100 Jahre Gründung der Sowjetunion Putins Traum von alter Größe
Vor 100 Jahren wurde die Sowjetunion gegründet. Deren Zusammenbruch hat der russische Präsident Putin mehr als einmal bedauert. Zwar schließt er eine Neuauflage aus, Unionspläne aber hat er dennoch.
Es war ein geschichtsträchtiger Augenblick, als am 30. Dezember 1922 Vertreter der russischen, ukrainischen und belarusischen Sozialistischen Sowjetrepubliken und der Transkaukasischen Föderation in Moskau den Vertrag zur Gründung der Sowjetunion unterzeichneten. Auf großer Bühne: im Bolschoi-Theater.
"Die instabile internationale Lage und die Gefahr, dass es neue Angriffe geben könnte, machen die Gründung einer einheitlichen Front der sowjetischen Republiken mit Blick auf die kapitalistische Umgebung unentbehrlich", heißt es im Text der Deklaration, in der der Grundstein gelegt wurde für die UdSSR. Der - wie es später in der Hymne hieß - "unzerbrechlichen Union der freien Republiken, die die große Rus' für die Ewigkeit vereinte".
Dass sie am Ende doch zerbrach, war und ist für den russischen Präsidenten Wladimir Putin "die größte geopolitische Katastrophe des Jahrhunderts".
Die aktuelle Lage, der Krieg in der Ukraine, ist für ihn die Fortsetzung eines nicht enden wollenden Kulturkampfes zwischen West und Ost: "Im Verlauf von Jahrzehnten wurde in den westlichen Ländern stets die Idee vom Zerfall der Sowjetunion, des historischen Russlands und Russlands selbst kultiviert."
Repressive Gesetze, wiederbelebte Traditionen
Der Kreml fühlt sich berufen, nicht nur Russland, sondern die gesamte russische Welt zu bewahren. Mit Hilfe von repressiven Gesetzen gegen Andersdenkende und alles, was vermeintlich zersetzenden ausländischen Einfluss haben könnte. Mit Predigten und Propaganda zu traditionellen Familienwerten und Vaterlandsliebe.
Und mit einem Revival überkommen geglaubter sowjetischer Traditionen und Errungenschaften. Angefangen bei einer neuen allrussischen Kinder- und Jugendbewegung, die nun "Bewegung der Ersten" statt "Pioniere" heißt, bis hin zum früheren sowjetischen Kultauto Moskwitsch, das in früheren Renault-Werkstätten vom Band läuft.
Der Kreml sieht sich in einem hybriden Krieg, den der "kollektive Westen" führt, bei dem es um alles oder nichts geht - und der auch militärische Gewalt rechtfertigt.
"Heute kämpfen wir dafür, dass niemand jemals auf den Gedanken kommt, dass man Russland, unser Volk, unsere Sprache, unsere Kultur aus der Geschichte streichen kann" - auch wenn die Hymne inzwischen einen anderen Text hat: Putin geht es um die "ewige große Rus", zu der die Ukraine und Belarus - ungeachtet ihrer eigenen Geschichte und Entwicklung - dazugehören.
Traum von früherer Größe
Im Kreml wird man nicht müde, zu betonen, dass es nicht um eine Neuauflage der Sowjetunion gehe, die sich im Dezember 1991 endgültig von der großen Bühne verabschiedet hat. Der Traum aber von früherer Größe ist trotzdem nicht ausgeträumt.
Möglichst viele der früheren Sowjetrepubliken eng an sich zu binden, bleibt das Ziel. Als wolle er das unterstreichen, schenkte Putin den Staats- und Regierungschefs der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten, die sich nach dem Zusammenbruch der UdSSR gebildet hatte, beim jüngsten informellen Treffen in Sankt Petersburg goldene Ringe. Was die einen an einen Bund fürs Leben denken ließ, die anderen an Tolkiens Fantasy-Trilogie "Herr der Ringe", in der die Ringträger zwar mächtig, aber zu willenlosen Dienern werden.