Bulgarien Neue Regierung in Sofia - oder doch nicht?
Aus der vereinbarten Neubesetzung des Premier-Postens in Bulgarien ist ein Streit um das gesamte Kabinett entbrannt. Der schien gestern gelöst. Wenig später war schon wieder alles anders.
Das Chaos scheint perfekt, die Regierung in Sofia komplett zerstritten. Dabei hatte es am Dienstagnachmittag noch so ausgesehen, als wäre der seit Wochen dauernde Streit um Minister und andere Posten vom Tisch. Die Vizepremier-Außenministerin Maria Gabriel legte dem Staatspräsidenten eine Kabinettsliste vor.
"Zu diesem Zeitpunkt kann Bulgarien nicht in Neuwahlen geschickt werden", so Gabriel. "Wir tragen Verantwortung. Deshalb habe ich eine Regierung vorgeschlagen, in der es keinen einzigen unbekannten Namen gibt. Sie besteht aus Leuten mit Parlaments- und Führungserfahrung."
Gabriel will Premierministerin werden
Unter den Namen ist auch der von Gabriel selbst - sie will Premierministerin werden. So war es im Juni auch mit den beiden anderen Parteien in der Regierung vereinbart worden. Sie heißen "Demokratisches Bulgarien" und "Wir setzen den Wandel fort". Nicht vereinbart worden war aber, ob außer dem Premier-Posten auch andere Ämter neu besetzt werden sollen.
Gabriel hat das nun vor. Sechs neue Minister stehen auf ihrer Liste, vier davon hat sie ihrer Partei, GERB, zugeschlagen. All das geschah aber - trotz wochenlanger Verhandlungen - offenbar im Alleingang. Denn am Abend verkündeten Gabriels bisherige Regierungspartner, sie seien übergangen worden.
Der scheidende Premierminister Nikolaj Denkow sagte: "Die heute vorgeschlagene Zusammensetzung des Kabinetts ist nicht mit dem Verhandlungsteam von 'Wir setzen den Wandel fort'-'Demokratisches Bulgarien' abgestimmt. Das ist der Entwurf von GERB." Nicht wenige der als Minister nominierten Personen hätten ihre Zustimmung zur Teilnahme an einem solchen Kabinett nicht gegeben. "Ich selbst habe nie zugestimmt, in einem Kabinett mit dieser Zusammensetzung mitzuarbeiten."
Scharfe Kritik an Vorgehen Gabriels
Denkow soll laut Gabriels Plan Vize-Premierminister werden. Seine Äußerungen legen nahe, dass daraus nun nichts wird. Das Vertrauen zwischen den ohnehin zerstrittenen Regierungsparteien scheint endgültig zerstört.
Der Co-Vorsitzende der Anti-Korruptions-Partei "Wir setzen den Wandel fort", Kiril Petkow, griff Maria Gabriel gestern gar persönlich an: "Sie hat heute gezeigt, dass sie nicht die Eigenschaften hat, um Premier zu sein. Dafür muss man über grundlegende Integrität, Mut und Führungsfähigkeiten verfügen und darf sich nicht verbiegen. Sie tut mir leid."
"Vielleicht das neueste und schönste Gesicht der Mafia in Bulgarien"
Petkows Partei war die Regierung mit Maria Gabriels GERB-Partei nur ungern eingegangen. Denn das zentrale Versprechen von "Wir setzen den Wandel fort" war lange Jahre, niemals mit GERB zu regieren. Hintergrund sind Korruptionsvorwürfe gegen die Partei und vor allem ihren Vorsitzenden, Bojko Borissow. Er war zwischen 2009 und 2021 mehrfach bulgarischer Regierungschef. In dieser Zeit soll er unter anderem EU-Geld veruntreut haben.
Für das Anti-Korruptionsbündnis von "Wir setzen den Wandel fort" und der Partner-Partei "Demokratisches Bulgarien" ist Borissow daher ein rotes Tuch. Und für Finanzminister Assen Wassilew scheint Maria Gabriel inzwischen mit Borissow auf einer Stufe zu stehen. "Ohne meine Zustimmung als Minister in ein Kabinett aufgenommen zu werden, ist ein absoluter Skandal, eine Verhöhnung von allem, wofür wir als Rechtsstaat kämpfen", erklärte Wassilew. "Es zeigt, dass Frau Gabriel nicht mehr Teil der Lösung, sondern Teil des Problems ist - vielleicht das neueste und schönste Gesicht der Mafia in Bulgarien."
Weiteres Vorgehen ist unklar
Wie es nun weitergeht, ist unklar. "Wir setzen den Wandel fort" und "Demokratisches Bulgarien" haben den Staatspräsidenten und den Parlamentspräsidenten dazu aufgefordert, eine Abstimmung über das neue Kabinett im Parlament zu verhindern. Staatspräsident Rumen Radew hat aber schon abgewunken.
"Wir setzen den Wandel fort" und "Demokratisches Bulgarien" forderten den Staatspräsidenten und den Parlamentspräsidenten dazu auf, eine Abstimmung über das neue Kabinett im Parlament zu verhindern. Staatspräsident Rumen Radew hat schon abgewunken.
Der Parlamentspräsident, ein GERB-Mann, hat sich noch nicht geäußert. Die zerstrittenen Parteien signalisierten indes eine gewisse Bereitschaft, weiter zu verhandeln. Denn Neuwahlen würden an der verfahrenen Lage in Bulgarien wohl kaum etwas ändern: Auch andere Partei-Konstellationen waren in den vergangenen Jahren nach kurzer Zeit gescheitert.
In einer früheren Version dieses Artikels war das Zitat "Ohne meine Zustimmung als Minister in ein Kabinett aufgenommen zu werden, ist ein absoluter Skandal, eine Verhöhnung von allem, wofür wir als Rechtsstaat kämpfen" dem GERB-Vorsitzenden Bojko Borissow zugeschrieben worden. Gesagt hatte es jedoch Finanzminister Assen Wassilew. Wir haben die Textstelle korrigiert.
Mehr zum Hintergrund dieser und anderer Korrekturen finden Sie hier: tagesschau.de/korrekturen