Reportage

Kritik an Brenner-Grenzkontrollen "Wir sitzen wieder zwischen den Stühlen"

Stand: 12.05.2016 11:43 Uhr

Vor allem in Südtirol stoßen die von Österreich geplanten Grenzkontrollen am Brenner auf Kritik. "Wir werden wieder ausgeschlossen", sagt Bergsteiger Reinhold Messner. Auch die Geschäftsleute sorgen sich, sie befürchten Milliarden-Verluste.

Monika Weißensteiner versteht die ganze Aufregung nicht. Die junge Frau wartet jeden Tag am Bahnhof Brenner auf die Züge aus Süden. Doch davon, dass die österreichische Grenze von Flüchtlingen überrannt wird, hat sie nichts mitbekommen: "Momentan kommen 20 bis 25 Flüchtlinge am Tag, das ist nichts. Vergangenes Jahr sah es hier ganz anders aus - bereits im April und im März", erzählt sie: "Jetzt sind wir im Mai. Seit es die Blockade in Bozen gibt, kommt hier fast keiner mehr an."

Monika Weißensteiner wartet jeden Tag  am Bahnhof Brenner auf die Züge aus Süden.

Monika Weißensteiner wartet jeden Tag  am Bahnhof Brenner auf die Züge aus Süden.

Intensive Kontrollen im Zug

Flüchtlinge, die versuchen von Italien aus in Richtung Österreich oder Deutschland weiterzureisen, nehmen in der Regel den Zug. Doch die Kontrollen sind intensiv. Ab Verona werden die Waggons systematisch durchsucht. Darunter sind auch österreichische und deutsche Polizisten, die unter dem Kommando ihrer italienischen Kollegen alle Passagiere ohne gültige Papiere in Bozen aus dem Zug holen - spätestens am Bahnhof Brenner, wo gestrandete Flüchtlinge von Weißensteiner versorgt und beraten werden.

Die Helferin von der Alexander-Langer-Stiftung fürchtet, dass mit den Kontrollen am Brenner Flüchtlinge sich für gefährlichere Wege entscheiden, um die Grenze zu überqueren: "Alle erinnern sich an die 72 Toten vergangenes Jahr in einem Lastwagen in Österreich. Das ist auch eine Folge der Grenzschließungspolitik", sagt die Helferin. "Dass die Menschen an wen auch immer gelangen, der sie über die Grenze bringen soll. Das kann tödliche Folgen haben. Das ist nicht das Europa, das wir wollen."

Der Brenner - italienisch-österreichische Grenze

Hier an der italienisch-österreichischen Grenze sorgen sich Helfer vor einem "Europa, das wir nicht wollen".

Sorge vor zweitem Idomeni

Eine andere Sorge: Wenn einmal der Zaun am Brenner steht, wird das kleine Dorf an der italienisch-österreichischen Grenze zu einem zweiten Idomeni. Ein Ort, an dem Flüchtlinge nicht weiterkommen, aber auch nicht zurück wollen. Noch ist die Grenze offen. Rechts neben den Bahngleisen fließt der Verkehr auf der Brennerautobahn. Links davon führt die alte Passstraße Richtung Innsbruck. Ein historischer Grenzstein markiert die Staatsgrenze, die hier bis vor kurzem kaum einen interessierte. Neuerdings steht ein rot-weiß-rotes Schild neben der Straße: "Republik Österreich. Grenzübergangsstelle".

Luciano Partacini hat ausgerechnet, wie stark Südtirol von möglichen Grenzkontrollen betroffen wäre.

Luciano Partacini hat ausgerechnet, wie stark Südtirol von möglichen Grenzkontrollen betroffen wäre.

Dort, wo früher die Grenzgebäude standen, lädt heute ein gigantisches Outlet-Center die Durchreisenden zur Shoppingtour ein. Und darum herum haben sich Geschäfte angesiedelt, die die Touristen mit Südtiroler Spezialitäten oder einfach nur mit frischen Bratwürsten locken. So wie die Imbissbude von Herrn Karl an der Brennerstraße: "Das ist ein richtiger Ort. Und Shopping gehört dazu. Kaufleute wollen auch ein Geschäft machen. Aber wenn sie blockieren, blockieren sie auch unsere Kundschaft. Das ist unsere Sorge."

Luciano Partacini von der Handelskammer in Bozen hat ausgerechnet, wie stark Südtirol von möglichen Grenzkontrollen betroffen wäre. Zu allererst natürlich der Tourismus: "Wir haben in Südtirol etwa sechs Millionen touristische Ankünfte. Davon kommen genau dreieinhalb Millionen über den Brenner. Und wenn es dann in der Hochsaison zu längeren Wartezeiten, zu Staus kommt, dann können wir davon ausgehen, dass das nicht alle Touristen in Kauf nehmen werden. Viele werden auf einen Urlaub oder Tagesausflug nach Südtirol verzichten", vermutet er.

Abschottungspolitik kostet Milliarden

Ein Prozent Rückgang bei den Übernachtungen würde sich im Südtiroler Bruttoinlandsprodukt mit 30 Millionen Euro niederschlagen. Insgesamt beziffern Experten die negativen Effekte von Österreichs Abschottungspolitik auf mehrere Milliarden Euro.

Doch es geht um mehr als um Millionen und Milliarden, sagt der prominenteste Sohn Südtirols, der Bergsteiger Reinhold Messner. Er, der als erster Mensch alle Achttausender bestiegen hat, will nicht hinnehmen, dass am Brenner, auf 1370 Metern Höhe, eine neue Grenze entsteht: "Das schlimmste für mich ist die emotionale Seite, die wir mit dem Brenner - der früher als Unrechtsgrenze empfunden wurde - wieder eine Grenze bekommen. Wir sitzen dann wieder zwischen den Stühlen. Zwischen Italien und Österreich."

Dank Schengen hatten sich die Südtiroler mit ihrem Schicksal versöhnt, als deutschsprachige Minderheit zu Italien zu gehören. Gemeinsam mit dem italienischsprachigen Trient, Nord- und Osttirol bildet man eine Euregio. Ein vorbildliches Stück Europa im Kleinen. Fragt sich nur wie lange noch.

Dieses Thema im Programm: Dieser Beitrag lief am 11. Mai 2016 um 22:51 Uhr auf NDR Info.