EU-Gipfel nach Misstrauensvotum May darf es nochmal versuchen
Theresa May hat das Misstrauensvotum überstanden - doch sie muss den Brexit noch durchs Parlament bringen. Brüssel will die britische Premierministerin unterstützen. Substanzielle Änderungen lehnen EU-Vertreter aber ab.
Das Misstrauensvotum gegen die britische Premierministerin Theresa May ist gescheitert. 200 konservative Abgeordnete sprachen ihr das Vertrauen aus. 117 Politiker ihrer Tory-Partei stimmten gegen sie. Hintergrund des Votums war der Streit um den mit der EU ausgehandelten Brexit-Vertrag.
Die Premierministerin darf also vorerst weitermachen. Nach der überstandenen Machtprobe äußerte sie sich erleichtert und kündigte an, sich weiter für ein Abkommen für das Ende der britischen EU-Mitgliedschaft einzusetzen. Ihren Widersachern rief sie zu: "Ich habe gehört, was sie gesagt haben."
May scheint außerdem bereit, nach dem Brexit ihren Platz zu räumen. Das soll sie gegenüber Parteifreunden angedeutet haben. Minister berichteten, May habe in Aussicht gestellt, nicht mehr bei der nächsten regulären Parlamentswahl 2022 anzutreten.
"Wir haben noch ein Bonbon in der Tüte"
Doch erst muss die Premierministerin den Brexit durchs Parlament bekommen. Nach dem überstandenen Misstrauensvotum geht es für May deshalb heute in Brüssel weiter. Beim EU-Gipfel wird sie erneut versuchen, Änderungen am Austrittsabkommen zu erreichen.
Laut ARD-Korrespondent Markus Preiß kursiert bei der EU ein Papier, das die künftigen Beziehungen zwischen EU und Großbritannien nach einem Brexit skizziert, und das den Brexiteers gefallen könnte. Darin sei unter anderem die Rede von einer künftigen "ambitionierten Partnerschaft" mit Großbritannien.
Also doch ein Entgegenkommen? "Wir haben noch ein Bonbon in der Tüte", heißt es in Brüssel, berichtet Preiß. Klar scheint: An dem Austrittsabkommen will die EU nicht mehr rütteln. Darauf hatten zuletzt mehrere EU-Vertreter hingewiesen - nicht zuletzt Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker.
Maas dämpft Erwartungen
Auch Bundesaußenminister Heiko Maas sieht keinen Spielraum für Änderungen am Brexit-Vertrag zwischen Großbritannien und der EU. Das Abkommen sei eine Grundlage für Entscheidungen, nicht für Verhandlungen, sagt er im Deutschlandfunk. Seine Kabinettskollegin, Justizministerin Katarina Barley, nennt das Ergebnis der Misstrauensabstimmung einen "politischen und gesellschaftlichen Scherbenhaufen". Klar sei, dass das Austrittsabkommen nicht mehr verhandelbar sei, erklärte die Spitzenkandidatin der SPD für die Europawahl.
Ähnlich äußert sich EU-Kommissar Günther Oettinger. Das Abkommen liege auf dem Tisch; daran könne man Klarstellungen vornehmen, sagte Oettinger im SWR. Es gebe aber keinen Geheimplan, der über das bekannte EU-Abkommen hinausreiche.
"Misstrauen gegenüber der EU aufgreifen"
Die Bewegung vor dem am Nachmittag beginnenden Treffen der 28 Staats- und Regierungschefs dürfte der Erkenntnis geschuldet sein, dass man May etwas anbieten muss - gewonnene Vertrauensabstimmung hin oder her. Offenbar will die EU Großbritannien nicht in einen ungeordneten Brexit stürzen.
"Wir müssen das in England weit verbreitete Misstrauen gegenüber der EU aufgreifen", rät beispielsweise einer der erfahrensten Europapolitiker, der CDU-Abgeordnete Elmar Brok. Es gebe dort schließlich die Sorge, dass man durch Verfahrenstricks Großbritanniens quasi durch die Hintertür fest an die EU gekettet halten wolle. Gemeint ist der "backstop". Der besagt, dass Großbritannien ohne ein neues Handelsabkommen mit der EU in der Zollunion der Europäischen Union und Nordirland zusätzlich noch im europäischen Binnenmarkt bleibt.
Theresa May vor Downing Street No. 10
"Sie hat versagt"
Kritik muss sich May nicht mehr nur in der Heimat anhören. Auch die grüne EU-Politikerin Terry Reintke hält die Premierministerin inzwischen für die völlig falsche, um doch noch etwas zu retten. Sie habe nicht nur die Zukunft Großbritanniens, sondern die der gesamten EU aufs Spiel gesetzt, sagt Reintke. "Sie macht die Zukunft von Millionen Bürgerinnen und Bürger zum Spielball einer Verhandlung. Und das auch mit einer zum Teil irrationalen Rhetorik. Da muss man ganz klar sagen: Sie hat versagt in den letzten zweieinhalb Jahren."
Doch es gibt auch andere Stimmen in Brüssel - wie die von Hans-Olaf Henkel. Der einst über die AfD-Liste nach Straßburg gewählte frühere Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie wird nicht müde, um Verständnis zu werben für die vermeintlich so bockigen Menschen auf der Insel: "Aus der Sicht der Briten sind sie in einen Fußballclub eingestiegen. Irgendwann hat dann aber Brüssel entschieden, doch lieber Golf zu spielen. Das heißt die Bedingungen, unter denen Großbritannien 1973 beigetreten ist, haben sich schlicht geändert."
Deshalb wirbt er als einer der wenigen für einen neuen Deal. "Die EU ist doch voller 'special deals' und ich bin fest davon überzeugt, dass es sich auch für Europa lohnt, den Briten nun einen solchen Deal anzubieten", sagt er.