Norbert Hahn zur Lage in Donezk Kleine Gruppe schürt große Ängste
Anders als auf der Krim können die prorussischen Besatzer in Donezk nicht auf großen Rückhalt der Bevölkerung bauen, sagt ARD-Korrespondent Norbert Hahn im Interview mit tagesschau.de. Dennoch schüchtern sie westliche Journalisten gezielt ein.
tagesschau.de: Als wie bedrohlich empfinden sie die Stimmung in Donezk derzeit?
Norbert Hahn: Die Situation ist sehr angespannt. Das bekommen gerade Journalisten zu spüren. Wenn wir oder andere Kollegen von westlichen oder ukrainischen Sendern in der Nähe des besetzten Verwaltungsgebäudes drehen wollen, werden wir häufig bedroht. Immer wieder müssen wir den Besatzern unsere Pässe zeigen, obwohl sie kein Recht dazu haben. Bei unserer letzten Schalte kamen bewaffnete prorussische "Revolutionäre" auf uns zu und haben uns aufgefordert, den Platz zu verlassen, sonst würden wir Schläge bekommen. Man muss hier um Leib und Leben fürchten, wenn man an den Falschen gerät.
tagesschau.de: Gilt das für alle Journalisten?
Hahn: Nein, russische Reporter haben keinerlei Probleme und können ungehindert arbeiten. Denn das sind in den Augen der Besatzer die einzigen, die die Wahrheit sagen. Die dürfen dann auch ohne weiteres in die besetzten Gebäude, worum wir uns vergeblich bemühen.
Knüppel und Schusswaffen
tagesschau.de: Wer sind die Leute, die die Gebäude besetzen - sind es wie auf der Krim russische Soldaten?
Hahn: Das kann ich nicht sicher sagen, doch sie repräsentieren einen Teil der Bevölkerung. Aber anders als auf der Krim stehen sie aber nicht für den größeren Teil der Bevölkerung. Ich bin nicht mal sicher, ob sie den größten Teil der russisch-sprachigen Mehrheit repräsentieren.
tagesschau.de: Wie sind die Kämpfer bewaffnet?
Hahn: Die "normale" Ausrüstung der Besatzer ist ein dicker Knüppel. Das reicht, um unter Unbewaffneten, wie uns Journalisten, eine gewisse Angst zu verbreiten. Es gibt in der Stadt aber auch Schusswaffen, auch wenn ich selber noch keine gesehen habe. Es kursieren Fotos im Internet, auf denen die "Revolutionäre" mit Gewehren posieren. Ein Teil der Waffen wurde offenbar aus den besetzten Gebäuden, wie der Geheimdienstzentrale, entwendet.
Kleine "Inseln" der Gewalt
tagesschau.de: Wie reagieren die Bewohner von Donezk auf die Kämpfe?
Hahn: Wenn wir durch die Stadt fahren, habe ich nicht unbedingt das Gefühl, mich in einer belagerten Stadt zu befinden. Die Bewohner gehen ganz normal ihrer Arbeit nach. Es sind eher kleine "Inseln" in der Stadt, die besetzt sind, wie das Geheimdienstgebäude, oder die Verwaltung. Und auch zahlenmäßig sind es nicht besonders viele Besatzer. Wenn man sich das vor Augen führt, dann ist es schon etwas skurril, wie diese Gruppe Kriegsängste befeuert und die Weltpolitik in Atem hält.
Ich habe auch nicht das Gefühl, dass es in der Stadt große Debatten über die aktuellen Vorgänge gibt, nirgends sieht man größere Versammlungen, die diskutieren oder aktiv eine Seite unterstützen.
tagesschau.de: Sie haben vor einigen Wochen auch von der Krim berichtet. Inwieweit ist die Situation oder die Haltung der Bevölkerung vergleichbar?
Hahn: Mein Eindruck ist, dass die Bevölkerung hier anders tickt als auf der Krim. Es gibt auch hier Menschen, die den Anschluss wollen an Russland. Vor allem ältere Menschen, die noch in der Sowjetunion groß geworden sind und sich als Verlierer der Wende sehen, sympathisieren eher mit den prorussischen Kräften. Die jungen, gut ausgebildeten Leute dagegen lehnen eine Spaltung des Landes ab.
tagesschau.de: Erleben sie jenseits der Arbeit Einschränkungen im Alltag?
Hahn: Wir sind keinen Einschränkungen unterworfen etwa durch Personenkontrollen auf der Straße. Allerdings ist es so, dass die prorussischen Kämpfer auch in der Stadt unterwegs sind. Und gerade abends, wenn diese Menschen eventuell auch schon etwas getrunken haben, kann eine Situation schnell zu einer gewissen Gefahr werden, weil man nicht weiß, ob jemand nur pöbeln will, oder ob Westler für ihn generell ein rotes Tuch sind.
US-Söldner bei ukrainischer Polizei?
tagesschau.de: Die russische Regierung hat erklärt, US-Söldner sollen heimlich auf Seiten der ukrainischen Polizei kämpfen - stimmen diese Vorwürfe?
Hahn: Das ist schwer zu verifizieren. 150 bezahlte Kämpfer sollen sich angeblich Uniformen der ukrainischen Sonderpolizei angezogen haben, um die sogenannte "Revolution" zu verhindern. Neu sind solche Vorwürfe nicht: Schon während der Kämpfe auf dem Maidan sollen angeblich private US-Sicherheitsfirmen wie Blackwater oder Greystone beteiligt gewesen sein - aber ob das stimmt, ist völlig unklar.
tagesschau.de: Könnte der Oligarch Rinat Ahmetow, der aus der Stadt stammt und als der reichste Mann der Ukraine gilt, den Konflikt entschärfen?
Hahn: Er wurde ja auch schon von der neuen Regierung in Kiew gefragt, ob er Gouverneur in seiner Provinz werden möchte - was er allerdings abgelehnt hat. Dennoch hat er zwischen der Regierung und den Besetzern vermittelt. Das zeigt seine herausgehobene Rolle und gleichzeitig wie eng Politik und Wirtschaft hier verfilzt sind. Ich bin allerdings skeptisch, ob er den Konflikt dauerhaft entschärfen kann.
Das Interview führte Alexander Steininger, tagesschau.de