Aufarbeitung der Sklaverei Frankreichs heikles Erbe
Am 10. Mai erinnert Frankreich an seine eigene Geschichte der Sklaverei. Ein Ritual seit mehreren Jahren - und doch geprägt von Widersprüchen und Tabus, sagen Kritiker. Selbst der Gedenktag ist umstritten.
An diesem Tag lässt er anderen den Vortritt: Mit einer hochkarätigen Delegation ist der französische Präsident Emmanuel Macron am Gedenktag zur Erinnerung an die Sklaverei und an den Sklavenhandel in den Pariser Jardin du Luxembourg gekommen. Dort, am Denkmal zur Abschaffung der Sklaverei, das gesprengte Ketten symbolisieren soll, tragen Schüler aus Übersee und Kontinentalfrankreich Texte vor, in denen sie sich mit Sklaverei auseinandergesetzt haben.
Der Präsident ergreift nicht das Wort. Stattdessen legt er Blumengebinde in den Nationalfarben vor dem Denkmal nieder. Ein stilles Gedenken. Nach einer Schweigeminute singen Gewinner des Wettbewerbs "Stimmen aus Übersee" die französische Nationalhymne.
Jahrzehntelang wurde kaum über das Thema gesprochen
2006 führte der französische Präsident Jacques Chirac den nationalen Gedenktag am 10. Mai ein. Für Macron ist dieser Tag seit Beginn seiner Amtszeit ein feststehender Termin. Zum dritten Mal begeht er ihn im Jardin du Luxembourg. Schon 2019 hatte Macron gesagt: "Diese Geschichte ist unsere Geschichte." Nachdem jahrzehntelang quasi kaum darüber gesprochen wurde, rückt das Thema nun etwas mehr in den Fokus.
"Wir befinden uns jetzt in einem Prozess zur Anerkennung der Geschichte der Sklaverei, was es so vor 2006 nicht gab", sagt der Historiker Nicolas Bancel, der an den Universitäten Straßburg und Lausanne lehrt. "Der Prozess wird lange dauern und ist sehr komplex."
Geächtet seit 20 Jahren
Dieses Jahr ist es ein besonderes Jahr. Das so genannte "Loi Taubira" jährt sich zum 20. Mal. Mit diesem Gesetz wurden im Jahr 2001 Sklavenhandel und Sklaverei als Verbrechen gegen die Menschlichkeit anerkannt. Auch in Schulen steht das Thema seitdem auf dem Lehrplan.
"Das Gesetz und auch der Gedenktag haben dazu geführt, dass das Thema überhaupt auf der offiziellen Tagesordnung erscheint!, so Bancel. "Für Frankreich ist das enorm wichtig, für die Überseegebiete erst recht. Dort leben natürlich noch immer Familien, deren Vorfahren persönlich betroffen waren." 2,2 Millionen Franzosen leben heute insgesamt in den französischen Überseegebieten.
Die ehemalige Justizministerin Christiane Taubira, die aus Französisch-Guyana stammt und auf die das Gesetz zurückgeht, betont in einem Interview gegenüber der Nachrichtenagentur AFP: "Die Spuren der Sklaverei sind noch immer da, im Geist, in der Mentalität, in den institutionellen Mechanismen." Diskriminierung sei kein Hirngespinst. "Die Konsequenzen dieser Geschichte sind da und sie wiegen schwer", sagt sie.
Sie kämpfte für das Gesetz, das Sklaverei und Sklavenhandel als Verbrechen gegen die Menschlichkeit anerkennt: Christiane Taubira,
Millionen Menschen versklavt
Frankreich blickt auf eine lange Kolonialgeschichte seit dem 17. Jahrhundert zurück. Im 19. Jahrhundert war Frankreich die zweitgrößte Kolonialmacht der Welt. Davon zeugen noch immer Übersee-Départements wie La Réunion oder Guadeloupe. Die französische Kolonialgeschichte ist eng mit der Sklaverei verknüpft.
Millionen Sklaven wurden aus Afrika in französische Kolonien gebracht. In der Karibik mussten versklavte Menschen vor allem in Zuckerrohrplantagen arbeiten. Die Stadt Nantes an der Loire im Westen war der Hauptumschlagplatz für den französischen Sklavenhandel. Erst 1848 wurde die Sklaverei endgültig abgeschafft.
Auf der Insel Guadeloupe erinnert heute ein Denkmal an Louis Delgres, der 1802 den Widerstand gegen die von Napoleon entsandten Truppen anführte.
"Noch immer ein Tabuthema"
Die Auseinandersetzung mit dem Thema verlaufe noch immer schleppend, sagt Historiker Bancel. "In Frankreich ist Kolonialgeschichte quasi noch immer ein Tabuthema. Deutschland zum Beispiel ist viel weiter darin, seine eigene Geschichte aufzuarbeiten." Einige nehmen die Aufarbeitung an sich als Angriff auf die nationale Einheit Frankreichs wahr. "Aber unsere Geschichte ist nun mal komplex und widersprüchlich", sagt er.
Auch der Gedenktag selbst ist umstritten. Er geht auf den Tag des Senatsbeschluss zurück, in dem Sklaverei zum Verbrechen gegen die Menschlichkeit erklärt wurde. Einige kritisieren, dass der Tag nicht von den Betroffenen selbst gewählt wurde. Im französischen Übersee-Département Martinique wird zum Beispiel am 22. Mai der Sklaverei gedacht. An diesem Tag wurde 1848 die Sklaverei abgeschafft.
Frankreich hat noch viele Fragen zu klären. Der frühere Premier- und Außenminister Jean-Marc Ayrault, der der Stiftung zum Gedenken an die Sklaverei vorsitzt, spricht in einem Interview mit der Nachrichtenagentur AFP davon, dass sich das Klima in den letzten Jahren "polarisiert" und "radikalisiert" habe. Es müssen einen Weg geben zwischen denen, die nichts aufarbeiten wollen und denen, die durch die Debatte die Gesellschaft in einzelne Gruppen spalten wollen.
Den Opfern eine Stimme geben
Wie aufgeladen die Diskussion ist, zeigt sich in dieser Woche, in der hitzig debattiert wird, dass der französische Präsident innerhalb einer Woche beim Gedenktag zum 200. Todestags Napoleons und anlässlich des Gedenkens an die Sklaverei auftritt. Napoleon hatte 1802 die Sklaverei wieder eingeführt, nachdem sie 1794 eigentlich bereits abgeschafft worden war. "Es fällt uns noch immer leicht, von großen Helden zu sprechen, aber Opfer bleiben noch immer ohne offizielle Stimme", sagt der Historiker Bancel.
Für ihn ist Aufarbeitung der Schlüssel: "Wir müssen versuchen, die Kolonialisierung zu verstehen, um unsere Gegenwart und seine Herausforderungen zu begreifen."