Blick in den Plenarsaal des Parlaments in Frankreich
Analyse

Abstimmungen in Frankreich Rentenreform auf der Zielgeraden

Stand: 16.03.2023 11:29 Uhr

Wochenlang haben Hunderttausende in Frankreich immer wieder gegen die geplante Rentenreform protestiert - nun könnte es zur endgültigen Entscheidung kommen. Ein spannender Tag mit offenem Ausgang - und drei möglichen Szenarien.

Eine Analyse von Julia Borutta, ARD Paris

Der finale Gesetzestext muss heute durch beide Parlamentskammern, den Senat und die Nationalversammlung. Im Senat wurde das Gesetz bereits am Vormittag mit 193 zu 114 Stimmen angenommen. Es ist jedoch nicht ausgemacht, dass die Regierung auch in der Nationalversammlung die nötige Mehrheit bekommt. Dort könnte ab 15 Uhr abgestimmt werden.

Derzeit laufen Telefone und Taschenrechner heiß. Alles kommt auf die Abgeordneten der konservativen Partei "Les Republicains" an. Denn die Regierung hat keine eigene Mehrheit.

Das sind die drei möglichen Szenarien zum Ausgang.

Erstes Szenario

Die Regierung ist sich nach intensiven Gesprächen hinter den Kulissen sicher, auf ausreichend Stimmen im eigenen Regierungsbündnis sowie bei den konservativen Republikanern zählen zu können. Dann würde sie den Gesetzestext zur Abstimmung vorlegen. Gewinnt sie wie geplant die Abstimmung, wäre das Gesetz angenommen und die Regierung hätte die Hoffnung, sich endlich anderen, populäreren Themen zuwenden zu können.

Zweites Szenario

Die Regierung riskiert die Wahl, verschätzt sich aber bei den Stimmen, sodass der Text von einer Mehrheit abgelehnt wird. Das wäre eine schwere Niederlage für die Regierung und hätte sehr wahrscheinlich zur Folge, dass sie Neuwahlen ausruft.

Drittes Szenario

Die Regierung geht von vornherein davon aus, nicht genug Stimmen zusammenzubekommen und beschließt deshalb, den umstrittenen "Artikel 49.3" anzuwenden. Dieser erlaubt es, den Gesetzestext ohne Abstimmung zu verbschieden - es sei denn, es wird ein Misstrauensantrag gegen die Regierung gestellt. Wenn die Regierung diesen übersteht, gilt der Text als angenommen.

Emmanuel Macron und seine Regierungschefin Elisabeth Borne haben immer wieder betont, das Gesetz unbedingt zur Abstimmung bringen zu wollen. Denn die Anwendung von "Artikel 49.3" bei einer so zentralen Sozialreform ist in den Augen vieler Französinnen und Franzosen illegitim und würde der Regierung einen schweren Imageschaden zufügen.

Ein Abgeordneter des Präsidentenlagers lässt sich heute in der Zeitung "Le Monde" zitieren: "Lieber eine verlorene Abstimmung und eine politische Krise von ein paar Wochen als eine Anwendung des 'Artikels 49.3' und eine politische Krise von mehreren Jahren."

Die Nationalversammlung soll laut Plan um 15 Uhr zusammentreten. Vor ihren Türen werden Gewerkschafter erneut gegen die Rentenreform protestieren.

Julia Borutta, Julia Borutta, ARD Paris, 16.03.2023 11:52 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 16. März 2023 um 12:00 Uhr.