John Bercow Der angriffslustige Mr. Speaker
Der britische Parlamentssprecher findet deutliche Worte. Das mussten auch Theresa May und Boris Johnson erfahren. Im Brexit-Streit kämpft Bercow mit großem Einsatz für das Parlament.
Er werde jetzt noch eine persönliche Erklärung abgeben. Mit diesen Worten meldete sich der Speaker des Unterhauses ausgerechnet in einer ganz entscheidenden Stunde des Parlaments zu Wort. Vor der erneuten Abstimmung über vorgezogene Neuwahlen. Vor der Zwangspause für die Abgeordneten. Und an dem Tag, als der Sieg des Parlaments über den Premierminister mit der königlichen Unterschrift unter das Gesetz gegen einen ungeregelten Austritt aus der EU manifest wurde.
Geschichte geschrieben
Ausgerechnet an diesem Tag sorgte John Bercow für die fettesten Schlagzeilen: Er werde sich vor vorgezogenen Neuwahlen, aber spätestens am 31. Oktober vom Amt des Speakers zurückziehen. Er habe immer versucht, die Rückversicherung für die einfachen Abgeordneten zu sein, so der Inhalt der persönlichen Erklärung.
Vor allem die Opposition klatschte danach langanhaltend Beifall, in einem Parlament, in dem eigentlich nie geklatscht wird. Doch der konservative Bercow hat als Sprecher, als Präsident des Unterhauses, Geschichte geschrieben, und Labour-Oppositionsführer Jeremy Corbyn dankte ihm dafür, ein ganz vorzüglicher Speaker gewesen zu sein.
Bercow ganz groß
Bercow ist klein, nur 1,67 Meter groß, was einen seiner zahlreichen Kritiker mal dazu brachte, ihn als "scheinheiligen, dummen Zwerg" zu bezeichnen. Doch wenn er die "Honourable Gentlemen", die ehrenwerten Abgeordneten ihrer Majestät, zur Ordnung rief, dann wurde Bercow ganz groß.
Der 56 Jahre alte Sohn eines Taxifahrers mit jüdisch-rumänischen Wurzeln inszenierte die Debatten seiner Kammer als große Show und wurde so, als sich die internationale Aufmerksamkeit nach dem Brexit-Referendum auf Westminister richtete, zum Weltstar. Zwischenrufer nahm er auch gern mal persönlich aufs Korn. So riet er mal einem Abgeordneten, er solle sich beruhigen und Yoga betreiben.
Mit Traditionen gebrochen
In den Brexit-Debatten wuchs der Mann geradezu über sich hinaus. Bercow nutzte gnadenlos die Chance, die ihm eine Regierung ohne Mehrheit bot, um das Parlament zu stärken. Das bekam erst Theresa May zu spüren, und jetzt Boris Johnson. Er beschnitt den traditionell großen Einfluss der Regierung auf das Geschehen im Unterhaus und machte so die Opposition stärker. Als die Brexiters sich über einen angeblichen Bruch mit den Traditionen des britischen Parlaments empörten, entgegnete Bercow nur cool: "Wenn wir uns immer nur an die Tradition hielten, wäre keinerlei Veränderung möglich."
Bercow hielt auch sonst nicht viel von Traditionen. Als er vor zehn Jahren das Amt übernahm, schnitt er erst einmal alte Zöpfe ab: Die Parlamentsbeamten müssen jetzt keine Perücken mehr tragen. Für viele seiner konservativen Parteifreunde wurde Bercow zum roten Tuch. Einer von ihnen ertappte ihn am Steuer eines Autos, auf dem ein Anti-Brexit-Aufkleber prangte.
"Order!" - mit diesem Spruch ruft Bercow die Abgeordneten zur Ordnung.
Bercow in den Klatschspalten
Doch Bercow wies den Vorwurf der Parteilichkeit mit den Worten zurück, das sei das Auto seiner Frau und die habe er nicht unter Kontrolle: Bercows Frau Sally glänzte übrigens einst in der englischen Promi "Big Brother"-Sendung. Das Paar war auch wochenlang in den Klatschspalten, als Sally mit dem Vetter des Parlaments-Speakers fremd ging.
Bercow ist sicher kein einfacher Mann. Mitarbeiterinnen warfen ihm vor, er habe sie angepöbelt. Und er musste zugeben, dass er einmal leise vor sich hinmurmelnd die damalige Fraktionsvorsitzende der Konservativen ein "dummes, nutzloses Weib" genannt habe. Gefeiert wurde Bercow dagegen, als er vor dem anstehenden Staatsbesuch Donald Trumps einen Auftritt des US-Präsidenten vor beiden Häusern des Parlaments in London ablehnte.
Einfach weiter gemacht
Bercow wollte eigentlich bereits im vergangenen Sommer das Amt des Speakers abgeben. Doch er machte einfach weiter, weil er - so seine Begründung - den Brexit-Prozess zu Ende bringen wolle. Vielleicht hat er aber auch nur Spaß daran, seine Parteifreunde ein bisschen zu ärgern und der Opposition ein bisschen zu helfen.
Bis zum 31. Oktober wird er jetzt jedenfalls noch Johnson ärgern, und alles dafür tun, dass es an diesem Tag nicht zu einem ungeregelten Austritt Großbritanniens aus der EU kommt.