Nach Bootsunglück im Mittelmeer Küstenwache weitet Suche nach Überlebenden aus
Trotz geringer Chancen noch Überlebende des schweren Bootsunglücks zu finden, hat die griechische Küstenwache ihre Suche im Mittelmeer ein letztes Mal ausgeweitet. Im Land ist unterdessen ein Streit um die Verantwortung für den Vorfall entbrannt.
Zwei Tage nach dem schweren Bootsunglück im Mittelmeer mit vermutlich Hunderten Toten gibt es praktisch keine Hoffnung mehr, noch Überlebende zu finden. Die Chance darauf "schwindet nach diesem tragischen Schiffsunglück von Minute zu Minute" sagte Stella Nanou, eine Sprecherin des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR).
Das Suchgebiet in den Gewässern südwestlich von Griechenland wurde trotzdem nochmals ausgeweitet, teilte die Küstenwache mit. Nach Medienberichten soll die Suche im Laufe des Tages aber eingestellt werden.
Massenpanik brachte Boot zum Kentern
Der mit schätzungsweise 500 bis 700 Menschen besetzte Fischkutter war in der Nacht zum Mittwoch rund 50 Seemeilen südwestlich der Halbinsel Peloponnes in internationalen Gewässern gesunken. Zuvor soll wegen eines Maschinenausfalls an Bord eine Massenpanik ausgebrochen sein, die das übervolle Schiff zum Kentern brachte. Überlebende berichteten, dass viele Passagiere nicht schwimmen konnten und auch kaum Schwimmwesten getragen wurden.
Die Behörden vermuten, dass das Boot sehr schnell sank. Deshalb sei es den Menschen unter Deck vermutlich nicht gelungen, ins Freie zu entkommen. Die Küstenwache konnte 104 Menschen retten, 78 Tote wurden bislang geborgen. Der Unglücksort befindet sich in der Region der tiefsten Stelle des Mittelmeers, dem bis zu 5267 Meter tiefen Calypsotief. Eine Bergung des Wracks ist deshalb kaum wahrscheinlich.
Streit um Verantwortung entbrannt
In Griechenland ist nach dem Unglück ein Streit rund um die Verantwortung für den Vorfall entbrannt. "Es ist ein Verbrechen - wo sind die Schuldigen?", titelte etwa die linke Zeitung "Efimerida ton Syntakton". Politiker vor allem linker Parteien sehen die konservative Regierung der vergangenen vier Jahre in der Verantwortung. Aufgrund der von ihr eingeführten strengen Kontrollen auf dem Meer wählten Schleuser nun gefährlichere, längere Routen an Griechenland vorbei direkt nach Italien, lautet der Vorwurf.
Am Donnerstag hatte Alexis Tsipras, Chef der größten linken Oppositionspartei Syriza, eine Mitschuld bei der Küstenwache gesehen. In einem Streitgespräch fragte er den Interimsminister für Bürgerschutz, Evangelos Tournas, warum diese nicht eingegriffen habe. Tournas erklärte, ein Eingreifen in internationalen Gewässern sei nicht möglich, wenn der Kapitän des Bootes dies ablehne. Hilfe sei der Besatzung mehrfach angeboten, diese aber konsequent ausgeschlagen worden.
Küstenwache entdeckte Boot vor Unglück
Das überladene Boot war vor dem Unglück bereits entdeckt worden. Die griechische Küstenwache und auch vorbeifahrende Frachter hätten der Besatzung des Boots per Funk wiederholt Hilfe angeboten, die aber vehement abgelehnt wurde, sagte ein Sprecher der Behörde. Auch die EU-Grenzschutz-Agentur Frontex wusste um das gefährdete Boot. Seine Kollegen hätten das Boot am Dienstag entdeckt und den Behörden gemeldet, sagte Frontex-Chef Hans Leijtens der "Süddeutschen Zeitung".
Leijtens zeigte sich beklommen über die neuerliche Flüchtlingskatastrophe. "Ich wünschte, ich hätte den Einfluss, das Sterben zu stoppen", sagte er der "Süddeutschen". "Aber wir können keine Wunder vollbringen. Wir überwachen ein Meer, das doppelt so groß ist wie Frankreich, Spanien und Italien zusammen."
Mehr als 25.000 Menschen sollen im Atlantik und im Mittelmeer seit 2015 beim Versuch gestorben sein, Europa zu erreichen. Der Frontex-Chef betonte, die primäre Aufgabe seiner Leute sei, potenziell überbelegte Boote per Wärmekameras auszumachen und den nationalen Behörden zu melden. Es sei schrecklich, "dass wir ein Schiff sahen, das wenig später unterging", und dass viele Menschen starben. In dem Moment des Entdeckens habe es aber keinen Hinweis auf einen "akuten Notfall" gegeben, so Leijtens.
Behörden nehmen mutmaßliche Schleuser fest
Am Donnerstagabend waren von den 104 Überlebenden neun Verdächtige in der Hafenstadt Kalamata festgenommen worden. Die Männer gelten als mutmaßliche Schleuser und Organisatoren der Unglücksfahrt. Dem staatlichen Rundfunk (ERT) zufolge wird den Festgenommenen unter anderem die Bildung einer kriminellen Organisation vorgeworfen.
Sie sollen dem Staatsanwalt der Hafenstadt Kalamata vorgeführt werden. Dieser werde entscheiden, wie es weitergehe, hieß es. Eine Aussage sollen die Verdächtigen bis Montag machen, berichtete die griechische Zeitung "Kathimerini" in ihrer Online-Ausgabe. Sie hätten bis dahin um Zeit gebeten, um ihre Aussage vorzubereiten.
Nach neuesten Erkenntnissen der Küstenwache startete der Fischkutter vor einigen Tagen aus Ägypten, machte dann einen Stopp im libyschen Tobruk und nahm weitere Menschen auf. Danach nahmen die Schleuser Kurs auf Italien. Migranten sollen den Organisatoren des Unglücksboots nach eigenen Angaben pro Kopf zwischen 5000 und 6000 Euro gezahlt haben.
Leichen werden in Athen untersucht
Die Überlebenden des Unglücks wurden in ein Flüchtlingslager nahe Athen gebracht. Die meisten Passagiere stammen laut Küstenwache aus Syrien, Afghanistan und Pakistan. Die geborgenen Toten brachten die Behörden bereits im Laufe des Donnerstags ebenfalls nach Athen, wo versucht werden soll, die Leichen unter anderem mit Hilfe von DNA-Proben zu identifizieren.