Missbrauch in Kanadas Eishockey Eine Kultur des Schweigens
In Kanada erschüttert ein Missbrauchsskandal den Eishockey-Verband. Dieser zahlte Opfern lieber Schweigegeld als Ursachen wirksam zu bekämpfen. Die Politik hat das Vertrauen in den Verband verloren. Sponsoren wenden sich ab.
Zunächst sah es nach einem Einzelfall aus: Im Mai dieses Jahres wurde bekannt, dass eine junge Frau im Sommer 2018 von acht kanadischen Nachwuchs-Eishockeyspielern am Rande eine Sport-Gala stundenlang vergewaltigt worden sein soll.
Die Autorin Laura Robinson schreibt seit 30 Jahren über sexuelle Gewalt im kanadischen Eishockey. Sie sagt: "Das ist ein Fall wie aus dem Drehbuch. Das geht seit Jahrzehnten so. In den Fällen, die ich untersucht habe, war es immer so, dass die jungen Männer sich eine Frau ausgesucht und extrem betrunken gemacht haben. Sie hat dann keine Chance."
"Junge Spieler sind kleine Götter"
Und so war sie auch nicht überrascht über die Enthüllungen, die seit Mai das Land und dessen Nationalsport erschüttern: "Es ist diese ganze Eishockey-Kultur in diesem Land. Wenn die jungen Spieler in die wichtigen Nachwuchsteams kommen, dann sind das kleine Götter. Sie lernen, dass sie alles bekommen, was sie wollen. Und ganz besonders Mädchen und junge Frauen. Der Verband 'Hockey Canada' weiß seit Jahrzehnten, dass es solche Gruppenvergewaltigungen im ganzen Land gibt."
Entschädigungszahlungen in mehr als 20 Fällen
Ein Vorwurf, der sich inzwischen bestätigt hat: Wie im Sommer 2018 bezahlte der Verband in den vergangen Jahren in mehr als 20 Fällen eine Entschädigung an betroffene Frauen, die im Gegenzug ihr Schweigen zusicherten. "Hockey Canada" hat für solche außergerichtlichen Vergleiche sogar einen speziellen Fonds eingerichtet, aus dem bereits neun Millionen kanadische Dollar Schweigegeld gezahlt worden sind.
Brian Cairo, der Finanzvorstand des Verbands, sagt bei einer Anhörung des kanadischen Parlaments, dass zwischen 1989 und 2021 neun Fälle über diesen Fonds abgewickelt worden seien. Von 1996 bis 2022 seien es nochmal zwölf Fälle gewesen, die über eine Versicherung abgerechnet wurden.
Auf die Frage eines Abgeordneten: "Und dieser Fonds wird finanziert von Mitgliedsbeiträgen von Kindern?", antwortet der Funktionär kleinlaut: "Unter anderem".
Trudeau: Vertrauen der Kanadier verspielt
Die Politik hat inzwischen die Geduld mit der Verbandsspitze verloren. Die Regierung hat die finanzielle Unterstützung auf Eis gelegt. Und Premierminister Justin Trudeau droht offen damit, einen neuen Verband zu gründen, sollte sich "Hockey Canada" nicht seiner Verantwortung stellen.
Der Regierungschef empörte sich Ende Juli: "'Hockey Canada' hat das Vertrauen der Kanadier völlig verspielt. Es ist unfassbar, dass sich der Vorstand wegduckt. Der ganze Verband muss völlig umgekrempelt werden. Diese Leute verstehen nicht, dass sie das Vertrauen der Kanadier verloren haben. Je schneller sie das realisieren, desto besser für alle."
Sponsoren ziehen sich zurück
Doch vom Verband kamen nur Durchhalteparolen und vage Ankündigungen, mit Fällen sexueller Gewalt künftig anders umgehen zu wollen. Bis sich schließlich auch Sponsoren wie die Eishockey-Ausrüster "Bauer" oder die Kaffee-Kette "Tim Hortons" zurückzogen.
Die kanadische Sportministerin St-Onge sagt: "Ich glaube, das zeigt noch mal, dass die Verbandsspitze die letzte Unterstützung verloren hat - von Sponsoren, von kanadischen Familien, die ihre Kinder zum Eishockey schicken, und auch von ihrem Mitgliedern. Ich hoffe, dass diese Leute diese Nachricht verstehen und gehen, bevor sie alles zerstört haben."
Weiter Weg bis zum Kulturwandel
Und tatsächlich: In der vergangenen Woche trat Verbandsgeschäftsführer Scott Smith zurück. Ein erster Schritt, sagt Tim Skuce. Der ehemalige Auswahlspieler forscht inzwischen zum Thema Eishockey-Kultur an der Brandon University in Manitoba.
Doch bis zu einem wirklichen Kulturwandel im kanadischen Nationalsport sei es noch ein weiter Weg, meint er. "Die Kultur, die eine Eishockeymannschaft umgibt, ist eine des Schweigens. Die meisten Spieler sagen: Wenn wir nach Vegas gehen und abends feiern, dann bleibt das, was passiert, im Team: Das Frauen anmachen, das Trinken, die Gewalt. Da gibt es so etwas wie einen Schweigekodex. Und der macht es möglich, dass das immer so weitergeht."