Austritt der Briten aus der EU Juncker wartet auf den Scheidungsbrief
Nach der Brexit-Entscheidung fordert EU-Kommissionchef Juncker von der britischen Regierung, zügig die Austrittsunterlagen einzureichen. Er verstehe nicht, warum diese bis Oktober für die Entscheidung brauche, sagte Juncker im Brennpunkt. Der britische Regierungschef Cameron will dies seinem Nachfolger überlassen.
EU-Kommissionchef Jean-Claude Juncker drängt auf einen zügigen Beginn der Austrittsverhandlungen Großbritanniens. Die Bevölkerung habe ihren Willen im Referendum klar zum Ausdruck gebracht. "Ich verstehe nicht, wieso die britische Regierung bis Oktober braucht, ob sie den Scheidungsbrief nach Brüssel schicken wollen oder nicht. Ich hätte den gern sofort", sagte Juncker im ARD-Brennpunkt.
"Es ist keine einvernehmliche Scheidung, aber es war ja auch kein enges Liebesverhältnis", ergänzte Juncker. Er persönlich sei tieftraurig und nehme sich die Entscheidung sehr zu Herzen. Vor allem die jungen Briten würden die Entscheidung eines Tages bedauern. "Das ist kein guter Tag für Großbritannien und für Europa. Aber wir müssen weitermachen."
Am Rande des EU-Gipfels am Dienstag und Mittwoch in Brüssel soll es bereits ein "informelles Treffen" der 27 Staaten geben - erstmals ohne Großbritannien.
Cameron und Johnson lavieren
Juncker reagierte mit seinen Äußerungen auf Signale aus London, die auf wenig Eile bei der Umsetzung der Referendumsentscheidung deuten. "Es gibt keine Notwendigkeit für einen genauen Zeitplan", sagte Premierminister David Cameron, der am Vormittag seinen Rücktritt für Oktober angekündigt hatte.
"Eine Verhandlung mit der Europäischen Union wird unter einem neuen Premierminister beginnen müssen", betonte Cameron. Er hatte 2013 zwar das Referendum unter dem Druck des europaskeptischen Flügels seiner konservativen Partei angesetzt, sich selbst aber in der Kampagne vehement für den EU-Verbleib ausgesprochen.
Aber auch Camerons möglicher Nachfolger und Brexit-Frontmann, Boris Johnson, hat es nicht eilig: "Es gibt keinen Grund zur Hast", sagte Johnson. Auch plädierte er dafür, Europa nicht den Rücken zuzukehren: "Wir sind im Herzen Europas."
Er sehe auch keine Notwendigkeit, von Artikel 50 des Lissabon-Vertrages Gebrauch zu machen, so Johnson. Gemäß dieser Regelung muss Großbritannien das Austrittsgesuch in Brüssel anmelden. Dann müssten die Austrittsverhandlungen binnen zwei Jahren beendet sein. Ansonsten würde Großbritannien automatisch aus der Union ausscheiden.
"Höchstwahrscheinlich" neues Referendum in Schottland
Auch im eigenen Land steht Cameron unter Handlungsdruck. Brexit-Befürworter und Ukip-Chef Nigel Farage fordert: "Wir brauchen nun eine Brexit-Regierung".
Farage distanzierte sich allerdings inzwischen von einem zentralen Versprechen der Brexit-Kampagne. In der ITV-Sendung "Good Morning Britain" sagte der UKIP-Politiker, er könne nicht garantieren, dass wie von den Brexit-Befürwortern angekündigt 350 Millionen Pfund pro Woche statt an die EU nun an das Gesundheitssystem NHS gingen. "Das war einer der Fehler, die die 'Leave'-Kampagne gemacht hat", sagte Farage.
Der EU attestierte er allerdings, sie liege im Sterben: "Wir haben eine scheiternde politische Union zurückgelassen."
So ungewiss die Zukunft der EU derzeit sein mag, auch dem Vereinigten Königreich stehen unruhige Zeiten bevor. Schottland will den Weg zum Brexit nicht mitgehen und strebt ein neues Unabhängigkeitsreferendum an. "Schottland hat klar und entschieden für den EU-Verbleib gestimmt, mit 62 zu 38 Prozent. Ein zweites Unabhängigkeitsreferendum ist nun höchstwahrscheinlich", sagte die schottische Premierministerin Nicola Sturgeon.
Die schottische Regierungspartei SNP war 2014 mit einem ersten Versuch, die Unabhängigkeit von Großbritannien zu erreichen, knapp gescheitert. Einem neuen Anlauf werden nach dem Brexit bessere Chancen eingeräumt. Eine Loslösung von London soll den Wiedereintritt in die EU ermöglichen.
Schottland gehört mit Wales, Nordirland und England zum Vereinigten Königreich und ist traditionell proeuropäisch. Auch in Nordirland wurden auf Seiten katholisch-irischer Nationalisten Rufe nach einer Abspaltung von Großbritannien und dem Verbleib in der EU laut. Die Bevölkerungsmehrheit dort stellen aber Protestanten, die Teil Großbritanniens bleiben wollen.