Vereinbarung zu Brexit Nervenkrieg im Kabinett
Das britische Regierungskabinett hat gut fünf Stunden lang über den Entwurf einer Brexit-Vereinbarung mit der EU beraten. Die Vorbehalte gegen den Entwurf sollen aber groß sein.
Die britische Regierung hat fünf Stunden lang über den umstrittenen Entwurf des Brexit-Abkommens beraten. Nach dem Treffen will Premierministerin Theresa May kurz vor die Presse treten, teilte ihr Büro mit. Eine ausführliche Erklärung zur Kabinettsberatung wird am Donnerstag erwartet.
Gegner und Befürworter des britischen EU-Austritts versammelten sich während der Kabinettsberatungen nahe dem Regierungssitz in London zu Protesten. Etwa 100 Demonstranten forderten May auf, den vereinbarten Kompromiss mit Brüssel zu verwerfen und einen harten Brexit zu vollziehen.
Misstrauensvotum gegen May?
Es geht dabei nicht nur um den Austritt aus der Europäischen Union, sondern auch um das Schicksal von Mays Regierung. Einige britische Minister sollen "große Vorbehalte" gegen den Entwurf haben. Mehrere Parteimitglieder sollen sich gegen May gestellt haben, berichtet eine BBC-Korrespondentin.
Brexit-Verfechter in der konservativen Tory-Partei spielen nach Aussagen der Journalistin offenbar ein Misstrauensvotum gegen May durch. "Ein hochrangiger Tory sagte mir, dass der Ärger unter den Brexit-Anhängern so groß ist, dass ein Aufruf für ein Misstrauensvotum morgen wahrscheinlich scheint", schrieb BBC-Journalistin Laura Kuenssberg auf Twitter. Für einen Misstrauensantrag wären entsprechende Briefe von 48 Tory-Parlamentariern notwendig.
Wird es für May gefährlich?
Medien spekulierten über mögliche Rücktritte. Für May könnte das gefährlich werden - vor allem, wenn wichtige Kabinettsmitglieder wie Handelsminister Liam Fox oder Brexit-Minister Dominic Raab abspringen sollten. Doch auch ein Rücktritt von Arbeitsministerin Esther McVey oder Entwicklungshilfeministerin Penny Mordaunt wäre ein Rückschlag für die Regierungschefin.
Umstritten an dem Entwurfsdokument dürfte vor allem die Passage zur Lösung der Irland-Frage sein. Dabei geht es darum, wie Grenzkontrollen zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland nach dem Brexit verhindert werden können. Was genau die Unterhändler dazu vereinbart haben, war zunächst nicht bekannt.
Doch die Brexit-Hardliner in Mays Konservativer Partei und auch die Abgeordneten der nordirischen DUP, auf deren Stimmen Mays Minderheitsregierung angewiesen ist, liefen sofort dagegen Sturm. Bei einer Fragestunde im Parlament verteidigte May das Abkommen. Es sei ein "guter Deal" für Großbritannien, sagte sie.
Mays Parteifreund und Erz-Brexiteer Peter Bone warnte hingegen, sie werde "die Unterstützung vieler Konservativer Abgeordneter und Millionen von Wählern verlieren". Er fragte, ob der Premierministerin klar sei, dass das nicht der Brexit sei, für den die Leute gestimmt hätten.
EU hält sich zurück
Zeitgleich mit dem britischen Kabinett hatten in Brüssel die Botschafter der 27 verbliebenen EU-Staaten getagt. Sie wurden von der EU-Kommission über den Verhandlungsstand informiert. Öffentlich sagte ein Kommissionssprecher nur, dass sich die Brexit-Unterhändler auf "die Elemente" eines Austrittsabkommens geeinigt hätten. Er wollte mit Blick auf den "laufenden Prozess" keine Einzelheiten nennen.
Diplomaten wollten einem AFP-Reporter vor Ort zufolge nach dem Treffen in Brüssel nicht bestätigen, dass die EU-Botschafter den Entwurf des mehrere hundert Seiten langen Austrittsabkommens tatsächlich gesehen haben. "Wir haben den Text nicht gelesen", sagte ein Diplomat. "Es gibt noch immer offene Fragen."
Die EU besteht auf einer Garantie, dass es keine Kontrollen auf der irischen Insel geben wird. Der sogenannte Backstop stößt aber auf heftigen Widerstand bei den Brexit-Hardlinern in Mays Konservativer Partei und der DUP.
Der nun ausgehandelte Kompromiss sieht Medienberichten zufolge vor, dass ganz Großbritannien im Notfall in der Europäischen Zollunion bleiben soll. Für Nordirland sollen demnach aber "tiefergehende" Bestimmungen gelten.
Der freie Grenzverkehr zwischen Irland und Nordirland ist eine der wichtigsten Punkte der Brexit-Einigung.<br/>
Showdown im Parlament
Im Parlament in London dürfte der Kompromiss nur schwer durchzusetzen sein. Die Brexit-Hardliner bei den Konservativen fordern, dass der Backstop nur für eine begrenzte Zeit gelten dürfe. Die DUP sträubt sich gegen jegliche Sonderbehandlung Nordirlands. Beide drohen damit, das Abkommen durchfallen zu lassen. Zu allem Übel kündigten auch noch die schottischen Abgeordneten in Mays Konservativer Regierung Widerstand an, sollte Großbritannien nicht die alleinige Entscheidung über die Fischfangrechte in seinen Küstengewässer zurückerhalten.
Mit Informationen von Jens-Peter Marquardt, ARD-Studio London