Nach Rückkehr in Downing Street Johnson mahnt zur Geduld
Premierminister Johnson steht nach seiner überstandenen Corona-Erkrankung unter Druck - denn die Rufe nach Lockerungen werden lauter. Doch Johnson mahnte zur Vorsicht: Es drohe eine zweite Erkrankungswelle.
Der britische Premierminister Boris Johnson hat einer vorzeitigen Lockerung der Ausgangsbeschränkungen in Großbritannien zunächst eine Absage erteilt. "Ich verstehe eure Ungeduld", sagte Johnson, der nach seiner überstandenen Covid-19-Erkrankung heute die Amtsgeschäfte wieder aufnimmt. Das Land nähere sich zwar dem Ende der ersten Phase im Kampf gegen das Coronavirus. Allerdings müsse man akzeptieren, dass es auch zu einer zweiten Erkrankungswelle kommen könne.
Es gebe das Risiko, die Kontrolle zu verlieren, und dass die Ansteckungsrate wieder über eins steige. "Das würde nicht nur zu einer neuen Welle von Tod und Krankheit führen, sondern auch zu einem wirtschaftlichen Desaster."
"Das Blatt wendet sich"
"Jeden Tag weiß ich, dass das Virus Haushalten im ganzen Land neue Traurigkeit und Trauer bereitet", sagte er vor seinem Amtssitz in der Londoner Downing Street. Großbritannien sehe sich nach wie vor mit der größten Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg konfrontiert. Doch das Land werde daraus stärker denn je hervorgehen.
Johnson dankt den Menschen für die Beachtung der Ausgangssperre. Man sei im Kampf gegen die Pandemie auf einem guten Weg, sagte der Premierminister weiter. Das Blatt wende sich. Johnson verglich das Virus mit einem Räuber: "Dies ist der Moment, in dem wir gemeinsam begonnen haben, es zu Boden zu ringen."
Gleichzeitig sei jetzt jedoch auch ein Moment "maximalen Risikos" - vorschnelles Handeln könne die bisherigen Anstrengungen zunichte machen. "Ich weiß, es ist schwer, und ich will die Wirtschaft so schnell wie möglich wieder hochfahren", sagte Johnson. "Aber ich weigere mich, all die Bemühungen und Opfer der britischen Bevölkerung über Bord zu werfen und einen zweiten großen Ausbruch, einen hohen Verlust an Menschenleben und eine Überforderung des NHS zu riskieren."
Interner Machtkampf in britischer Regierung
In der Wirtschaft und auch in seiner eigenen Partei waren zuletzt Forderungen laut geworden, die Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus zu lockern. Auch hatten britische Medien immer wieder über Streit im Kabinett berichtet: zwischen den Falken, die den Ausnahmezustand schnell wieder lockern und die Wirtschaft ankurbeln wollen, und den Tauben, die das Risiko einer solchen Strategie für noch viel zu groß halten und an den Ausgangsbeschränkungen festhalten wollen. Ursprünglich wurde Johnson zum Lager der Falken gezählt. Nun klingt er eher wie eine Taube. Möglicherweise hat ihn seine persönliche Erfahrung verändert: die Erfahrung, das Corona-Virus nur knapp überlebt zu haben.
Behandlung auf der Intensivstation
Johnson war schwer an der vom neuartigen Coronavirus ausgelösten Lungenkrankheit Covid-19 erkrankt und musste zwischenzeitlich auf der Intensivstation behandelt werden. Nach seiner Entlassung am 13. April bedankte er sich beim Krankenhauspersonal dafür, sein Leben gerettet zu haben.
In den vergangenen zwei Wochen erholte er sich auf dem Regierungs-Landsitz Chequers nahe London. Vertreten wurde er von Außenminister Dominic Raab. Bei seinem ersten öffentlichen Auftritt seit seiner Genesung wirkte Johnson im Gesicht etwas hagerer als zuvor und ein bisschen außer Atem, aber ansonsten wieder so energisch wie zuvor.
Immer mehr Tote, zu wenige Tests
Die relativ strikten Ausgangsbeschränkungen in Großbritannien gelten seit dem 23. März und noch bis mindestens 7. Mai. Die Briten dürfen ihre Wohnungen kaum noch verlassen. Erlaubt sind der Einkauf wesentlicher Dinge wie Lebensmittel und Medikamente. Alle Läden, die nicht der Grundversorgung dienen, sind geschlossen. Sport ist nur einmal am Tag und nur mit Mitgliedern desselben Haushalts erlaubt. Versammlungen von mehr als zwei Personen sind verboten.
Das Vereinigte Königreich ist eines der am schwersten von der Pandemie betroffenen Länder Europas. Die offizielle Zahl der Toten ist am Wochenende auf mehr als 20.000 gestiegen. Die tatsächliche Zahl dürfte jedoch deutlich höher liegen, da unter anderem die Opfer in Pflegeheimen nicht mitgezählt wurden. Auch mit den Covid-19-Tests geht es weiterhin nur langsam voran: Bis Ende April sollten 100.000 Tests pro Tag durchgeführt werden - davon ist Großbritannien im Moment aber noch weit entfernt.