Interview mit Pakistan-Experten Jochen Hippler "Derzeit kann niemand Bhuttos Rolle übernehmen"
Der Mord an Oppositionsführerin Bhutto stürzt Pakistan in eine tiefe Krise. "In absehbarer Zeit kann niemand ihre Rolle übernehmen", sagt Politikwissenschaftler Hippler von der Uni Duisburg-Essen im tagesschau.de-Interview. Für Präsident Muscharraf wird die Lage mit Bhuttos Tod noch schwieriger.
Der Mord an der Oppositionsführerin Bhutto stürzt Pakistan in eine tiefe Krise. "In absehbarer Zeit kann niemand Bhuttos Rolle übernehmen", sagt Politikwissenschaftler Hippler von der Uni Duisburg-Essen im tagesschau.de-Interview. Für Präsident Muscharraf wird die Lage mit Bhuttos Tod noch schwieriger.
tagesschau.de: Wer könnte Benazir Bhutto in der Opposition ersetzen?
Jochen Hippler: Das ist nicht abzusehen. Es gibt die Pakistanische Volkspartei von Frau Bhutto und die Pakistanische Moslem-Liga von Nawaz Scharif: Beide sind sehr führerorientiert. Parteifunktionäre werden nicht gewählt, sondern von Bhutto und Scharif ernannt. Unterhalb der Parteiführung gibt es nicht viel. Bei einer so personalisierten Politik und Parteien, die nur um eine Familie herumgebaut sind, entsteht eine große Leere, wenn eine dieser Führungspersonen plötzlich nicht mehr da ist. Das ist unter anderem der Grund, warum nicht nur Bhutto umgebracht worden ist, sondern auch ihr Vater von einer Militärdiktatur gehängt und ihre Brüder umgebracht wurden. Wo Parteien nur leere Hüllen sind, kann man diese durch Attentate auf ihre Führer stark treffen. Im Moment gibt es niemand, der auf absehbare Zeit Bhuttos Rolle übernehmen kann.
tagesschau.de: Wer könnte hinter dem Anschlag stecken?
Hippler: Da muss man die Ermittlungen abwarten. Der Verdacht drängt sich allerdings auf, dass es den Taliban nahestehende Leute sind. Das ist ein bisschen paradox, weil Frau Bhutto – in übertragenem Sinne – die Mutter der Taliban ist. Die Taliban sind in ihrer Regierungszeit von ihrem Innenminister wesentlich mit aufgebaut und gefördert worden. Sofern sie jetzt Opfer von religiösen Extremisten geworden sein sollte – und das ist erst einmal das Naheliegende – wäre das ein Zeichen dafür, dass es nicht immer eine gut Idee ist, mit dem Feuer zu spielen.
tagesschau.de: Was bedeutet der Anschlag für das Verhältnis zwischen islamistischen und demokratisch gesinnten Kräften in Pakistan?
Hippler: Nicht so viel. Die großen islamistischen Parteien sind in den demokratischen Prozess eingebunden. Das sind zwar reaktionäre Parteien, aber eigentlich sind das Leute, die sich selbst von der Polizei haben verprügeln lassen, weil sie für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit eintreten. Diese komplizierten Verhältnisse durchschauen wir hier oft nicht richtig. Es ist nicht DER Islamismus in Pakistan, der das Gewaltproblem schafft, sondern das, was aus Afghanistan herüberschwappt und was am rechten Rand der Islamisten abbröckelt.
tagesschau.de: Kann Muscharraf aus dem Anschlag Nutzen ziehen?
Hippler: Ich vermute eher das Gegenteil. Muscharraf ist in den vergangenen Monaten in eine ziemliche Zwangslage geraten. Seine offensichtlich verfassungswidrige Wiederwahl konnte nur gesichert werden, weil er praktisch gegen sich selbst geputscht und den Notstand verhängt hat. Das war ein Indiz für seine Schwäche. Eine Möglichkeit, da herauszukommen, war ein Versuch, mit Bhutto die Macht zu teilen. Bhutto hätte für Muscharraf eine doppelte Funktion gehabt: Einerseits ein Ausweg aus seinem Dilemma, in der eigenen Gesellschaft völlig isoliert zu sein. Andererseits hätte sie aber auf Dauer auch eine Bedrohung seiner Macht sein können. Die Gesamtbilanz ist eher eine leichte Destabilisierung von Muscharraf, als eine Stärkung.
tagesschau.de: Glauben Sie dass die für Januar geplanten Wahlen stattfinden können?
Hippler: In den vergangenen Wochen sah es so aus, dass Muscharraf die Wahlen abhalten will, weil er sonst auch in der Öffentlichkeit in hohem Maß diskreditiert ist. Aber man muss die nächsten Tage abwarten - wie ist die Reaktion der Bevölkerung, wie reagieren die Medien? Erst dann wird man die Frage beantworten können.
tagesschau.de: Was bedeutet der Anschlag für das Verhältnis zwischen Pakistan und der westlichen Welt?
Hippler: Ich glaube nicht, dass er Auswirkungen haben wird. Bei westlicher Welt denke ich erst einmal an die USA. US-Präsident George Bush hat mehrfach deutlich gemacht, dass er im Prinzip auf der Seite von Präsident Muscharraf steht. Er glaubt, den Mann im Kampf gegen den Terrorismus in Afghanistan zu brauchen. Zu Muscharraf stehen ist Pflicht, alles andere ist Kür. Die USA haben in der Vergangenheit versucht, ein Bündnis von Muscharraf und Bhutto zusammenzubekommen. Aber bei der Wahl zwischen einer unsicheren Kandidatin Bhutto und einem an der Macht befindlichen Musharraf, der sehr eng mit den USA kooperiert, hat man sich immer für Muscharraf und gegen jede demokratische Alternative entschieden. Man wird in Washington Bhuttos Tod sehr bedauern. Es wird sich aber die Politik gegenüber Pakistan mit ziemlicher Sicherheit nicht ändern.
Das Interview führte Wolfram Leytz, tagesschau.de