Interview

Interview zu transatlantischem Verhältnis "Europa muss einheitlich auftreten"

Stand: 22.10.2015 11:24 Uhr

Kurz nach dem Besuch des französischen Präsidenten Sarkozy ist reist Bundeskanzlerin Merkel zu US-Präsident Bush. tagesschau.de sprach mit dem USA-Experten Josef Braml über die transatlantischen Beziehungen, die Iran-Krise und eine mögliche Konkurrenz zwischen Deutschland und Frankreich.

Am Wochenende reist Bundeskanzlerin Merkel zu US-Präsident Bush. Der hat vor wenigen Tagen erst den französischen Staatschef Sarkozy empfangen. tagesschau.de sprach mit dem USA-Experten Josef Braml über die transatlantischen Beziehungen, die Iran-Krise und eine mögliche Konkurrenz zwischen Deutschland und Frankreich.

tagesschau.de: In Deutschland sind die Erwartungen naturgemäß hoch, wenn die Bundeskanzlerin in die USA reist. Welchen Stellenwert aber hat das Treffen mit Angela Merkel für US-Präsident George W. Bush?

Josef Braml: Bush hat sich ja eben erst mit dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy getroffen, jetzt kommt Angela Merkel. Europa tritt also nicht als Europa auf, sondern in der Form einzelner Staaten. Bush könnte nun die Teilerfolge, die er bei Sarkozy erzielt hat, als Hebel zu nutzen, um auch bei Merkel Druck zu machen.

tagesschau.de: In welcher Hinsicht?

Braml: Es geht um Sanktionen gegen den Iran. Sarkozy hat sehr deutlich gemacht, dass er bereit wäre, diese mitzutragen, wenn auch andere Länder mitzögen. Diese Abmachung könnte Angela Merkel nun unter Zugzwang bringen.

tagesschau.de:
Wie groß ist der europäische Einfluss bei Bush auf das brisante Thema Iranpolitik?

Braml: Die große Frage ist, ob Europa und die USA gemeinsam überhaupt Einflussmöglichkeiten auf den Iran haben. Denn wenn härtere Wirtschaftssanktionen verhängt würden, könnten Russland und China in die Presche springen, um die Lücke zu füllen. Es ist deshalb ganz wichtig, China und Russland in eine gemeinsame Iran-Strategie einzubinden – nicht zuletzt im Hinblick auf den UN-Sicherheitsrat. Nur so ließe sich das Dilemma im Umgang mit dem Iran lösen.

tagesschau.de: Wie ernst wird denn die Bundeskanzlerin mit ihrer Strategie einer dipolomatischen "Hinterzimmerpolitik" gegenüber Iran in den USA genommen?

Braml: Bush hat mittlerweile eingesehen, dass er besser fährt, wenn er internationale Verantwortung auch auf mehrere Schultern verteilt. Denn jedem ist klar, dass das Iran-Problem kurzfristig nicht zu lösen ist. Merkel setzt auf eine diplomatische Lösung, zumindest scheinen die USA das zu akzeptieren. Der Preis der Diplomatie ist aber der, dass die deutsche Wirtschaft Marktchancen in Iran preisgeben muss.

tagesschau.de: Nicolas Sarkozy gibt sich als Nachfolger des US-kritischen Jacques Chirac ausgesprochen Amerika-freundlich. Entsteht da eine Konkurrenzsituation zwischen Frankreich und Deutschland, was das Verhältnis zu den USA angeht?

Braml: Diese Gefahr besteht. Denn Sarkozy verlässt eindeutig die traditionelle gaullistisch-kritische Haltung Frankreichs gegenüber den USA. Ich denke, dass er einen ausgesprochen pro-amerikanischen Kurs fahren wird. Deutschland würde dadurch die günstige Mittlerposition zwischen Frankreich und den USA verlieren. Deutschland könnte also mittelfristig an Einfluss verlieren, wenn sich die Amerikaner künftig den europäischen Partner aussuchen können, der ihnen bei der jeweiligen Fragestellung näher steht.

Josef Braml
Dr. Josef Braml ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Seine Arbeitsschwerpunkte sind die Außen- und Sicherheitspolitik der USA sowie die Transatlantischen Beziehungen. Die Lage in den USA analysierte er zuletzt in dem Buch "Der amerikanische Patient".


tagesschau.de: Wie gesund ist denn das transatlantische Verhältnis zwischen den USA und Europa derzeit?

Braml: Das transatlantische Verhältnis ist nicht so schlecht, wie es mitunter den Eindruck macht. Vor allem im Wirtschaftsbereich läuft es hervorragend. Es sind immer noch die zwei wichtigsten Wirtschaftsblöcke auf der Erde, und die brauchen einander. Politisch läuft es nicht immer so gut.

tagesschau.de:
Wie man vor allem in der Irak-Frage sehen konnte.

Braml: Natürlich ist nach wie vor die Irak-Frage ein großes Problem. Aber das beschränkt sich nicht nur auf das transatlantische Verhältnis, sondern auf die USA insgesamt: Die Vereinigten Staaten sind in dieser Frage nach wie vor eine tief gespaltene Nation. Europa steht hier aber dem Teil Amerikas näher, der gerade nicht die Macht inne hat.

tagesschau.de: Und welchen Einfluss hat das politische Europa auf die Bush-Administration?

Braml: Das ist ganz unterschiedlich. Im Handelsbereich lässt sich Amerika durchaus überzeugen. Die Bush-Administration war ja nicht gerade begeistert über Angela Merkels Initiative, einen gemeinsamen Wirtschaftsraum aufzustellen. Dennoch glaube ich, dass die Amerikaner in dieser Hinsicht überzeugt werden konnten. Es gibt mittlerweile einen transatlantischen Wirtschaftsrat, der von europäischer und amerikanischer Seite besetzt ist.

Bei der Klimapolitik hingegen hat Angela Merkel bislang noch keinen Erfolg gehabt, und ich denke, sie wird bei diesem Präsidenten auch keinen haben. Aber das Thema ist auf der Agenda, und bald gibt es in Amerika einen neuen Präsidenten, da kann sich also auch noch etwas entwickeln. Wichtig ist, dass Europa als Einheit auftritt. Nur dann wird es wirklich ernst genommen.

tagesschau.de: Was wäre denn für die Bundeskanzlerin als Erfolg zu werten bei dem anstehenden Bushbesuch?

Braml: Ein symbolischer Erfolg wären die üblichen atmosphärischen Harmonie-Bilder mit Händedruck und guter Laune. Wenn man aber auf Erfolge im Sinne von Einfluss meint, dann wird sich das erst langfristig zeigen. Einfluss ist sehr schlecht zu messen, und wenn überhaupt, dann auch erst im Nachhinein.

Das Interview führte Ulrich Bentele, tagesschau.de