Ramadan in Ägypten Fasten trotz Corona
Den ganzen Tag nichts essen, vier Wochen lang - und das mitten in der Corona-Pandemie? Genau das wollen die meisten Muslime in Ägypten tun. Den Segen der obersten religiösen Institutionen haben sie.
Zucker, Tee, Reis, getrocknete Bohnen - der Einkaufswagen, den Fatma aus dem Supermarkt schiebt, ist voll. Sie erledigt ihre letzten Ramadan-Einkäufe. Gläubigen Muslimen ist der Fastenmonat heilig: zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang dürfen sie dann weder essen noch trinken. Aber auch nachts, solange die Sonne nicht scheint, sollen sie bescheiden speisen. Und dabei großzügig ärmere Mitmenschen mit Essen bedenken.
"Das stärkt doch das Immunsystem"
Fatma sagt, dass sie sich auch in diesem Jahr an die Ramadan-Gebote halten werde. "Ich werde fasten. Nein, ich habe keine Angst vor Corona. Ich könnte mich jederzeit infizieren. Das hat mit dem Fasten überhaupt nichts zu tun. Das stärkt doch sogar das Immunsystem."
Dass der Körper in den ersten Tagen der Fastenzeit geschwächt ist und damit angreifbarer sein könnte für Viren, sieht Fatma so wenig wie Hisham. Er ist Sicherheitsmann und von der Kraft des Fastens überzeugt. "Ramadan hilft gegen das Virus. Gott hat uns gesagt: Fastet, dann bleibt Ihr gesund! Wenn wir die 30 Tage fasten, dann wird das Fasten unseren Körper von allen Krankheiten reinigen. Und so wird Gott diese Epidemie beenden."
Viele Ägypter wollen fasten
Alle, die für diese Reportage befragt wurden, wollen in diesem Ramadan fasten. Damit handeln sie im Sinne der religiösen Institutionen Ägyptens. Allen voran der Azhar, der wichtigsten Lehreinrichtung im sunnitischen Islam. Als Azhar-Gelehrter ist Khaled Omran Generalsekretär des Fatwa-Rates im Dar al-Iftaa, einer Abteilung des ägyptischen Justizministeriums. Das Dar al-Iftaa ist zuständig für die Ausarbeitung islamischer Rechtsgutachten - sogenannter Fatwas. Auch der Fatwa, die besagt, dass die Fastenpflicht im Ramadan 2020 bestehen bleibt. Scheich Khaled sagt dazu:
Der Großmufti, das Ministerium für islamische religiöse Stiftungen und das islamisch-theologische Forschungskollegium, das zur Azhar gehört, haben sich mit Fachausschüssen getroffen. Alle zusammen haben das Rechtsgutachten ausgearbeitet, das besagt, dass das Fasten auch in diesem Ramadan als Pflicht besteht. Menschen, die an Covid-19 erkranken, müssen dem Rat eines Facharztes folgen. Wenn er ihnen vorschreibt, nicht zu fasten, dann müssen sie es sein lassen.
WHO sieht keine Probleme
Grundsätzlich sind Kranke und Reisende von der Fastenpflicht im Ramadan entbunden. Dass Gläubige auch in Zeiten von Corona fasten, entspricht der Linie der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Die schreibt auf einer Seite mit Ramadan-Tipps: "Gesunde Menschen sollten in der Lage sein, (…) zu fasten wie in früheren Jahren." Die Organisation betont aber auch: "Bisher gibt es keine Studien zum Fasten und dem Risiko einer Infektion."
Die Religionsgelehrten in Ägypten sehen sich dadurch bestätigt:
Wir haben die Empfehlungen und Ansichten der Ärzte und WHO berücksichtigt und von unserer Seite dafür spezielle Fachkommissionen gebildet, mit dem Ziel, eine Entscheidung über das Fasten zu treffen. Zu unserer Überraschung zeigten die Gutachten und Ansichten der Fachärzte, dass das Fasten im Ramadan bei gesunder und richtiger Ernährung das Immunsystem nicht beeinträchtigt.
Viele Muslime kaufen im Ramadan zum Fastenbrechen Süßigkeiten wie Datteln ein.
Keine großen Armenspeisungen
Allerdings sollen die sonst üblichen sozialen Aktivitäten im großen Rahmen ausfallen. So gibt es in diesem Jahr keine Ramadan-Tafeln. Lange Tische, an denen normalerweise zum Fastenbrechen viele Arme zusammenkommen, um von Reichen bewirtet zu werden.
"Die Zufriedenheit Gottes kann man auf vielerlei Wege erreichen. Daher empfehlen wir den Menschen für Riten, bei denen derzeit Menschenansammlungen verboten sind, Alternativen zu suchen. Es gibt Möglichkeiten, die den Zweck des Ritus und des sozialen Zusammenhaltes gleichermaßen erfüllen. Grundsätzlich soll man im Ramadan Essen an Bedürftige verteilen. Jetzt entscheiden sich manche, das Essen in diesem Ramadan über NGOs verteilen zu lassen, die vom Staat eine Erlaubnis dazu erworben haben. Andere stiften Bargeld. Die Tür ist offen für gute Ideen, die den guten Zweck erfüllen und gleichzeitig vor dem Virus schützen."
Moscheen bleiben geschlossen
Die Moscheen in Ägypten sind seit Wochen geschlossen - und bleiben es auch während des Ramadan. Die täglichen Gemeinschaftsgebete im heiligen Monat müssen Corona-bedingt klein ausfallen. Das Menschenleben habe Vorrang, so Scheich Khaled Omran:
Die Angelegenheit des Gemeinschaftsgebetes darf man nicht so eng sehen. In dieser Situation sagen wir, dass es Zeit ist, zurückgezogen zu Hause mit der Familie zu beten, was auch eine ausgesprochen positive, soziale und spirituelle Wirkung auf das gemeinsame Familienleben hat.
Auch Rania und Mohammed, die gerade für den Ramadan eingekauft haben, halten sich daran: Sie wollen fasten, aber auf Abstand zu Mitmenschen bleiben - auch zu Verwandten. Und trotzdem sagen sie, dass sie die Gemeinschaftsgebete in der Moschee und die Verwandtenbesuche vermissen werden. Aber zum Glück könne man ja auch per Telefon gute Wünsche aussprechen, sagt Mohammed.