Migration über Belarus Ein politisches Ringen in aufgeheizter Lage
An der polnisch-belarusischen Grenze wird die Lage immer angespannter. Es kam zu Zusammenstößen zwischen Grenzbeamten und Migranten. Derweil wird international um eine Lösung gerungen. Kanzlerin Merkel telefonierte mit Machthaber Lukaschenko.
An der Grenze zwischen Polen und Belarus ist es nach polnischen Angaben zu Zusammenstößen zwischen polnischen Grenzbeamten und den dort festsitzenden Flüchtlingen gekommen. Ein Polizist wurde schwer verletzt. "Die Migranten haben unsere Soldaten und Beamten mit Steinen attackiert und versuchen, den Zaun zu zerstören und nach Polen zu kommen", teilte das Verteidigungsministerium in Warschau im Online-Dienst Twitter mit. "Unsere Einsatzkräfte haben Tränengas eingesetzt, um die Aggression der Migranten zu beenden."
Der belarusische Machthaber Alexander Lukaschenko versicherte derweil laut der staatlichen Nachrichtenagentur Belta, er wolle eine "Konfrontation" an der Grenze vermeiden. "Wir können nicht zulassen, dass dieses sogenannte Problem zu einer hitzigen Konfrontation führt", sagte er demnach. "Das Wichtigste ist nun, unser Land und unser Volk zu schützen und keine Zusammenstöße zuzulassen."
Merkel hat sich eingeschaltet
Angesichts der immer größer werdenden Not von mehreren Tausend Migranten an der Grenze hat sich erneut Bundeskanzlerin Merkel eingeschaltet: Sie telefonierte gestern mit Lukaschenko. Es sei in dem Telefonat um "die schwierige Situation an der Grenze zwischen Belarus und der Europäischen Union" gegangen, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert mit. Nach Angaben von Seibert haben Merkel und Lukaschenko weitere Gespräche vereinbart.
Lukaschenko will wieder mit Merkel reden
Nach einem Bericht des belarusischen Staatsfernsehens dauerte das Gespräch etwa 50 Minuten. Dabei sei besprochen worden, wie eine Eskalation der Lage an der Grenze verhindert werden könne. Es war das erste Mal seit der umstrittenen Präsidentenwahl im August vergangenen Jahres in Belarus, dass Merkel mit Lukaschenko sprach.
Lukaschenko will offenbar ein zweites Mal mit Merkel über das Schicksal der Flüchtlinge an der Grenze zu Polen sprechen. Dies meldete die amtliche belarusische Nachrichtenagentur Belta. Lukaschenko sagte demnach, er habe Merkel einen Vorschlag zur Lösung der Krise unterbreitet. Diesen habe die Kanzlerin mit europäischen Partnern erörtern wollen. Auch mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, der eine Vermittlung in dem Konflikt angeboten hatte, stehe ein Gespräch an, sagte Lukaschenko.
Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Putin telefonierten miteinander. Sie seien sich einig gewesen, dass eine Deeskalation der Krise notwendig sei, sagte ein französischer Regierungsbeamter nach dem knapp zweistündigen Gespräch. "Ziel dieses Anrufs war es, der Krise ein Ende zu setzen." Über den Ursprung des Konflikts sei man sich nach wie vor allerdings nicht einig.
Grüne: Telefonat ist "verheerend"
Für ihr Telefonat mit Lukaschenko wurde Merkel von dem außenpolitischen Sprecher der Grünen im Bundestag, Omid Nouripour, scharf kritisiert. Er finde es "verheerend, dass Frau Merkel mit ihm telefoniert hat", sagte Nouripour im Deutschlandfunk.
Nouripour sagte: "Es gibt eine sehr klare Politik, verabredet im Europäischen Rat, dass Lukaschenko nicht anerkannt ist, nicht der legitime Präsident ist von Belarus - und das hat Frau Merkel gestern damit komplett konterkariert." Mit dem Telefonat habe Merkel einen Beitrag dazu geleistet, dass die Wahl Lukaschenkos anerkannt und legitimiert werde, so der Vorwurf Nouripours. "Die paar Leute, die jetzt in der Kälte stehen, die sind nicht das Problem. Das Problem ist der Erpressungsversuch."
Nouripour forderte auf der einen Seite, die betroffenen EU-Länder wie Polen, Lettland und Litauen zu unterstützen, sie aber auch daran zu erinnern, was geltendes EU-Recht sei und dass illegale Pushbacks nicht hinzunehmen seien. Gleichzeitig müsse den Geflüchteten im Grenzgebiet geholfen werden. "Das bedeutet, dass jeder Mensch das Anrecht hat, einen Asylantrag zu stellen."
Polen: "Man redet über unsere Köpfe hinweg"
Polens Vize-Regierungschef Jaroslaw Kaczynski äußerte sich ganz allgemein skeptisch über das internationale Engagement in der Krise um die Migranten. "Man muss bedenken, dass eine Internationalisierung sicher nötig ist, aber nicht so, dass man über unsere Köpfe hinweg redet, und solche Vorschläge werden gemacht", sagte der Chef der nationalkonservativen Regierungspartei PiS dem öffentlich-rechtlichen polnischen Radio. Sollten die internationalen Bemühungen fehlschlagen, müsse Polen mit einer Vertiefung der Krise und "noch größerer Dreistigkeit unserer Gegner" rechnen, sagte Kaczynski weiter.
EU-Außenminister beschlossen neue Sanktionen
An Polens Grenze zu Belarus harren auf der belarusischen Seite Tausende Migranten bei Temperaturen um den Gefrierpunkt in provisorischen Camps im Wald aus. Die EU wirft Lukaschenko vor, in organisierter Form Flüchtlinge aus Krisenregionen an die EU-Außengrenze zu bringen. Vermutet wird, dass er sich damit für die EU-Sanktionen rächen will.
Deshalb haben die Außenminister der EU-Staaten gestern ein neues Sanktionsinstrument gegen Beteiligte an der Schleusung von Migranten nach Belarus beschlossen. Die EU werde nun Personen und Einrichtungen ins Visier nehmen können, die einen Beitrag dazu leisteten, dass das belarusische Regime Menschen für politische Zwecke instrumentalisieren könne, teilte der Rat der Mitgliedstaaten mit.