Möglicher Erdogan-Herausforderer Imamoglu wehrt sich gegen neue Attacken
Der Istanbuler Bürgermeister Imamoglu könnte bei der Wahl in der Türkei eine echte Konkurrenz für Präsident Erdogan werden. Nun droht ihm neben Gefängnis und einem Politikverbot auch die Absetzung.
Ekrem Imamoglu steht auf der Bühne und ist aufgebracht. Anderthalb Stunden lang spricht, schimpft und argumentiert er auf dieser Pressekonferenz, immer wieder wischt er mit einem Taschentuch Schweiß vom Gesicht. Der Saal ist voll, und der 52-Jährige wirkt entschlossen.
Seine Botschaft: Die Vorwürfe gegen ihn seien haltlos und politisch motiviert. "Es ist inzwischen offensichtlich, dass über den Innenminister ein Komplott gegen die Stadtverwaltung Istanbul geplant wurde. Das ist nichts, wo man sagen kann: 'Was ist schon dabei?' Die Sache ist sehr ernst. Ich erkenne, wohin das führen soll."
Unterstützer von Imamoglu protestieren vor dem Rathaus in Istanbul gegen seine Verurteilung.
Zu Unrecht verurteilt?
Erst Mitte Dezember war Imamoglu wegen Beleidigung zu mehr als zwei Jahren Haft und einem Politikverbot verurteilt worden. Tausende Menschen gingen auf die Straßen. Kritiker und unabhängige Stimmen sprachen von konstruierten Vorwürfen und politischem Kalkül. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Jetzt gibt es neue Vorwürfe von AKP-Innenminister Süleyman Soylu: In der Stadtverwaltung Istanbuls gebe es Hunderte Angestellte, die Verbindungen zu Terrororganisationen hätten. Aktuell geht das Gerücht herum, der Bürgermeister könne bereits in wenigen Tagen abgesetzt werden.
Imamoglu geht auf der Pressekonferenz detailliert auf die Vorwürfe ein, weist sie mit Bildern und Videos zurück, wirft dem Innenminister selbst Lüge vor und sagt, auch sein AKP-Vorgänger als Bürgermeister habe vorbestrafte Menschen eingestellt.
Noch während dieser Pressekonferenz tritt Soylu vor die Kameras und nimmt sich Imamoglu und seine Partei CHP vor: "Sie haben keine Ahnung, wie man regiert und wie ein Land funktioniert. Aber sie lügen, und kommen dadurch ganz ins Schwitzen." Auch der AKP-Justizminister äußert sich, Imamoglu solle sich lieber um seine Stadt kümmern, als Vorwürfe zu erheben.
Für Erdogan könnte es bei der Wahl eng werden
Die Attacken auf Imamoglu nehmen deswegen zu, sagen Beobachter, weil er Präsident Recep Tayyip Erdogan bei den Präsidentschaftswahlen gefährlich werden könnte. Dass Imamoglu Wahlen gegen die AKP gewinnen kann, hat er 2019 in Istanbul zweimal gezeigt. Sein erster Wahlsieg wurde annulliert, der zweite war dann umso deutlicher.
Imamoglu ist beliebt. Das Amt des Bürgermeisters der 16-Millionen-Metropole hat außerdem große Strahlkraft. Erdogan dagegen wird die desolate Wirtschaftslage der Türkei angelastet. Nach Umfragen erscheint seine Abwahl möglich. Und deswegen, das lässt auch Imamoglu durchblicken, versuche Erdogan jetzt, ihn als stärksten möglichen Gegner auszuschalten.
Könnte mit Imamoglu einen echten Konkurrenten bekommen: Präsident Erdogan.
Beobachter warnen vor Rückgang der Rechtsstaatlichkeit
Viele Experten kritisieren Willkürjustiz in der Türkei. Im Rechtsstaatlichkeitsindex des World Justice Project belegt das Land Platz 117 von 139.
Auch die deutsche Staatsministerin für Europa und Klima, Anna Lührmann (Grüne), sagte am Rande ihres Antrittsbesuchs in der Türkei, die erodierende Rechtsstaatlichkeit besorge sie sehr. "Ich möchte mit Blick auf die anstehenden Wahlen in der Türkei ganz klar sagen: Demokratischer Wettbewerb braucht faire Spielregeln. Es wäre höchst problematisch, wenn Parteien oder Kandidierende bereits vor der Wahl willkürlich aus dem Spiel genommen würden. Und das gilt auch für potenzielle Kandidaten."
Imamoglu droht mit Konsequenzen
Auf der Pressekonferenz warnt Imamoglu jetzt die AKP-Regierung von Erdogan vor den Konsequenzen seiner Absetzung.
Wenn Ihr die Justiz manipuliert und versucht, uns daran zu hindern, unserem Dienst nachzugehen, dann werden wir den Himmel auf Eure Köpfe stürzen lassen. Dann werde ich, Bürger Imamoglu, im ganzen Land auf die Straße gehen, von Viertel zu Viertel, Haus zu Haus, und allen sagen, wie Ihr die Justiz instrumentalisiert.
Was wie eine große Protestdrohung klingt, will er auf Nachfrage nicht konkreter erklären. Die Regierung werde die Quittung mit der Wahlniederlage bekommen.
Wann gewählt wird, ist übrigens noch offen, spätester Termin ist Ende Juni. Außerdem verrät das Oppositionsbündnis noch nicht, ob wirklich Imamoglu gegen Erdogan bei der Präsidentschaftswahl antritt.