Putins Projekt einer Eurasischen Union Eine EU für den Osten?
Seit Jahren verfolgt Russlands Präsident Putin das Projekt einer Eurasischen Union. In diesem Frühjahr soll sie beschlossen werden. Doch nicht nur angesichts der Ukraine-Krise wirft das Projekt viele Fragen auf.
Über der Krim-Krise ist ein Projekt des russischen Präsidenten Wladimir Putin ein wenig in den Hintergrund geraten: die Eurasische Union. In diesem Frühjahr soll sie formell beschlossen werden und ab 2015 ihre Arbeit aufnehmen.
Die Eurasische Union soll aus der seit 2010 bestehenden Zollunion zwischen Russland, Weißrussland und Kasachstan hervorgehen und weitere Ex-Sowjetrepubliken einbeziehen. So haben Armenien und Kirgistan bereits ihre Bereitschaft dazu erklärt.
Clinton warnt vor Re-Sowjetisierung
Über die Natur dieser geplanten Union gibt es unterschiedliche Vorstellungen. Ende 2012 sprach die damalige US-Außenministerin Hillary Clinton in Dublin von dem Versuch einer Re-Sowjetisierung der Region. Auch wenn der Name ein anderer sei, so "kennen wir doch das Ziel und wir suchen nach effektiven Wegen, diese Entwicklung zu verlangsamen oder zu verhindern", warnte sie. Putins Sprecher Dimitri Peskow erklärte, Clinton habe die Situation völlig missverstanden.
Die Idee eines Staatenbundes geht bereits auf den letzten sowjetischen Staatschef Michail Gorbatschow zurück. Als die Sowjetunion zerfiel, versuchte er noch einmal zu einen, was nicht mehr zusammenzuhalten war. Der erste russische Präsident Boris Jelzin gründete dann mit der Mehrzahl der Staaten in Russlands "nahem Ausland" die Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS). Ziel war ein gemeinsamer Wirtschafts- und Sicherheitsraum. Doch verlor die Organisation in den vergangenen Jahren erheblich an Bedeutung.
Putin will "keine neue Sowjetunion"
Von einer Union für Ex-Sowjetrepubliken ähnlich der EU sprach bereits 1994 der kasachische Präsident Nursultan Nasarbajew. Putin nahm die Idee im Oktober 2011 vor der Rückkehr ins Präsidentenamt auf. In einem Artikel der russischen Zeitung "Iswestija" betonte er, dass er keine neue Sowjetunion plane. Vielmehr beschrieb er eine Eurasische Union nach dem Vorbild der EU und des Schengen-Raums mit freiem Verkehr von Kapital, Dienstleistungen und Arbeitskräften.
Die Gesetzgebung und Marktregulierungen aller Mitgliedsstaaten sollten angeglichen und der Wettbewerb sichergestellt werden. Die potenziellen Mitgliedsländer lockte Putin damit, dass sie sich über die Eurasische Union schneller und stärker in Europa integrieren könnten. Er versprach eine freiwillige politische und wirtschaftliche Integration gleichrangiger und souveräner Partner in eine internationale Organisation, die geprägt werde durch Demokratie, Freiheit und Marktwirtschaft.
Autoritäre Führer unter sich
Wie dies jedoch gelingen soll, wenn die drei autoritär bis diktatorisch regierten Länder Russland, Kasachstan und Weißrussland die Gründungsmitglieder der Union sind, ließ Putin offen.
Für Russland lohnt sich eine engere Anbindung von Rohstoffökonomien wie Kasachstan und strukturschwacher Länder wie Armenien und Kirgistan, um damit eine stärkere Stellung gegenüber der EU und China aufzubauen und seine politischen sowie sicherheitsstrategischen Ziele zu verfolgen.
Doch auch wenn Russland umgekehrt als Energielieferant vieler seiner Nachbarländer von größter Bedeutung ist, so stieg dessen Attraktivität in den vergangenen Jahren nicht. Russland gelang es im eigenen Land nicht, die Modernisierung voranzutreiben und die Abhängigkeit vom Rohstoffexport zu verringern. Ein Beispiel ist das geplante Innovationszentrum Skolkowo bei Moskau, das nach dem Vorbild des Silicon Valley errichtet werden sollte und das zuletzt nur durch Korruptionsermittlungen auffiel.
Suche nach Alternativen
Für wachsende Skepsis und Abneigung gegenüber einer engeren Anbindung an Russland sorgen die Annexion der Krim und die Erhöhung der Gaspreise für die Ukraine. Als ein Zeichen dürfte zu verstehen sein, dass unter den Ex-Sowjetrepubliken nur Weißrussland und Armenien zusammen mit Russland gegen eine UN-Resolution stimmten, die die Abtrennung der Krim von der Ukraine für ungültig erklärte.
Armenien ist stark abhängig von Russland als Gaslieferant und als Schutzmacht gegen den Nachbarstaat Aserbaidschan im Konflikt um die abtrünnige Region Berg-Karabach. Dennoch bemüht sich Armenien in Brüssel weiter um ein Abkommen mit der EU, das kompatibel zur Mitgliedschaft in der Zollunion ist. Auch setzt Armenien auf gute Wirtschaftsbeziehungen zum Iran. Derzeit geht es um ein Gaslieferungsabkommen.
Aserbaidschan wiederum lässt sich zwar mit russischen Waffen beliefern, stärkt aber auch weiter seine Beziehungen zur Türkei. Dessen Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan reiste gleich nach der für seine Partei erfolgreichen Kommunalwahl in die aserbaidschanische Hauptstadt Baku, um die Nähe beider Turkvölker zu betonen.
China als Konkurrent
Signale aus den Staaten Zentralasiens lassen darauf schließen, dass man Russland nicht reizen, aber auch die Souveränität des eigenen Staates betonen will. Kasachstan zum Beispiel teilt eine 7000 Kilometer lange Grenze mit Russland. 20 Prozent der Bevölkerung sind russischstämmig. Auch wenn Staatschef Nasarbajew zu den treibenden Kräften einer Zollunion zählte, so macht sein Land ebenso wie andere zentralasiatische Staaten inzwischen gute Geschäfte mit China.
Vergangenen September reiste Chinas Staatschef Xi Jinping mit einem Koffer voller Investitionsverträge durch die Region. Es ging um Öl- und Gaslieferungen aus Kasachstan, Usbekistan und Turkmenistan für China, aber auch um Investitionen in die Infrastruktur von Kirgistan. Auf den riesigen Märkten Kirgistans finden sich überwiegend Produkte aus China, aber auch aus Iran und der Ukraine.
Arbeiter zunehmend weniger willkommen
Kirgistan ebenso wie Tadschikistan und Usbekistan sind jedoch in erheblichem Maß abhängig von den Löhnen, die Bürger ihrer Länder als Gastarbeiter in Russland erwirtschaften. Für sie sollte eine Eurasische Union, wie sie Putin 2011 versprach, von Vorteil sein.
Doch geht die Entwicklung in eine andere Richtung. Einem Bericht des Online-Magazins eurasianet.org zufolge setzten russische Behörden allein im vergangenen Jahr 600.000 Ausländer hauptsächlich aus Ex-Sowjetrepubliken auf eine Einreiseverbotsliste. Darunter seien allein 60.000 Menschen aus Kirgistan, die vom Einreiseverbot oft erst erführen, wenn sie in Russland ankämen.
Bauarbeiter, Putzkräfte und Marktverkäufer aus anderen Ex-Sowjetrepubliken sind aus Moskau nicht wegzudenken. Doch immer weniger junge Leute, vor allem aus Zentralasien, sprechen noch Russisch und sind mit den Gepflogenheiten russischer Kultur vertraut. Sie treffen auf eine xenophob und nationalistisch eingestellte Bevölkerung. Immer wieder unternehmen die Behörden Razzien, und Rechtsextreme machen Jagd auf die Arbeiter, angestachelt durch Medien und Politiker.
So ist es an Putin, nicht nur die Nachbarländer vom Sinn einer Eurasischen Union zu überzeugen, sondern auch die eigene Bevölkerung.