Bosnien und Herzegowina Nationalisten geben den Ton an
Die Wahlen heute in Bosnien und Herzegowina gelten als die Kompliziertesten der Welt. Das Land ist dreigeteilt, Nationalismus und Korruption von allen Seiten lähmen es auf seinem Weg in die EU.
Die Wahlkampfveranstaltung der serbischen Nationalisten gleicht einem Volksfest. Rund 1000 Menschen sitzen im Dorf Nova Topola bei Banja Luka, ganz im Norden des serbischen Landesteils Republika Srpska, unter Zeltplanen auf Bierbänken. Es gibt Spanferkel, gegrillte Würste und Schnaps für alle, spendiert von der Regierungspartei SNDS. Eine Liveband spielt Balkanfolk, vor der Bühne wird im Kreis getanzt - Kolo.
Milorad Dodik tritt auf, der serbische Vertreter im dreiköpfigen Staatspräsidium von Bosnien und Herzegowina. Jetzt kandidiert er als Präsident der Republika Srpska. Er ist ein Nationalist und Separatist und propagiert die Abspaltung von Bosnien.
Appell zum Zusammenhalt - an die eigenen Leute
An diesem Abend hält er sich damit allerdings zurück. "Viele versuchen von der Seite die Politik eines ganz normalen Volkes in den Dreck zu ziehen. Wir müssen als Volk zusammenhalten", ruft Dodik der jubelnden Menge zu.
Er sagt, dass die Republika Srpska mächtige Freunde habe: den serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić, den ungarischen Präsidenten Viktor Orbán und den russischen Präsidenten Wladimir Putin. "Ich kann da anrufen und sagen, dass mir heute etwas fehlt, und dann bekomme ich es", sagt Dodik und spottet, dass die Republika Srpska im Gegensatz zur EU nicht frieren müsse, weil sie Gas aus Russland bekomme.
Bild vom gepeinigten Volk
Dodik heizt die Stimmung weiter auf, indem er die Serben als gepeinigtes Volk darstellt: durch die Osmanen, durch Österreich-Ungarn und die Nazis im Zweiten Weltkrieg. Und auch in den Jugoslawien-Kriegen der 1990er Jahre hätten die Serben gelitten, so Dodik.
Unerwähnt bleibt, dass bosnisch-serbische Truppen nach Erkenntnissen der UN im Bosnienkrieg etwa 80 Prozent der Kriegsverbrechen begangen haben. Dodik hat in der Vergangenheit immer wieder den Genozid an den Bosniaken in Srebrenica mit mehr als 8000 Toten geleugnet. Das ist in Bosnien strafbar.
"Bildung national-ethnischer Muskeln"
"Dodik liefert Wahlkampf-Folklore, bei der es nur um die Bildung national-ethnischer Muskeln geht", sagt Tanja Topić von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Banja Luka. Sie sieht Dodik vor allem als nationalistischen Sprücheklopfer. "Seit 2010 hatten wir im Parlament der Republika Srpska mehrere Beschlüsse für eine Abspaltung, aber passiert ist nie etwas", sagt Topić.
Doch immerhin ist Dodik der populärste Politiker in der Region und Favorit bei den Wahlen am Sonntag. Das Zündeln geht weiter.
Aufgeheizte Stimmung auch in Herzegowina
Ähnlich aufgeheizt ist auch die Stimmung unter vielen bosnischen Kroaten. Sie leben vor allem im Südwesten des Landes der bosnisch-kroatischen Föderation, in der Herzegowina. Seit den letzten Wahlen 2018 fühlen sie sich betrogen. Damals wurde HDZ-Bosnien-Chef Dragan Čović als kroatischer Vertreter im gesamt-bosnischen Staatspräsidium abgewählt. Er verlor gegen Željko Komšić, den viele Kroaten nicht als echten Kroaten ansehen.
"Die Mehrheit der Gemeinden, in denen die Kroaten leben, hat den Herrn, der sich als kroatischer Vertreter ausgibt, zur Persona Non Grata erklärt", sagt Mate Lončar, der Vorsitzende der bosnischen HDZ-Jugend.
"Die hier leben, wählen einfach"
Komšić steht deutlich weiter links als die HDZ, die als christlich-konservativ bis nationalistisch gilt. Er gibt an, den Ethno-Nationalismus überwinden zu wollen und bekommt dafür vor allem von Seiten der Bosniaken Zustimmung. Seine Wähler hat er auch überwiegend in den Kantonen der bosnisch-kroatischen Föderation, in denen mehrheitlich Bosniaken leben. In der Föderation darf jeder jeden wählen, die Bosniaken den Kroaten-Vertreter und andersherum.
Die linke bosnisch-kroatische Journalistin Stefica Galić aus Mostar hält das für richtig. "Es gibt keine ethnisch getrennte Abstimmung, sondern diejenigen, die hier leben, wählen einfach. Die angebliche Unterdrückung der Kroaten ist nichts weiter als ein HDZ-Mantra. Ihr Vorsitzender Čović hat einen unglaublichen Reichtum angehäuft und hatte Gerichtsverfahren am Hals, während immer mehr Kroaten aus Bosnien und Herzegowina abwandern. Das sollten die Kroaten mal hinterfragen", sagt Galić.
Was will die Regierungspartei?
Patriotismus und Nationalismus sind auch bei der stärksten Partei Bosnien und Herzegowinas, der SDA, ausgeprägt. Sie vertritt die Mehrheitsbevölkerung der Bosniaken. Der Philosoph und Politikwissenschaftler der Universität Sarajewo Asim Mujkić sieht hier allerdings einen Unterschied.
"Dodik möchte, dass sich die Republika Srpska irgendwann mit Serbien vereinigt. Die HDZ träumt von einem eigenen kroatischen Landesteil. Die SDA hingegen möchte die Einheit Bosnien und Herzegowinas, allerdings unter ihrer Dominanz. Denn mehr als 50 Prozent der Bevölkerung sind Bosniaken", sagt Mujkić.
Die Schwäche bürgerlicher Parteien
Die Nationalisten geben in der Regierung und in den Parlamenten den Ton an. Bürgerlichen Parteien werden nur auf lokaler Ebene Chancen zugesprochen, vor allem in der Großstadt Sarajewo.
Mujkić fordert, dass die EU die bürgerlichen Kräfte stärkt. "Die deutsche Außenpolitik unter Angela Merkel hat einen Fehler gemacht. Sie hat auf die stärksten politischen Kräfte in der Region gesetzt. So sollte der serbische Präsident Vučić für Stabilität sorgen, was gescheitert ist. Die EU sollte sich lieber für Werte einsetzen wie Freiheit, Menschenrechte und soziale Rechte", sagt Mujkić.
Doch solange die Politik in Bosnien und Herzegowina so gespalten und korrupt sei, bleibe der EU-Beitritt in weiter Ferne, und auch eines der größten Probleme werde nicht gelöst: die Abwanderung junger gut Ausgebildeter. Im vergangenen Jahr haben etwa 170.000 Menschen das Land verlassen. Bei einer Bevölkerung von 3,3 Millionen ist das eine ganze Menge.