Bergkarabach Neue Waffen verändern den Krieg
Lange galt das hochgelegene und von Schützengräben umgebene Bergkarabach als schwer einnehmbar für Aserbaidschan. Doch moderne Waffen, darunter Drohnen, erschweren den Armeniern die Verteidigung.
176 Kilometer lang ist die Frontlinie von Bergkarabach zur aserbaidschanischen Seite. Sie ist durchzogen von weitverzweigten Systemen aus Schützengräben. Die Erdwände sind durch Betonplatten verstärkt. Durch schmale Schlitze im Beton beobachten die armenischen Soldaten den Gegner in wenigen hundert Metern Entfernung. Rote Metalldreiecke warnen vor vergrabenen Minen.
Die armenischen Streitkräfte liegen mit ihren Panzern, Geschützen und Abwehrsystemen tief vergraben. Von den Bergen Karabachs aus dominieren sie die östlich gelegene Ebene Aserbaidschans.
Weit verzweigte Schützengräben an der Frontlinie.
Schützengräben, Befestigungen und Militärposten ziehen sich über das eigentliche Konfliktgebiet hinaus weiter nach Norden, bis die armenisch-aserbaidschanische Grenze an Georgien stößt. Seit der Krieg zu Beginn der 1990er-Jahre ausbrach, wurden sie ausgebaut und immer wieder erneuert. Bergkarabach ist umgeben von einer gigantischen Festungsanlage, die sich für die Aserbaidschaner lange Zeit als uneinnehmbar erwies.
Angriffe mit hoher Präzision
Doch die Führung in Baku nutzte ihre reichlichen Einnahmen aus Öl und Gas zur Modernisierung ihrer Streitkräfte. Massive Aufrüstung ist einer der Gründe, warum sich Präsident Ilham Alijew jetzt so entschlossen zeigt und nichts weniger als die Einnahme der gesamten armenisch kontrollierten Gebiete auf seinem Territorium zum Ziel erklärt hat.
Nach einer Woche massiver Gefechte verkündete Alijew am Sonntagabend die Einnahme mehrerer Orte. Videos des Verteidigungsministeriums in Baku zeigen mit hoher Präzision ausgeführte Angriffe auf armenische Militärfahrzeuge, Raketenabwehrstellungen und Soldaten. Seit Tagen liegen Ortschaften in Bergkarabach unter Beschuss, darunter Stepanakert mit 55.000 Einwohnern.
Auch in Armenien selbst war der Krieg schon zu spüren. So wurde am Donnerstag ein Flugabwehrsystem in der Nähe der Hauptstadt Jerewan aktiviert. Auch die aserbaidschanische Stadt Gandja geriet unter Beschuss. Armenische Geschosse sollen zudem unweit der Hauptstadt Baku eingeschlagen sein.
Armenien und Aserbaidschan zählen nach Berechnungen des Bonner Internationalen Zentrums für Konversion (BICC) zu den zehn am stärksten militarisierten Ländern weltweit - gemessen an den Militärausgaben in Relation zur Bevölkerungs- und Wirtschaftsgröße. Seit Beginn der Gefechte am 27. September lässt sich das massive Zerstörungspotenzial moderner Waffen erahnen, die reguläre Armeen gegeneinander einsetzen.
"Kamikaze"-Drohnen im Einsatz
Neben Kampfjets und weitreichenden Raketensystemen verändern Drohnen das Kriegsgeschehen. Aserbaidschan setzte sie bereits beim "Vier-Tage-Krieg" im Frühjahr 2016 ein und eroberte einige Hektar Land.
Laut Medienberichten kamen damals "Harop"-Drohnen zum Einsatz, die als unbemannte "Kamikaze"-Flugkörper über einem Gebiet kreisen und sich dann auf ein Ziel stürzen. Sie werden von der israelischen Firma "Israel Aerospace Industries" hergestellt. Am 4. April 2016 traf demnach eine solche Drohne einen Bus mit armenischen Soldaten und tötete mehrere von ihnen. Die Streitkräfte von Bergkarabach behaupteten damals zudem, eine Überwachungsdrohne vom Typ "ThunderB" aus israelischer Produktion abgeschossen zu haben.
Drohnen aus Israel und der Türkei
Bei mehrtägigen Gefechten in diesem Juli an der armenisch-aserbaidschanischen Grenze nördlich von Bergkarabach kam offenbar eine hohe Anzahl von Drohnen zum Einsatz. Zumindest präsentierte das Verteidigungsministerium in Jerewan eine ganze Reihe angeblich abgeschossener Drohnen.
Die "Jerusalem Post" zählt in einem Bericht neben den "Harop"-Drohnen die Typen "Aerostar", "Orbiter 1k" und "Orbiter" der israelischen Firma Aeronautics auf. Die Kamikaze-Drohne "Orbiter 1k" produziere Aserbaidschan inzwischen in Lizenz. Hinzu kämen "SkyStriker" sowie die Aufklärungsdrohnen "Hermes 450" und "Hermes 900" des israelischen Unternehmens Elbit Systems.
Im Juni kündigte das Verteidigungsministerium in Baku zudem den Kauf türkischer Drohnen vom Typ "Bayraktar" an. Während es keine offizielle Mitteilung über die Lieferung dieser Drohnen an Aserbaidschan gab, weisen Experten auf Bildmaterial des Verteidigungsministeriums in Baku hin. Es enthalte Aufnahmen, die typisch für "Bayraktar"-Drohnen seien.
Drohnen-Produktion in Armenien
Für die armenische Regierung war der Verlust von Territorium im Jahr 2016 schmachvoll. Die Enttäuschung der Bevölkerung darüber trug zum Machtwechsel im Jahr 2018 bei. Der neue Ministerpräsident Nikol Paschinjan, der anders als seine Vorgänger nicht in Bergkarabach geboren und ohne Kampferfahrung war, stand sogleich unter Druck.
Angesichts mangelnder Alternativen versuchte sich Paschinjan mit Präsident Wladimir Putin gutzustellen. Russland als Schutzmacht liefert per Abkommen Waffen zum Vorzugspreis, darunter "E5" Drohnen des Herstellers Ptero.
Mit in Armenien stationierten russischen Truppen führten die armenischen Streitkräfte in den vergangenen Wochen Militärübungen durch. Trainiert wurde dabei nach russischen Angaben das Erkennen und Zerstören von Drohnen. Ein Flugabwehrsystem ZSE-23-4 Schilka habe Drohnen in 1500 Meter Höhe und bis 2500 Meter Entfernung zerstört. Außerdem seien Störsender eingesetzt worden.
Wenig bekannt ist bislang über eine Militärkooperation Armeniens mit China, die Waffenverkäufe und Militärhilfe beinhaltet. Armenien stellt außerdem nach eigenen Angaben seit 2011 selbst Drohnen her. Vorgeführt wurden unbemannte Fluggeräte im gleichen Jahr bei einer Militärparade in Jerewan und auch im April 2015. Offenbar sind diese aber technisch nicht so weit entwickelt wie jene aus israelischer Produktion.
In den Tagen nach Beginn der Gefechte zeichnete sich ab, dass der Einsatz von Drohnen zusammen mit weiterer moderner Kriegstechnik Aserbaidschan helfen könnte, den geografischen Nachteil auszugleichen. Da Armenien als Reaktion bereits ankündigte, ebenfalls stärkere Waffensysteme wie russische Mittelstreckenraketen einsetzen zu wollen, steht eine Ausweitung der Kampfzone bis in das Innere beider Länder zu befürchten.