Asien Wo Russland und China zusammenarbeiten
Präsident Putin ist heute zur Eröffnung der Spiele in China. Russland betont seine Nähe zu dem Land - und das nicht erst seit der Isolation vom Westen. Tatsächlich kooperieren die Nachbarstaaten in vielen Bereichen. Ein Überblick.
Russland und China verstehen sich so gut wie seit Jahrzehnten nicht: Die "South China Morning Post" in Hongkong schwärmt gar von einer Verbindung, die mit der "Kameradschaft wie während der 'Flitterwochen' in den 1950er-Jahren" zu vergleichen sei.
Auch in der Gegenwart überhäufen sich Moskau und Peking wieder mit Freundlichkeiten: Chinas Staatschef Xi Jinping, der Russlands Präsident Wladimir Putin öffentlich schon als "alten Freund" bezeichnet hat, hat ihn zu einem Gipfeltreffen empfangen - als ersten ausländischen Staatschef in diesem Jahr und pünktlich zu Beginn er Olympischen Winterspiele. Russlands Außenminister Sergej Lawrow nannte jüngst die Beziehungen beider Länder ein Musterbeispiel dafür, "wie sich zwischenstaatliche Beziehungen im 21. Jahrhundert entwickeln müssen"; in einigen Bereichen seien diese gar weiter fortgeschritten als eine traditionelle militärisch-politische Allianz. Tatsächlich kooperieren Russland und China in vielen Belangen, das Gewicht ist dabei jedoch häufig ungleich verteilt.
Internationale Organisationen
Was in den 1990er-Jahren als "strategische Partnerschaft" begann, ist längst eine verbriefte Freundschaft: Den seit 2001 bestehenden Vertrag "über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Kooperation" verlängerten China und Russland im vergangenen Jahr um weitere fünf Jahre. Vereinbart sind darin unter anderem der Verzicht auf wechselseitige Gebietsansprüche und eine gegenseitige Konsultation bei Konflikten, der gemeinsame Kampf gegen Terrorismus, Separatismus und religiösen Fanatismus und ein weiterer Ausbau der Beziehungen in nahezu allen Bereichen.
Die gemeinsame Mitgliedschaft in der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ), deren Arbeitssprachen Chinesisch und Russisch sind, ist ein wichtiges Instrument: Hier wollen sich China, Russland, Indien, Pakistan sowie vier von fünf Republiken Zentralasiens zu Stabilitätsfragen in der Region abstimmen, in der 40 Prozent der Weltbevölkerung leben. Allerdings ist die kooperative Umsetzung der SOZ-Ziele jenseits der jährlichen Gipfel eher schwach ausgeprägt.
Im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UN) hingegen arbeiten die beiden ständigen Mitglieder einander seit langem zu: Von den USA oder Frankreich und Großbritannien eingebrachte Resolutionen scheitern häufig am gemeinsamen Veto - etwa Sanktionen gegen das Assad-Regime in Syrien, das von Russland militärisch unterstützt wird, oder Sanktionen gegen die Militärregierung in Mali, wo russische Söldnertruppen aktiv sein sollen.
Außenpolitik und Einflusssphären
In den demokratischen USA sehen China und Russland einen gemeinsamen Gegner, wie sie in jüngsten Jahren immer unumwundener zeigen: Während Russland wieder von der Regional- zur Globalmacht aufsteigen will und von der NATO "Sicherheitsgarantien" einfordert, strebt China nicht nur wirtschaftlich, sondern auf ganzer Linie an, die USA als Hegemon abzulösen.
Moskau und Peking eint auch der pragmatische bis freundschaftliche Umgang mit autoritär geführten Staaten und ihre Ablehnung von Demokratie- und Menschenrechtsprinzipien: Beide sehen darin ein Gedankenkonstrukt, das westliche Staaten angeblich als diplomatische Waffe einsetzen, obwohl sie sich selbst nicht daran halten. Die EU und ihre oft langwierigen, multilateralen Entscheidungsprozesse werden von beiden eher belächelt als angefeindet.
Zunehmend spannungsreich dürfte das Verhältnis mit Blick auf die früheren Sowjetrepubliken werden, in denen beide wirtschaftliche und sicherheitspolitische Interessen haben - insbesondere in Zentralasien. Bislang gilt: Russland handelt, China hält sich wohlwollend zurück. Etwa begrüßte Peking den russisch geführten Einsatz von OVKS-Truppen in Kasachstan und rief in der Ukraine-Krise "alle Seiten" dazu auf, besonnen zu bleiben - schließlich werden in der Ukraine chinesische Flugzeugmotoren gebaut.
Militär und Rüstung
Mit 2,2 Millionen aktiven Soldaten und 1,7 Millionen Reservisten unterhält China die größten Streitkräfte der Welt, dennoch machen sie der Anzahl nach weniger als ein Prozent der Bevölkerung aus. Russland verfügt über zwischen 850.000 und einer Million aktiver Soldaten sowie 2 Millionen Reservisten - rechnet man paramilitärische Kräfte hinzu, sind das fast zwei Prozent der russischen Bevölkerung. Nach Zahlen des Friedensforschungsinstituts SIPRI gab China 2020 insgesamt 252 Milliarden US-Dollar für sein Militär aus: vier Mal so viel wie Russland (61,7 Milliarden US-Dollar).
Nach Einschätzung von Experten sind Russlands Streitkräfte im Bereich Nuklearwaffen und Raketensysteme allerdings besser entwickelt, außerdem verfügen sie über mehr vergleichsweise kurz zurückliegende Gefechtserfahrung. Kaufte China früher sowjetische Militärtechnik, setzt das Land inzwischen größtenteils auf Eigenproduktionen - aber exerziert wird immer wieder gemeinsam: Zuletzt nahmen am Manöver "Wostok-2018" in Russlands östlichem Militärdistrikt chinesische Streitkräfte teil. Auch für das im Herbst geplante Manöver "Wostok-2022" will Russland wieder “Wehrkontingente anderer Staaten” einladen.
Vor einer offiziellen bilateralen Militärallianz scheuen aber beide Staaten bislang zurück. Zu groß ist nach Experteneinschätzung beiden das Risiko, zu einem hohen Preis in Konflikte der anderen Seite hineingezogen zu werden, an denen man sich nicht beteiligt sieht: etwa in die Spannungen um Taiwan oder die Ukraine-Krise.
Wirtschaft und Handel
Mit dem rasanten Aufschwung Chinas zur Wirtschaftsnation nach seiner Öffnung in den 1980er- und 1990er-Jahren konnte Russland nicht mithalten - und während Sanktionen und Gegensanktionen nach der Krim-Annexion Russland lange in die Stagnation zurückwarfen, ging China aus der Corona-Krise noch mit einem Rekord-Exportüberschuss hervor. Mit 15 Billionen US-Dollar ist das chinesische Bruttoinlandsprodukt heute zehn Mal so groß wie das russische.
Auch im gegenseitigen Handel gibt es Unwuchten: 2020 exportierten Russland und China jeweils Waren im Wert von etwa 50 Milliarden US-Dollar ins Nachbarland - doch während der Handel mit China für Russland 15 Prozent des gesamten Exportvolumens ausmacht, sind es in China gerade einmal zwei Prozent. Auch wenn beide es nicht allzu sehr betonen mögen: Der Exportanteil in die Europäische Union (alle Mitgliedsstaaten zusammengerechnet) spielt für Moskau wie Peking gleichermaßen eine wesentlich größere Rolle - und Chinas Haupt-Handelspartner ist ungeachtet aller Handelsfehden die USA.
Technologie und Investitionen
Bei gemeinsamen Investitionsprojekten sehen nicht nur westliche Kritiker China im Vorteil gegenüber Russland: Die Pipeline "Sila Sibiri", die seit 2019 Erdgas aus Jakutien in die chinesische Provinz Heilongjiang befördert, macht Russland zwar weniger abhängig von Abnehmern in Europa - Recherchen regierungskritischer Medien wie die "Nowaja Gaseta" brachten aber Zweifel an der Rentabilität für Moskau auf.
Am chinesischen Wirtschaftsprojekt "Neue Seidenstraße" war Russland jenseits einiger lange Logistik-Knotenpunkte kaum beteiligt: Der geplante Ausbau einer Hochgeschwindigkeits-Zugstrecke zwischen Moskau und Kasan wurde zurückgestellt, die Transportwege aus China nach Westen verlaufen hauptsächlich an Russland vorbei durch die Mongolei und Kasachstan.
Perspektivisch hat China auch Ambitionen, den zunehmend eisfreien Nördlichen Seeweg durch den arktischen Ozean zu nutzen und beteiligt sich daher interessiert an der russischen Arktis-Strategie. Beim Aufbau der digitalen Infrastruktur in Russland mischt der chinesische Staatskonzern Huawei hingegen vorne mit: Der 5G-Ausbau in Russland wird in Modellprojekten vorangetrieben - und auch auf dem Meeresgrund des Nördlichen Seewegs will China Glasfaser-Kabel nach Westen verlegen, um seinen Datenverkehr US-amerikanischem Zugriff zu entziehen. In puncto Software und Onlinehandel ist der russische Digitalmarkt allerdings sehr national geprägt. Ob chinesische Wettbewerber sich dort dauerhaft gegen einheimische Tech-Konzerne behaupten können, ist noch nicht ausgefochten.
Die von der "South China Morning Post" beschworenen 'Flitterwochen' zwischen Moskau und Peking in den 1950er-Jahren hielten übrigens nicht lange an: Schweißten zunächst der gemeinsame Glaube an Kommunismus und Antiamerikanismus die maoistische Volksrepublik China und die damalige Sowjetunion zu "Brüdern" zusammen, folgte ein knappes Jahrzehnt später das sino-sowjetische Zerwürfnis. Rivalitäten um die Führung in der sozialistischen Welt, ungeklärte Grenzfragen und das anfängliche "Tauwetter" unter Generalsekretär NIkita Chrustschtschow im russischen Verhältnis zu Washington entzweiten die beiden.