutivdirektorin, Tirana Hassan, kritisiert im Vorwort des 712 Seiten starken Berichts Jahre "rudimentärer und oft halbherziger Bemühungen" zugunsten von Zivilisten unter anderem in Afghanistan.
Die Mobilisierung der Welt rund um die Ukraine erinnere hingegen "an das außergewöhnliche Potenzial, wenn Regierungen sich ihrer Verantwortung gegenüber Menschenrechten auf globaler Ebene stellen". Hassan sagte auch, es sei gegenwärtig nicht mehr möglich, sich bei der Verteidigung der Menschenrechte auf eine kleine Gruppe von Regierungen - größtenteils aus dem globalen Norden - zu verlassen.
Afghanistan an einem Tiefpunkt
Eine besondere Verschlechterung der Menschenrechtslage beklagt Human Rights Watch für Afghanistan. Die wirtschaftliche und humanitäre Lage in dem Land habe sich verschärft, heißt es im "World Report", den die Organisation in London vorstellte. Die Taliban, die im August 2021 die Macht übernommen hatten, seien "mehr an der Verfolgung von Frauen und der Inhaftierung von Journalistinnen interessiert" als an der Bewältigung dieser Krise, so Fereshta Abbasi, Afghanistan-Expertin bei Human Rights Watch.
Im vergangenen März hätten die Taliban endgültig die Zusage gebrochen, weiterführende Schulen wieder für Mädchen zu öffnen. Proteste von Frauen seien gewaltsam aufgelöst, zahlreiche Demonstrierende und Medienschaffende festgenommen worden. Zuletzt hatte ein Betätigungsverbot für Frauen auch bei Hilfsorganisationen für Probleme gesorgt. Zudem seien Hunderte Menschen bei Attentaten ums Leben gekommen, insbesondere Angehörige religiöser Minderheiten. Auch die massive Wirtschaftskrise in Afghanistan halte an, so der Report.
Drastische Kürzungen der Geberhilfen, eine anhaltende Liquiditätskrise, steigende Preise für Lebensmittel und andere lebenswichtige Güter sowie Beschränkungen des Bankensektors durch ausländische Regierungen hätten die Krise verschärft. Millionen Kinder seien akut unterernährt, mehr als 90 Prozent der Bevölkerung von Ernährungsunsicherheit betroffen.
Appell an mehr internationale Zusammenarbeit
Die Zusammenarbeit von Regierungen ist nach Einschätzung von Human Rights Watch von großer Bedeutung für das Einhalten von Menschenrechten. "Die Mobilisierung der Welt im Falle der Ukraine hat gezeigt, was möglich ist, wenn Regierungen zusammenarbeiten", so die geschäftsführende Exekutivdirektorin Hassan bei der Vorstellung des Berichts in London.
Die russische Invasion in der Ukraine habe die Welt aufgerüttelt und "das komplette Arsenal des Menschenrechtssystems" angestoßen. Die Regierungen sollten sich allerdings fragen, wie die Situation wäre, wenn sie den russischen Präsidenten Wladimir Putin schon 2014 im Fall der Ukraine oder 2015 wegen der Verbrechen in Syrien zur Rechenschaft gezogen hätten.
Solche globalen Reaktionen seien zudem auch in anderen Fällen nötig, etwa in Äthiopien, das in zwei Jahren Krieg nur einen Bruchteil der Aufmerksamkeit erhalten habe, sagte Hassan. Der gleiche Geist der Solidarität sollte aufgebracht werden, um Menschenrechte rund um den Globus zu schützen und voranzubringen.
"Rechenschaftspflicht" für Äthiopien
Der bewaffnete Konflikt im Norden Äthiopiens hat laut Human Rights Watch nur einen Bruchteil der weltweiten Aufmerksamkeit auf sich gezogen, die der Ukraine zuteilwurde - obwohl die Kriegsparteien in Äthiopien seit zwei Jahren Gräueltaten, darunter mehrere Massaker, verübten. Die Regierungen und die Vereinten Nationen hätten die Hinrichtungen, die weit verbreitete sexuelle Gewalt und die Plünderungen zwar verurteilt, darüber hinaus jedoch wenig unternommen.
2020 waren die Spannungen zwischen der äthiopischen Regierung und der regional regierenden Tigray People's Liberation Front (TPLF) eskaliert, wie in dem Bericht nachzulesen ist. Seitdem habe die Regierung den Zugang unabhängiger Ermittlerinnen und Ermittler sowie der Presse zu den vom Konflikt betroffenen Gebieten stark eingeschränkt. Dies habe die Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen erschwert.
Auch für den Südsudan, den Jemen, Iran, China oder Myanmar stellt der "World Report" erhebliche Mängel bei der Lage von Menschenrechten fest. Der Bericht analysiert die Situation schlaglichtartig für fast 100 Länder. Er ist zum 33. Mal erschienen.