Tania von Uslar-Gleichen (l)

Völkermord-Klage vor dem IGH Deutschland nennt Nicaraguas Vorwürfe "haltlos"

Stand: 09.04.2024 15:54 Uhr

Der Vorwurf von Nicaragua wiegt schwer: Durch seine Israel-Hilfen unterstütze Deutschland einen Völkermord in Gaza, sagt das autoritär regierte Land. Vor dem IGH hatte nun Deutschland das Wort und widersprach ausdrücklich.

Gut zwei Stunden lang haben Deutschlands Vertreterinnen und Vertreter in Den Haag versucht, Nicaraguas Anschuldigungen, die Bundesrepublik leiste Völkermord-Beihilfe in Gaza zu entkräften. "Wir haben heute dargelegt, dass wir die unbegründeten, haltlosen Anschuldigungen Nicaraguas zurückweisen und dass kein Anlass für den IGH besteht, einstweilige Anordnungen zu erlassen", erklärte die Leiterin der deutschen Delegation, Tania von Uslar-Gleichen, nach der Anhörung vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH).

"Wir sind uns unserer Verpflichtungen aus der Völkermord-Konvention und dem humanitären Völkerrecht voll bewusst. Und wir werden ihnen gerecht", unterstrich die Leiterin der Rechtsabteilung im Auswärtigen Amt.

Streitpunkt Waffenlieferungen

Die Regierung des mittelamerikanischen Landes wirft Deutschland Beihilfe zum Völkermord vor, weil die Bundesregierung Waffen an Israel liefert und nach den Vorwürfen, einige UNRWA-Mitarbeitern hätten die Hamas unterstützt, Zahlungen an das Palästinenser-Hilfswerk ausgesetzt hat.

Der Völkerrechtler Christian Tams, der Deutschland ebenfalls vor dem IGH vertritt, hielt vor Gericht dagegen: Der Zahlungsstopp habe auf den Umfang der Hilfe keine Auswirkungen. Deutschland sei mit 254 Millionen Euro in den vergangenen anderthalb Jahren der größte individuelle Geber. Und: Anstatt die Unterstützung nach dem 7. Oktober einzustellen, hat die Bundesrepublik ihre humanitäre Hilfe für Palästinenser in den besetzten Gebieten mehr als verdreifacht.

Tams bestritt auch Nicaraguas Vorwurf, deutsche Rüstungsexporte nach Israel begünstigten einen Völkermord. Er verwies auf die strengen Genehmigungspflichten, wobei mehrere Bundesministerien diese prüfen. Seit dem Hamas-Überfall hat Berlin demnach vier Genehmigungen für die Ausfuhr von Kriegswaffen erteilt. In drei Fällen sei es um Übungsmunition gegangen, in einem Fall um Panzerabwehrwaffen. "Die gestern von Nicaragua vorgebrachten Verweise auf Artilleriegranaten oder Munition, die in Gaza eingesetzt werden, haben schlicht keinen Bezug zur Wirklichkeit. Deutschland weist das zurück."

Deutschland stellt IGH-Zuständigkeit infrage

Die deutsche Seite hält Nicaraguas Vorwürfe auch rechtlich für fragwürdig und den Gerichtshof für nicht zuständig. Sie bezweifelt, dass Deutschland des Völkermordes mitschuldig sein kann, wenn das Gericht den angeblich von Israel begangenen Genozid noch gar nicht festgestellt hat.

Der britische Jurist Samuel Wordsworth, ebenfalls ein Vertreter Deutschlands, betonte: "Die Anschuldigungen könnten kaum schwerwiegender sein, und die beantragten Maßnahmen haben direkte und indirekte Auswirkungen auf Drittstaaten." Gerade deshalb brauche es den echten Nachweis einer eindeutig gegensätzlichen Auffassung - "und nicht ein überstürztes Aufsuchen des Gerichts auf einer bestenfalls halbfertigen Grundlage."

Baerbock: Deutschland ist internationalem Recht verpflichtet

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock bekräftigte, dass Deutschland dem internationalen Recht verpflichtet sei. Das schließe sowohl Israels Selbstverteidigungsrecht als auch die Unterstützung der Palästinenser ein: "Weswegen wir auch von Beginn an deutlich gemacht haben, dass wir unsere eigene humanitäre Hilfe nach Gaza ausbauen." Sie und der Bundeskanzler hätten zudem immer wieder betont, dass die israelische Regierung in der Pflicht sei, zwischen Hamas-Terroristen und der Zivilbevölkerung zu unterscheiden und humanitäre Hilfe nach Gaza reinzulassen.

Nicaragua hat den IGH aufgefordert, vorläufige Maßnahmen gegen Deutschland zu ergreifen. So solle die Bundesregierung Rüstungslieferungen an Israel stoppen und die Zahlungen an das Palästinenser-Hilfswerk wieder aufnehmen. Mit einer Entscheidung der 16 Richterinnen und Richter wird in einigen Wochen gerechnet.

Jakob Mayr, ARD Brüssel, tagesschau, 09.04.2024 15:11 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 09. April 2024 um 16:00 Uhr.