Abstimmung in Frankreich Abtreibungsrecht soll Verfassungsrang bekommen
Heute Nachmittag stimmt das französische Parlament darüber ab, ob das Recht auf Abtreibung in der Verfassung festgeschrieben werden soll. Frankreich wäre das erste Land weltweit, das diesen Schritt geht.
Mehr als anderthalb Jahre hat die politische Diskussion gedauert. Eine Diskussion, die Mélanie Vogel entscheidend mitgeprägt hat. Sie sitzt für die französischen Grünen im Senat und hat sich für die Verfassungsänderung eingesetzt.
Das Projekt spiegele eine gesellschaftliche Entwicklung, glaubt sie und bezieht sich auf eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts IFOP von November 2022: "86 Prozent der Französinnen und Franzosen waren dafür, das Recht auf Abtreibung in der Verfassung festzuschreiben. Aus ihrer Sicht ist es kein untergeordnetes Recht, sondern ein Grundrecht", erklärt die Politikerin.
Auslöser der Debatte
Auslöser für die Debatte in Frankreich war ein politischer Paukenschlag auf der anderen Seite des Atlantiks. Im Sommer 2022 hatte der Supreme Court in den USA das wegweisende Urteil "Roe v. Wade" von 1973 gekippt - und damit auch das bundesweite Recht auf Schwangerschaftsabbrüche.
In Frankreich hatte diese Entscheidung für heftige öffentliche Debatten gesorgt und einen politischen Prozess in Gang gesetzt, um das Recht auf Abtreibungen in der Verfassung festzuschreiben. Präsident Emmanuel Macron hatte das Thema schließlich zur Chefsache gemacht und erklärt: "2024 wird die Freiheit der Frauen zu einem Schwangerschaftsabbruch unumkehrbar sein."
Frauenrechte, so Macron, seien immer eine "fragile Errungenschaft". Wenn das Recht auf Abtreibungen in der Verfassung verankert ist, so die Überlegung, dann werde es zumindest schwieriger, daran zu rütteln - egal, wie die politischen Mehrheiten aussehen.
Sabine Rau, ARD Paris, zu der Abstimmung über den Verfassungsrang von Abtreibungsrecht in Frankreich
Zustimmung sogar von Rechtsaußen
Allerdings gibt es momentan in Frankreich keine einzige politische Gruppierung, die das Abtreibungsrecht in Frage stellt. Zumindest öffentlich tut das niemand, nicht einmal der extrem rechte Rassemblement National (RN). Dessen Fraktionschefin Marine Le Pen selbst hat nach einigem Hin und Her für die Festschreibung in der Verfassung gestimmt.
Gleichzeitig hatte sie aber mehrfach betont, dass sie den Vorschlag für "sinnlos" halte, weil das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche nicht gefährdet sei. Für Le Pen und den RN ist das Thema eine politische Gratwanderung und innerhalb der Partei umstritten. Einige RN-Abgeordnete hatten sich außerdem in der Vergangenheit als entschiedene Abtreibungsgegner positioniert.
Seit 1975 erlaubt
Die rechtliche Situation in puncto Abtreibungen ist in Frankreich und Deutschland grundlegend verschieden. In Deutschland ist ein Schwangerschaftsabbruch eine Straftat, die aber unter bestimmten Voraussetzungen nicht geahndet wird.
In Frankreich dagegen sind Abtreibungen seit 1975 legal. Sie wurden mit dem so genannten Veil-Gesetz entkriminalisiert, benannt nach der damaligen Gesundheitsministerin Simone Veil. In Frankreich werden Schwangerschaftsabbrüche als ein Recht der Frau betrachtet.
Das Veil-Gesetz enthält aber eine Gewissensklausel: Wer als Arzt oder Ärztin aus ethischen Gründen keine Schwangerschaftsabbrüche vornehmen will, ist dazu nicht gezwungen - muss Frauen aber an eine Stelle vermitteln, die ihnen weiterhilft. Darüber hinaus erhalten Frauen vor dem Eingriff auch Informationen zu möglichen negativen Folgen. Bei Minderjährigen ist eine psychologisch-soziale Beratung Pflicht.
Je nach Methode sind Abtreibungen bis zur 14. Schwangerschaftswoche erlaubt und werden von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen. Nach offiziellen Angaben hat es 2022 in Frankreich gut 230.000 Abtreibungen gegeben und damit 17.000 mehr als im Jahr davor. Über die letzten zwei Jahrzehnte hinweg ist die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche aber mehr oder weniger konstant geblieben.
"Garantierte Freiheit" versus "Recht"
Die verfassungsrechtliche Garantie würde das Abtreibungsrecht in Frankreich auf eine neue Stufe heben aber nicht grundlegend umkrempeln. Der Schritt gilt vor allem als politisches Symbol und als Signal: In einer Zeit, in der viele Länder - auch in Europa - das Abtreibungsrecht fast bis zur Nichtexistenz beschneiden, wählt Frankreich den umgekehrten Weg.
Als Macron das Verfassungsprojekt ankündigte, sahen viele Frauenrechtsorganisationen in Frankreich darin einen politischen Sieg. Für einige hat der allerdings einen bitteren Beigeschmack. Denn der Entwurf, über den der Kongress am Nachmittag abstimmt, soll nicht das "Recht" der Frauen auf einen Schwangerschaftsabbruch in der Verfassung festschreiben, sondern ihre "garantierte Freiheit" dazu.
Dieser Unterschied in der Formulierung mag haarspalterisch erscheinen, völlig irrelevant ist er nicht. Ein Recht bedeute immer auch eine Pflicht für den Staat, erklärt die Verfassungsrechtlerin Anne Levade in der Zeitung "Le Monde". Diese Pflicht bestehe darin, den effektiven Zugang zu diesem Recht zu garantieren. Kritikerinnen fürchten, dass die Formulierung "Freiheit zu" statt "Recht auf" eine Art Hintertür offen lässt, die es erlauben könnte, die Rahmenbedingungen für Abtreibungen einzuschränken. Und das möglicherweise so weit, dass der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen am Ende nicht mehr gesichert ist.
Verfassungsrang allein nicht entscheidend
Genau das sei teilweise schon jetzt problematisch, betonen Frauenrechtlerinnen - oder auch Krankenschwestern, die in ihrem Berufsalltag mit Abtreibungen zu tun haben. Denn die zunehmende Ungleichheit zwischen Stadt und Land mit Blick auf die medizinische Versorgung betrifft auch Schwangerschaftsabbrüche.
Die Organisation Planning Familial setzt sich für sexuelle Gesundheit, Bildung und das Recht auf Abtreibung ein. Sie schätzt, dass in den vergangenen fünfzehn Jahren rund 130 Abtreibungszentren geschlossen haben. Die Folge: längere Wartezeiten für die Beratung und weitere Wege.
Die Abstimmung im Kongress dürfte die Debatte beenden. Ob und wie sie diese Freiheit tatsächlich in Anspruch nehmen können: darüber dürfte weiter diskutiert werden.