Krieg in Bergkarabach Konflikt ohne Lösung
Russland hat eine Waffenruhe vermittelt, doch Armenien und Aserbaidschan halten sie nicht ein. Das zeigt, wie verfahren die Lage schon lange ist. Westliche Staaten müssten sich einbringen.
Er befürchte, dass da was dran sei, schloss sich Außenminister Heiko Maas einer These an, die soeben die SPD-Abgeordnete Daniela De Ridder im Bundestagsplenum geäußert hatte: Der Krieg in Bergkarabach, "die aktuellen Bombardements" seien ein "Test für die Weltöffentlichkeit" und ein "Versuch, Aufmerksamkeit auf den Konflikt zu lenken".
Das war am 7. Oktober, zehn Tage nach Beginn der Gefechte entlang der gesamten Frontlinie von Bergkarabach. Bereits da verliefen die Kämpfe verheerender, dynamischer und ausgreifender als alle "Zwischenfälle" an der Frontlinie in den Jahrzehnten seit Vereinbarung des Waffenstillstandes 1994. Die Opferzahl unter Soldaten und Zivilisten ging schon vergangene Woche in die Hunderte.
Krieg mit Ankündigung
Um Aufmerksamkeit hatten Armenien und Aserbaidschan in den Jahren zuvor verbissen gekämpft. Wo immer möglich bei internationalen Foren, brachten sie den Konflikt zur Sprache und sprengten dabei auch Debatten zu anderen Themen.
Bei der diesjährigen Sicherheitskonferenz in München führten Armeniens Premier Nikol Paschinjan und Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew vor, dass sie sich praktisch in nichts einig sind. Bei einer Debatte vor Publikum stritten sie sich über historische Daten und versuchten, sich gegenseitig vorzuführen.
Alijew erklärte in den vergangenen Monaten immer wieder, enttäuscht über mangelnde internationale Unterstützung zu sein. Er drohte, dass seine Streitkräfte das armenisch kontrollierte Territorium "befreien" würden, das völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehört. Die armenische Seite wiederum hatte sich in den vergangenen Jahren immer weniger willens gezeigt, den Status Quo zu verändern und zumindest die zusätzlich um Bergkarabach als Sicherheitszone eingenommenen Gebiete zurückzugeben.
Verhandeln hinter verschlossenen Türen
Insofern kam es den Armeniern entgegen, dass die internationalen Vermittlungsbemühungen über die Jahre erlahmten und der internationale Druck abnahm, Kompromisse zu finden.
1992 hatte sich im Rahmen der OSZE eine Staatengruppe zusammengefunden, die angesichts des damals tobenden Krieges um Bergkarabach eine Friedenskonferenz in Minsk organisieren wollte. Die Konferenz kam bis heute nicht zustande. Die Minsk-Gruppe, angeführt von Russland, Frankreich und den USA, erwirkte 1994 lediglich einen Waffenstillstand.
Ihr oblag es dann in den vergangenen Jahren, mit den Konfliktparteien zu verhandeln. Die EU zum Beispiel, neben den USA der größte Geldgeber für zivilgesellschaftliche Projekte in der Region, verwies beim Thema Konfliktlösung immer auf die Minsk-Gruppe.
Doch handelten die Vermittler Kompromisse mit den Konfliktparteien hinter verschlossenen Türen aus, ohne die Bevölkerung in beiden Ländern einzubeziehen. In der Konsequenz fanden ausgehandelte Ergebnisse keine ausreichende Unterstützung.
Sechs Beobachter für zwei hochgerüstete Armeen
Vorgesehen war eine internationale Friedenstruppe mit 4000 Soldaten in Bergkarabach. Doch 1995 brach der Krieg in Ex-Jugoslawien aus, Westeuropa und die USA konzentrierten sich auf Friedensbemühungen dort. Russland hielt daran fest, Soldaten nach Bergkarabach entsenden zu wollen. Doch sowohl Aserbaidschan als auch Armenien lehnen dies bis heute aus Misstrauen gegenüber der russischen Führung ab.
Zur Überwachung des Waffenstillstands durften lediglich sechs Beobachter der OSZE die 176 Kilometer lange Frontlinie inspizieren - nach Absprache mit beiden Seiten.
Waffenembargos mit beschränkter Wirkung
Praktisch ungehindert konnten Armenien und Aserbaidschan in den vergangenen Jahren Aufrüstung betreiben - Russland lieferte an beide Seiten. Aserbaidschan kaufte Waffen auch von Israel, zuletzt kam die Türkei verstärkt hinzu.
Die Vereinten Nationen hatten 1993 in einer Sicherheitsratsresolution ein freiwilliges Waffenembargo beschlossen. Seit 2002 ist diese Resolution aber praktisch aufgehoben, da der UN-Sicherheitsrat seitdem nicht mehr angibt, "aktiv mit der Angelegenheit befasst zu sein".
Ein Embargo der OSZE gilt weiterhin, unter anderem die Bundesregierung sieht sich weiter daran gebunden. Israel aber als Partnerland der OSZE hält es nicht ein und steht laut Friedensforschungsinstitut SIPRI aktuell für 60 Prozent der Waffenlieferungen an Aserbaidschan, wovon hochpräzise Drohnen einen bedeutenden Teil ausmachen.
Fallen internationale Organisationen für den Stopp von Waffenlieferungen aus, bleiben nationale Möglichkeiten: Der Oberste Gerichtshof Israels befasste sich Anfang der Woche mit der Frage. Zwar lehnte er eine Anhörung ab - in der Petition dazu sei nicht ausreichend nachgewiesen worden, dass die Waffen für Kriegsverbrechen gegen Armenien verwendet werden. Das Gericht könnte aber später noch eine Anhörung zulassen. Videos zum Einsatz von Drohnen veröffentlichen Aserbaidschan und Armenien fast täglich.
Aserbaidschan versucht mit den hochmodernen Waffen, aber offenbar unter hohen Verlusten, Gebiete zu erorbern. Die armenische Seite schlägt ebenso massiv zurück - Aserbaidschan beklagt zivile Opfer und den Beschuss von Dörfern und der Stadt Gandja.
Endlich die Konferenz einberufen?
Dass die von Russland ausgehandelte Waffenruhe höchstens zu einer zeitweiligen Abschwächung der Gefechte führte, zeigt, wie wenig sich die Konfliktparteien von außen beeinflussen lassen wollen. Nötig wäre massiver Druck zum Beispiel durch Sanktionen.
Wenn in einigen Wochen beide Konfliktparteien erschöpft sind, könnte Russland mit der ungewollten Friedenstruppe in Bergkarabach seine Interessen durchsetzen. Auch ein Deal mit der Türkei wäre möglich. Doch ist fraglich, ob dies zu einer für die betroffenen Konfliktparteien akzeptablen Lage führt.
Will die EU eine dauerhafte Friedenslösung östlich seiner Außengrenzen, müsste sie sich als neutraler Vermittler einbringen. Zum Beispiel könnte sie sich dafür einsetzen, dass der Plan von 1992 tatsächlich umgesetzt und eine internationale Konferenz einberufen wird. Schweden könnte sich dafür einsetzen, wenn es im neuen Jahr den Vorsitz der OSZE übernimmt.