Kreml in Moskau

Russland Plötzlich "ausländischer Agent"

Stand: 28.08.2021 11:25 Uhr

Einen Monat vor der Parlamentswahl erhöht Moskau den Druck auf unabhängige Journalisten und Wahlbeobachter: Wer nicht für die Staatsmedien arbeitet, wird als "ausländischer Agent" eingestuft - womöglich auf Lebenszeit.

Von Jasper Steinlein, ARD-aktuell

Der Journalist Roman Schlejnow will sich nur in einem abgelegenen Moskauer Park treffen - in einem Café: zu heikel. Noch, sagt er, ist ihm nicht klar, was sein neuer Rechtsstatus als "ausländischer Agent" in der Praxis bedeutet. Vor Kurzem hat das Justizministerium den Investigativreporter und die Redaktion iStories, bei der er arbeitet, damit belegt - weil sie angeblich aus dem Ausland finanziert würden.

Für die russische Regierung sind sie damit Handlanger fremder Mächte, sagt Schlejnow. In deren Augen sei das völlig klar: "Ach, Sie arbeiten nicht bei russischen Massenmedien, die wir von allen Seiten bedrängt haben, um sie zu kontrollieren? Das heißt, es kontrolliert Sie jemand anderes, wenn nicht wir."

Ein Status zur Kontrolle

Dem Gesetz nach müssen Schlejnow und andere "ausländische Agenten" nun über jede noch so kleine Einnahme und Ausgabe dem Justizministerium berichten - und jeden Artikel, jeden Geschäftsbrief, jeden Post in sozialen Netzwerken mit einem vorgeschriebenen Text kennzeichnen:

Dieser Inhalt wurde erstellt und/oder verbreitet von einem ausländischen Massenmedium, das die Funktion eines ausländischen Agenten ausfüllt, und/oder von einer russischen juristischen Person in der Funktion eines ausländischen Agenten.

Eine Brandmarkung, die Misstrauen bei Anzeigenkunden und Gesprächspartnern säen soll. Schlejnow deckt seit mehr als 20 Jahren Korruption und Missstände in Russland auf - er arbeitete an den "Panama Papers" mit. Nun ist nicht klar, wie er seinen Beruf weiter ausüben kann - denn der Agentenstatus, befürchtet er, war erst der Anfang.

Nun auch unabhängige Wahlbeobachter

Erst wurden russische Bürger- und Menschenrechtsorganisationen so eingestuft. Inzwischen können auch Medien und Einzelpersonen auf die Liste gesetzt werden - oder Projekte, die gar nicht als Verein registriert sind. Genau einen Monat vor der Duma-Wahl wurde auch die unabhängige Wahlbeobachter-Gruppe Golos zu "ausländischen Agenten" erklärt.

Jetzt habe man sich das nächste neue Register ausgedacht, laut dem es in Russland sieben Arten "ausländischer Agenten" gibt. Mehr gebe es wahrscheinlich nirgends auf der Welt, meint Golos-Direktor Grigorij Melkonjanz sarkastisch. Man werde die Arbeit fortsetzen - aber Wahlbeobachtung dürfte für sie unter diesen Umständen kaum noch möglich sein.

Die letzten unabhängigen Medien

Dass es jüngst auch den Fernsehsender Doschd traf, löste nicht nur unter Journalisten Entsetzen aus. Kirill Martynow von der renommierten "Nowaja Gaseta" meint, dass der Sender Doschd eines der letzten großen unabhängigen Medien im Land sei. Und er sei der einzige unabhängige Sender, der Menschen Informationen gebe, wenn ihnen die von den Staatssendern nicht ausreichen.

Er spricht von einer Racheaktion der Regierung für Doschds Berichterstattung über Kreml-Kritiker Alexej Nawalny und Polizeigewalt. Andere gehen davon aus, dass die Fließband-Ernennung kritischer Organisationen zu "ausländischen Agenten" auf die Duma-Wahl im September abzielt: Jeglicher Widerspruch ist der Regierungspartei Einiges Russland da nicht willkommen.

Der Druck könnte steigen

Golos-Direktor Melkonjanz meint, je mehr Oppositionelle der Agentenstatus trifft, desto weniger misstrauisch mache er die Russen. Die Leute wüssten schon, dass dieser Status kein Kennzeichen einer schlechten Organisation ist - im Gegenteil.

Der preisgekrönte Investigativjournalist Schlejnow erklärt, ihm sei der Status in diesem Sinne eine Ehre. Auch wenn er es absurd findet, dass ausgerechnet Angestellte beim Staat oft einen Teil ihres Lebens im Ausland haben. "Wie sind denn diese Leute keine 'ausländischen Agenten'?", fragt er, "aber wir, die darüber schreiben, dass sie Verwandte und Villen, Frau und Kinder im Ausland haben?"

Dass er womöglich selbst auswandern müsste, wenn der Druck weiter steigt und er keine Arbeit mehr findet, daran will er noch nicht denken. Aber die Einstufung als "ausländischer Agent" loszuwerden, ist in Russland noch niemandem gelungen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 28. August 2021 um 12:37 Uhr.